Eine Verdi-Oper zum Spielzeitauftakt geht immer. Das haben sich zumindest die beiden großen Sächsischen Opernhäuser gesagt. Es spricht für Dresden, und eine Woche später auch für Leipzig, dass man sich von seinen Werken den „Falstaff“ vornimmt. Ist es doch das geniale, 1893 an der Mailänder Scala (wo auch sonst) uraufgeführte Spätwerk des großen Italieners, mit dem er alle seine Anhänger verblüffte. Keine Toten, sondern Belehrte bleiben übrig. Mit Chance für ein geläutertes Weiterleben. Und allerhand Einsichten in den Lauf der Welt.
Wagners „Wunderharfe“ mit edler Verdi-Kompetenz
An der Semperoper Dresden ist der Mailänder Daniele Gatti (Jahrgang 1961) seit der vorigen Spielzeit der neue Chef der Sächsischen Staatskapelle. Als Nachfolger von Wagner-und-Richard-Strauss-Spezialist Christian Thielemann. Es liegt auf der Hand, dass der Italiener als erste Opernproduktion mit seinem Leib-und-Magen-Verdi, den er in dem Fall im wörtlichen Sinne in und auswendig kennt, ein Zeichen dafür setzt, dass er die Sächsische Staatskapelle mit ihrer ja auch vorhandenen Verdikompetenz leuchten lassen will. Dass er aus jahrzehntelanger gelegentlicher Erfahrung mit diesem sächsischen (und deutschen) Edelklangkörper weiß, dass er es mit Wagners „Wunderharfe“ zu tun hat, wird er mit seiner zweiten Opernproduktion in der Semperoper beweisen, mit Wagners „Parsifal“.

Ein musikalisches Glanzstück
Mit „Falstaff“ ist der erste Teil dieser subtilen musikalischen Programmpointe schon mal aufgegangen. Was Gatti mit der Staatskapelle liefert, ist ein musikalisches Glanzstück. Da kennt einer wirklich jede Wendung, jeden Blick Verdis aufs eigene Werk und aufs Leben. Es ist dessen augenzwinkernder Gruß an die Nachwelt der Moderne, der mit Opulenz und Spielwitz aufwartet. „Falstaff“ ist ohnehin eins von den Stücken, die immer „besser“ werden, je öfter man sie hört.
Das Fazit der Schlussfuge
Hinzu kommt natürlich, dass Arrigo Boito ein kongeniales Libretto aus Shakespeares „The Marry Wives of Windsor“ und „King Henry IV“ destilliert hat. Die Geschichte funktioniert schon als pure Komödie wie am Schnürchen. Vor allem, weil die eher lebensklug gewitzten, als nur lustigen Frauen aus Windsor die Oberhand behalten und nicht nur dem alternden Titelhelden Sir John (der zwei Frauen gleichzeitig bezirzen und ausnehmen will), sondern auch Alices Mann Ford ein Schnippchen schlagen. Was per se schon ein Hieb gegen die patriarchalischen Moralfundamente des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist.
Andererseits werden aber weder der dicke, alternde Weiberheld, der sich immer noch für unwiderstehlich hält, noch der eifersüchtige Ehemann völlig demontiert. Auch die Gelackmeierten behalten am Ende ihre Würde und die Chance zu ernsthaften Einsichten. Das „tutto nel mondo è burla“ der Schlussfuge ist ein Fazit, das weit über das Treiben in diesem Windsor hinausgeht und auf das sich letztlich nicht nur alle auf der Bühne, sondern auch Verdi und seine Nachwelt getrost einigen können.

Pures vokales Verdivergnügen
So mitreißend und beglückend die Musik aus dem Graben kommt, so exzellent ist das Ensemble. Das ist durchweg pures vokales Vergnügen, bei dem jeder mit Spiellust seine Figur präsentiert. Der Sizilianer Nicola Alaimo ist ein Falstaff mit imponierendem Stimm- und Körpervolumen. Da wird weder hier noch dort gemogelt oder ausgestopft. Dieser Sir John kann völlig zurecht auf den Charme seiner Selbstironie wetten – ein Falstaff-Hochgenuss in jeder Hinsicht und für jede Bühne. Lodovico Ravizza ist als Ford ein so schlanker wie kraftvoller Gegenspieler, Juan Francisco Gatell ein jugendlich tenorfrischer Fenton. Simeon Esper und Marco Spotti machen als Bardolfo und Pistola ebenso gute vokale Figur wie auch Didier Pieri als der am Ende angeschmierte, von Ford für seine Tochter vorgesehene Bräutigam Dr. Cajus.
Geradezu sensationell sind die Frauen. Als so sinnliche wie eloquente Alice Ford bestätigt Eleonora Buratto ihre Wahl zur Sängerin des Jahres (bei der Opernwelt-Umfrage 2025) mit jedem Ton. Nicole Chirka als Meg Page und die hinreißend komödiantisch aufdrehende Marie-Nicole Lemieux als Mrs. Quickly sowie die mit jugendlich zarten Spitzentönen aufwartende Rosalia Cid als Nannetta komplettieren dieses außergewöhnliche Frauen Quartett auf Augen- bzw. Ohrenhöhe.

