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Opern-Kritik: Oper Leipzig – Falstaff

Lustvoll verschaukelt

(Leipzig, 11.10.2025) An der Oper Leipzig tritt der neue GMD Ivan Repušić glückvoll mit Verdis „Falstaff“ an. Dazu folgt die Szene ihrem eigenen Stern der Stilisierung und schafft Räume fürs assoziative Abschweifen.

vonJoachim Lange,

Da man hierzulande davon ausgehen kann, dass sich die Opernhäuser untereinander bei ihrer Planung nicht wirklich abstimmen, darf man getrost darüber spekulieren, warum es ausgerechnet Giuseppe Verdis „Falstaff“ an den Anfang der Spielzeit in den beiden großen sächsischen Opernhäusern gebracht hat. An der Dresdner Semperoper sogar als Auftakt, an der Oper Leipzig gleich nach „Così fan tutte“ als zweite Premiere.

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Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig

Wenn die Pointen aus dem Orchester kommen

Wie für seinen Kollegen Daniele Gatti in Dresden, so hat der „Falstaff“ auch für den neuen GMD der Oper Leipzig, Ivan Repušić, etwas Besonderes. Für ihn sei es die „sehr natürliche und bildhafte Musiksprache voller Wortwitz, rhythmischer Finessen und klanglicher Assoziationen“, meinte der in Kroatien geborene Dirigent im Vorfeld seiner ersten Opernproduktion als GMD im Haus am Augustusplatz. „Weit stärker noch als in früheren Werken meldet sich das Orchester hier durchgängig kommentierend und schlagfertig pointierend zu Wort, hier prallen Bühnencharaktere, turbulente Ensembles und parodierende Situationen aufeinander.“ So das Bekenntnis im Vorfeld.

Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig

Hintergründig musikalischer Witz

Und so der Dirigent und das Gewandhausorchester im Graben bei der Premiere im ausverkauften Haus. Der Jubel für einen deftig zupackenden, hintergründig musikalischen Witz war einhellig. Die Musiker waren lustvoll bei der Sache. Im flotten Parlando der Komödie. Aber auch im Tumult der großen Ensembleszenen kam im Großen und Ganzen nur durcheinander, was auch durcheinander kommen sollte. Wobei sich Repušić nicht scheute, auch immer wieder kräftig zuzulangen, wenn die aufscheinenden Motive mal weit ausholen und es hergeben.

Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig

Protoyp eines Falstaff-Baritons auf der Bühne

Dabei hat er vor allem den grandiosen Lucio Gallo in der Titelpartie auf seiner Seite. Der Italiener, der in jungen Jahren lange den Ford sang, ist der Prototyp eines Falstaff-Baritons. Mit seiner nie forciert wirkenden Stimmgewalt füllt er den Raum bis in den letzten Winkel und lässt keinen Zweifel an seiner zentralen Stellung. Außerdem steht er als ein Mannsbild auf der Bühne, das keinen ausgestopften Bauch braucht, um etwas darzustellen. Den jungen, schlanken Knappen von einst, von dem er Alice vorsäuselt, kann man sich zumindest noch vorstellen. Dieser Schwerenöter macht sich zwar selbst mit seiner Maßlosigkeit und seinem aus den Fugen geratenen Selbstbewusstsein lächerlich, aber er ist es durchaus nicht von vornherein schon.

Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig

Überbordend opulente, fantasievolle Kostüme

Hier sorgen die Inszenierung von Chefdramaturgin Marlene Hahn, vor allem aber die Kostüme von Melchior Silbersack durchaus für so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. An Lächerlichkeit stehen auch der eifersüchtige Ford (Mathias Hausmann hält der Wucht von Gallo imponierend stand!) und seine Entourage dem Ritter, der hinter seiner Frau her ist, in nichts nach. Die überbordend opulenten, fantasievollen Kostüme sind ein Spiel mit den Zeiten und mit modischen Versatzstücken, die Perücken für die Damen eine Show für sich.

