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Opern-Kritik: Theater für Niedersachsen – Till Eulenspiegel

Der Schalk, der Held, der Visionär

(Hildesheim, 30.8.2025) Emil Nikolaus von Rezniceks „Till Eulenspiegel“ erweist sich am Hildesheimer Theater für Niedersachsen als triumphale Wiederentdeckung – frech, klug und von seltener Strahlkraft.

vonRoland H. Dippel,

Bisher war Offenbachs „Fantasio“ die bedeutendste, sich durch Poesie und sensible Liebesfähigkeit auszeichnende Narren- und Schalk-Koryphäe des halbernsten Musiktheaters. Mit der fulminant gelungenen Wiederentdeckung der 1902 in Karlsruhe uraufgeführten und 1937 in Köln ohne Zustimmung ihres Komponisten hinsichtlich Gedankenfreiheit entschärften Oper „Till Eulenspiegel“ könnte sich das ändern. Die Premiere am Theater für Niedersachsen wurde ein triumphaler Erfolg.

Text und Musik des nur noch durch die Ouvertüre zur komischen Oper „Donna Diana“ bekannten Ernst Nikolaus von Reznicek stehen in der langen Entwicklungslinie des deutschsprachigen Musiktheaters von Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ bis Hindemiths „Mathis der Maler“ – also jener Werke, in denen frühneuzeitliches Vers- und Musikmaterial zur Verdichtung des Kolorits Verwendung fand. Rezniceks Tochter gab den Hinweis, dass ihr Vater der Figur des nach außen spaßigen und doch weisen Till Eulenspiegel Züge eines Selbstporträts verliehen habe.

Reznicek, dessen Opern wie „Ritter Blaubart“ und „Benzin“ trotz riesigen Erfolgs bei vereinzelten Aufführungen leider nie einen Repertoire-Stammplatz erobern konnten, gelang ein bis heute verkanntes und derzeit erst recht aktuelles Meisterwerk. Till foppt korrupte Obrigkeiten, dümmliche Zeitgenossen und den übergriffigen Doktor, der die von Till geliebte Gertrudis unters toxische Ehejoch zwängen will. Am Ende stirbt Till wie Tristan in Enttäuschung an der Welt und wie Don Quixote mit der Hoffnung, dass sein menschliches Vermächtnis nicht vergessen werde. Ein Impulsgeber für die Hildesheimer Produktion war, dass Kneitlingen am Elm die Heimatstadt des historischen Till Eulenspiegel, nur 70 Kilometer entfernt liegt.

Szenenbild aus „Till Eulenspiegel“ am Theater für Niedersachsen
Szenenbild aus „Till Eulenspiegel“ am Theater für Niedersachsen

Wagner-Nachfolge und verschlankte Störfaktoren

Reznicek komponierte „Till Eulenspiegel“ kurz nach 1900, als der Wagner-Kult noch unkritisch und grenzenlos dominierte. So könnte man ein engstirniges Wagner-Rätseln beginnen, welche Motiv- und Harmoniegebilde es aus „Ring“ und „Lohengrin“ in Rezniceks Partitur schafften. Wichtiger aber ist, dass die schlanke Instrumentation des „Till Eulenspiegel“ von kleineren Orchestern wie der tfn-Philharmonie ohne Abstriche äußerst wirkungsvoll und originell klingt. Die Zeitströmung der Jugendbewegung und des Jugendstils, die Bemühungen um Opernkomödien mit durchlüfteten Tonsätzen und eine schlanke Deklamation, zu der Rezniceks Freund Richard Strauss erst knappe zehn Jahre später im „Rosenkavalier“ finden wird, rücken „Till Eulenspiegel“ weg von Richard Richtung Siegfried Wagner und Humperdinck – also zum leichteren und eher unbelasteten, dennoch ernsten Genre der Märchenoper.

Für die Hildesheimer Aufführung wurde ein Streich, den Till jüdischen Händlern spielt, durch eine ähnliche, nicht antisemitische Geschichte ersetzt. Reznicek selbst verhielt sich während des „Dritten Reiches“ derart streitbar, dass seine Lebenserinnerungen da nicht veröffentlicht werden durften.

Szenenbild aus „Till Eulenspiegel“ am Theater für Niedersachsen
Szenenbild aus „Till Eulenspiegel“ am Theater für Niedersachsen

Tenor-Entdeckung: David Soto Zambrana

In dieser Oper kämpft Till mit den Waffen des Worts, fast liebevollem Spott und immer mit großer Menschlichkeit. Die Partie ist sehr lang und mit ihrem Fokus in der oberen Mittellage äußerst anspruchsvoll. In Hildesheim fand man in dem puerto-ricanisch-amerikanischen Tenor und Ensembleneuzugang David Soto Zambrana eine Idealbesetzung mit gewinnender Sympathie und persönlichkeitsstarker Leuchtkraft. Zambrana hielt seine beeindruckende Stimmschönheit und Kondition bis zur „Galgenpredigt“, die mit Strick um den Hals zum Höhepunkt des Abends wurde, und der langen bewegenden Schlussvision.