„Sir John“ als abgehalfterter Rockstar
Wenn man es positiv ausdrücken will, dann lassen Damiano Michieletto (Regie), Paolo Fantin (Bühne) und Agathe MacQueen (Kostüme) diesem Spitzenensemble jeden Raum zur Entfaltung. Mag sein, dass Michieletto sich mit Blick auf seinen opulent zündenden „Falstaff“ bei den Salzburger Festspielen von 2013 nicht wiederholen wollte. In Dresden jedenfalls beschränkt er sich auf eine zeitliche Verortung, macht aus Falstaff einen „Sir John“ als einen abgehalfterten Rockstar, der längst die große Bühne mit Auftritten im kleineren Disco- oder Mucke-Format vertauscht hat, aber seine alten Plakate aus schlanken Star-Tagen weiterverwendet.
Seine Bühne und alle anderen Orte sind ein abstraktes mit geometrischem Neondekor skizziertes Nirgendwo. Zwar praktisch für den Wechsel der Schauplätze (Sitzecke raus, Riesenbett rein), aber ohne Themse vor der Tür. Der zentrale Requisiten-Gag, bei dem Falstaff sich im Wäschekorb versteckt und ein unfreiwilliges Bad nimmt, fällt aus. Ersetzt wird diese Pointe durch das Entleeren eines Müllcontainers (zum Glück nur voller Bierbüchsen und leichtgewichtiger Flaschen) über bzw. vor Falstaff. Wenn dieses Salz in der Suppe fehlt, wird die Komödie fad.
Dass dann im dritten Akt beim mitternächtlichen Rendezvous im Park der Ritter im Glitzeranzug aufkreuzt und die Dame wie die Revuegirls aufgedonnert erscheinen, mag angehen, dass die restliche Gesellschaft auf alt und krank geschminkt zur Schlussfuge an die Rampe wankt, bleibt nicht nur magere Schonkost in Sachen Opulenz, es bleibt auch als die berühmte offene Frage, beim Vorhang zu, im Raum stehen. Als Bild für die Endlichkeit? So richtig komplementär zur Musik szenisch zu zünden, vermag das nicht. Natürlich singt der von Jan Hoffmann einstudierte Chor das Gegenteil von dem, was er darstellt. Und wird wie alle anderen Akteure ausgiebig bejubelt. Für die Regie ist der Beifall mit ein paar Buhs gewürzt. Verständlich ist das eine wie das andere.
Semperoper Dresden
Verdi: Falstaff
Daniele Gatti (Leitung), Damiano Michieletto (Regie), Paolo Fantin, Agathe MacQueen (Kostüme), Alessandro Carletti (Licht), Jan Hoffmann (Chor), Dorothee Harpain (Dramaturgie), Nicola Alaimo, Lodovico Ravizza, Juan Francisco Gatell, Didier Pieri, Simeon Esper, Marco Spotti, Eleonora Buratto, Rosalia Cid, Marie-Nicole Lemieux, Nicole Chirka, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Sächsische Staatskapelle Dresden
Termintipp
Mi., 08. Oktober 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Verdi: Falstaff
Nicola Alaimo (Falstaff), Lodovico Ravizza (Ford), Juan Francisco Gatell (Fenton), Didier Pieri (Dottore Cajus), Rosalia Cid (Nannetta), Daniele Gatti (Leitung), Damiano Michieletto (Regie)
Termintipp
So., 12. Oktober 2025 19:30 Uhr
Musiktheater
Verdi: Falstaff
Nicola Alaimo (Falstaff), Lodovico Ravizza (Ford), Juan Francisco Gatell (Fenton), Didier Pieri (Dottore Cajus), Rosalia Cid (Nannetta), Daniele Gatti (Leitung), Damiano Michieletto (Regie)
Termintipp
Mi., 15. Oktober 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Verdi: Falstaff
Nicola Alaimo (Falstaff), Lodovico Ravizza (Ford), Juan Francisco Gatell (Fenton), Didier Pieri (Dottore Cajus), Rosalia Cid (Nannetta), Daniele Gatti (Leitung), Damiano Michieletto (Regie)
Termintipp
Fr., 17. Oktober 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Verdi: Falstaff
Nicola Alaimo (Falstaff), Lodovico Ravizza (Ford), Juan Francisco Gatell (Fenton), Didier Pieri (Dottore Cajus), Rosalia Cid (Nannetta), Daniele Gatti (Leitung), Damiano Michieletto (Regie)
Termintipp
Fr., 24. Oktober 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Verdi: Falstaff
Nicola Alaimo (Falstaff), Lodovico Ravizza (Ford), Juan Francisco Gatell (Fenton), Didier Pieri (Dottore Cajus), Rosalia Cid (Nannetta), Daniele Gatti (Leitung), Damiano Michieletto (Regie)