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Opern-Kritik: Opernhaus Wuppertal – Madama Butterfly

Psychothriller im Seelenraum

(Wuppertal, 16.10.2015) Dominik Neuner zelebriert die rare Kunst der feinsten Menschendarstellung

vonAndreas Falentin,

Dominik Neuner sieht Giacomo Puccini offenbar als direkten musikalischen Nachfahren Mozarts. Seine Wuppertaler Butterfly zielt kaum auf emotionale Überwältigung, sondern auf differenzierte Menschendarstellung. Die von Neuner selbst entworfene, von einer großen weißen Schräge, aus der malerisch ein toter Baum ragt, dominierte, gleichsam semi-abstrakte Bühne taugt durchaus zum Seelenraum. Und der Regisseur versteht sich auf die rare Kunst subtiler Personenführung. Nur wurzelt Mozart eben doch viel mehr in der Lebenswirklichkeit, ist selbst heute noch unserem Alltag nahe, lädt dazu ein, uns ironisch den Spiegel vorzuhalten. Während Puccini eben hauptsächlich ein Großmeister der Wirkungsmacht und des Sentiments ist, der Konflikte wie Exotismen konsequent als Mittel zum allemal hochwertigen Zweck einsetzt, zumal in Madama Butterfly.

Semi-abstrakter Scheinrealismus

Wann immer Neuners Inszenierung sich ins konkrete Milieu wagt, etwa mit den Klischee-Japan nicht nur streifenden Kostümen von Ute Frühling oder mit scheinrealistischen Details wie jeder Menge Teetassen oder Schnittblumen, gefährdet er seinen eigenen Zugriff. Dann verflacht der intendierte packende Psychothriller ins kleinlich Dekorative, besonders deutlich bei der steifen Hochzeitsszene im ersten Akt mit dem viel zu braven Auftritt des wilden Bonzen, den Marc Kugel gleichwohl hervorragend singt.

Packende Konfrontationen der Hauptfiguren

Seine starken Momente hat dieser Abend in den differenziert gestalteten Konfrontationen der Hauptfiguren. Höhepunkt ist zweifellos die Szene Butterfly – Sharpless im zweiten Akt. Mit herrlich strömendem, nie dröhnendem Bariton und subtil zurückhaltendem aber nicht beliebigem Spiel gestaltet Heikki Kilpeläinen plastisch die schuldbewusste Kultiviertheit des Konsuls. Und Hye-Won Nam nimmt durch ungewöhnlich natürliche Körpersprache und die große Ausdrucksvielfalt ihres jugendlich-schlanken, leicht körnigen Soprans intensiv für das furchtbare Schicksal der Titelfigur ein. Ein wenig blasser bleibt der kontrollierte Pinkerton von Timothy Richards, dem Neuner stimmig die wenigen ironischen Momente seiner Inszenierung zugeschrieben hat.

Ulrich Windfuhrs Bewerbungsschreiben für den vakanten GMD-Posten

Auch das Sinfonieorchester Wuppertal hat einen guten Tag erwischt. Es spielt fühlbar engagiert, die vielen Soli kommen tadellos. Zumal Ulrich Windfuhr sowohl einen großen musikalischen Bogen über das Stück spannt, als auch die Modernität der Partitur in selten gehörter Deutlichkeit vorführt. An etlichen Stellen meint man zu hören, dass Puccini ein Verehrer Schönbergs war. Vielleicht fehlt seinem Dirigat gelegentlich etwas überbordende, dramatische Energie, kommen einige emotionale Höhepunkte ein wenig sachlich daher. Dennoch hat Windfuhr, ehemals Generalmusikdirektor der Stadt Kiel, ein starkes Bewerbungsschreiben für den vakanten GMD-Posten in Wuppertal abgegeben, was, wie bei der misslungenen Salome im Frühjahr, vier weitere Aspiranten in den nächsten Vorstellungen tun werden.

Opernhaus Wuppertal

Puccini: Madama Butterfly

Ulrich Windfuhr (Leitung), Dominik Neuner (Inszenierung & Bühne), Ute Frühling (Kostüme), Jens Bingert (Chor), Hye-Won Nam, Timothy Richards, Heikki Kilpeläinen, Viola Zimmermann, James Wood, Marc Kugel, Opernchor der Wuppertaler Bühnen, Sinfonieorchester Wuppertal

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