Neu im Ensemble ist auch die Ukrainerin Gabrielė Jocaitė. Sie gestaltete die jugendlich-dramatische Partie von Tills Geliebter mit kristallin hellem Sopran. Andrey Andreychik gab einen stimmlich chevaleresken und szenisch hanebüchenen, aber trotzdem gefährlichen Doktor. Tobias Hieronimi gestaltete einen Bassbariton-mächtigen Vogt mit offenbar bizarren Neigungen. Nele Kramer setzte als Tills Mutter einen fürwahr besonderen Opernbeginn – mit gesprochenem Text über einem Vogelkonzert aus Soloholzbläsern.

Solche filigranen Stellen gibt es in der fast dreistündigen Oper später immer wieder. Unter den mittleren Partien – zahlreich besetzt mit Chormitgliedern (sorgfältige Einstudierung durch Achim Falkenhausen) – waren auch die Solisten Julian Rohde und Eddie Mofokeng. Einstudierung und Leistungen offenbarten eine Riesenmotivation des Orchesters und der Musiktheatersparte zum Gelingen dieses jüngsten Prestigebausteins unter den Hildesheimer Ausgrabungen.

Szenenbild aus „Till Eulenspiegel“ am Theater für Niedersachsen
Szenenbild aus „Till Eulenspiegel“ am Theater für Niedersachsen

Teil einer alljährlichen Mehrsparten-Trilogie

Deutschlandweit einmalig ist das Programmkonstrukt von Intendant Oliver Graf, dass es jede Spielzeit zum gleichen Stoff je eine Neuproduktion aus den Sparten Musiktheater, Schauspiel und Tanz gibt, welche im folgenden Herbst alle drei an einem einzigen Tag gezeigt werden. So folgt im Januar 2026 nach der Eulenspiegel-Oper die gleichnamige Sprechtheater-Uraufführung von Moritz Nikolaus Koch und im April ein „Partizipatives Tanzstück über Schelm_innen, Normen und die Kunst des Widerstands“, eine Koproduktion mit der Tanzkünste-Schule Saltazio.

Lars Linnhoff entwickelte mit den Produktionsteams das für alle drei Stücke stimmige Bühnenbild aus über Seilen hängenden und die Spielfläche begrenzenden Stoffbahnen. Amelie Müller schuf kontrastreiche Kostüme mit Märchenrealismus, dystopischer Action Fiction und zeitloser Gegenwart.

Szenenbild aus „Till Eulenspiegel“ am Theater für Niedersachsen
Szenenbild aus „Till Eulenspiegel“ am Theater für Niedersachsen

Leichtigkeit als Qualitätsmultiplikator

Darin konnte Jan Langenheim bei seinem Regiedebüt im Musiktheater auch politische Anspielungen positionieren: Ein Zeichen waren die Untertitel in deutscher und ukrainischer Sprache. Zwischen dem zweiten Akt und dem szenischen Nachspiel standen die Solisten vor dem Vorhang und setzten in ihren Herkunftssprachen Statements zu den Bauernkriegen vor fünfhundert Jahren, zu Utopien und Warnungen. Langenheim gelang vor allem eine ernste Leichtigkeit, die sich Soli und Chormitglieder für die dadurch noch bewegendere Handlung zu eigen machten.

Mit ebenbürtiger Beschwingtheit beflügelte GMD Florian Ziemen die tfn-Philharmonie und alle Stimmen. Diese Lesart holte Reize aus der Partitur, weil sie Rezniceks Weiterdenken der Errungenschaften deutlicher in den Fokus rückte als sein ebenfalls auffälliges Epigonentum. Das Premierenpublikum jubelte eine knappe Viertelstunde. Fazit: Zum Nachspielen dringend empfohlen.

Theater für Niedersachsen
Reznicek: Till Eulenspiegel

Florian Ziemen (Leitung), Jan Langenheim (Regie), Lars Linnhoff (Bühne), Amelie Müller (Kostüme), Andri Hardmeier (Dramaturgie), Achim Falkenhausen (Chor), Tobias Hieronimi, Andrey Andreychik, Neele Kramer, David Soto Zambrana, Gabrielė Jocaitė, Opernchor des tfn, Extrachor des tfn, tfn-Philharmonie






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