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Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig

Falstaff im Ritter-Zivil wie ein Bühnenarbeiter

Da hat es Falstaff zu Beginn noch gut, wenn er sozusagen im Ritter-Zivil wie ein Bühnenarbeiter in schwarzer Einheitskombi im Stuhl hängend an seinen Briefen formuliert und das Gezeter von Dr. Cajus (Paul Kaufmann) über seine Langfinger-Kumpanen Bardolfo (Daniel Arnaldos) und Pistola (Peter Dolinšek) an sich abperlen lässt. Dass die beiden gerade vor dem großkartierten Zwischenvorhang mit XXL-Loch (Bühne: Dirk Becker) einen Grill angeworfen haben, gehört zu den wenigen Modernismen. Es gibt noch einen E-Roller für Cajus und Golfschläger für Ford. Ansonsten folgt die Szene ihrem eigenen Stern der Stilisierung, die mehr der Blick auf die Falstaff-Welt als eine Imagination eines konkreten Windsor, ganz gleich welcher Epoche, bleibt. Ort und Zeit sind eher unverbindlich, lassen aber auch Räume fürs assoziative Abschweifen.

Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig

Stehen die Damen über den Dingen?

Ihre Intrigen-Absprache trifft das Damen-Kaffeekränzchen (pardon: Teekränzchen, wir sind ja in Windsor) auf einer hoch hängenden Schaukel, nebeneinander sitzend und den Tee im Takt schlürfend. Vielleicht soll das ja heißen, dass diese Frauen über den Dingen stehen bzw. schweben? Solen Mainguené ist die selbstbewusst auftrumpfende Alice, Maya Gour die ihr willig folgende Meg Page. Natürlich lässt sich Ulrike Schneider das Komödiantische bei ihrer Mrs Quickly nicht entgehen. Als Nannetta hat Olena Tokar darüber hinaus ja noch mal die Gelegenheit, mit ihren betörend sicheren Höhen zu glänzen, wenn sie mit ihrem Fenton Sungho Kim offen oder verdeckt zusammen ist. Thomas Eitler de Lint hat (neben seinem Festspieljob in Bayreuth) den Chor bestens einstudiert – vokal und (da kein Choreograf angegeben ist) zusammen mit der Regie auch sonst.

Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig
Szenenbild aus „Falstaff“ an der Oper Leipzig

Ausufernde Fantasie im mitternächtlichen Park

Als ein Mini-Wäschekorb an der Rampe platziert wird, durchzuckt einen für einen Moment schon der Phantomschmerz wegen des möglicherweise fehlenden Hauptrequisits in ritterkompatibler Größe (in Dresden gab’s nur einen Müllcontainer). Schnell folgt das Aufatmen, als der Korb dann in passendem Format auftaucht. Er darf sogar am Kran über der Szene schweben. Wenn der Ritter außerhalb der Szene in die Themse befördert wird, gibt es auf der Bühne ein glitzerndes Konfettifeuerwerk zum großen Tutti-Platschen aus dem Graben. Es ist das konkrete Déjà-vu mit der Komödie. Eins von ausufernder Fantasie gibt es am Ende mit dem überbordenden Einzug der Feen im mitternächtlichen Park. Bis der aufwändige Mummenschanz auffliegt, Cajus den falschen Partner untergejubelt bekommt und Nanetta ihren Fenton. Der nur vermeintlich abservierte Falstaff aber darf sich am Ende bei der großen Schlussfuge sogar als Stichwortgeber für die gelassenen Weisheiten des Lebens einreihen. Bei ihm wirkt das nachvollziehbar und hat etwas vom Trost des einsichtsvoll Versöhnlichen, das der alte Verdi mit seinem Schlusswort in Sachen Oper wohl im Sinn gehabt haben mag.

Oper Leipzig
Verdi: Falstaff

Ivan Repušić (Leitung), Marlene Hahn (Regie), Dirk Becker (Bühne), Melchior Silbersack (Kostüme), Ida Zenna (Video), Michael Röger (Licht), Anna Diepold (Dramaturgie), Lucio Gallo, Mathias Hausmann, Sungho Kim, Paul Kaufmann, Daniel Arnaldos, Peter Dolinšek, Solen Mainguené, Olena Tokar, Ulrike Schneider, Maya Gour, Chor der Oper Leipzig, Komparserie der Oper Leipzig, Gewandhausorchester





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