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Reportage: Isarphilharmonie

Glanzvolles Provisorium

Im Oktober eröffnet in München die Isarphilharmonie, die nicht nur die Interimsspielstätte der Philharmoniker sein soll. concerti sah sich im Mai auf der Baustelle um.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Da tanzt der Kran im 3/4-Takt des Scherzos aus Bruckners siebter Sinfonie, hievt die schweren Holzstapel, Betonplatten und Glaselemente in die Konstruktion. Beim Trompetensignal steht sie endlich, die Fassade der neuen Isarphilharmonie. So zu sehen und zu hören auf einem Video, das die Fortschritte auf der Baustelle zwischen November 2020 und April 2021 im Zeitraffer dokumentiert.

Bei der Begehung der Baustelle Ende Mai kreischen allenfalls die Sägen, hört man es metallisch Hämmern und tief Wummern, die übliche Baulärm-Kakofonie. Alle sind sie da, um ihr neue „Interimsphilharmonie“ zu präsentieren: das Management der Münchner Philharmoniker nebst ihrem Chef Valery Gergiev und Max Wagner, Chef des Kulturzentrums Gasteig, das jetzt wegen Sanierung geschlossen wird. Selbst unterm gelben Bauarbeiter-Helm, auf dem „Der Neue Gasteig“ steht, ist die Freude zu spüren, dass endlich wieder etwas gedeiht in dieser trostlos lähmenden Coronazeit. Und dies in einem Tempo, bei dem man nur staunen kann, in Anbetracht der ewigen Diskussionen um das Münchner Konzerthaus im Werksviertel am Ostbahnhof, bei dem immer noch nicht der erste Spatenstich gesetzt ist. In der verplemperten Zeit hätte ein Bruckner noch ein paar Sinfonien schreiben können.

Doch hier in Sendling auf dem alten Industriegelände der Stadtwerke an der Isar gegenüber vom Heizkraftwerk Süd geht es prestissimo zu und bleibt man im „Zeit und Kostenbudget“, wie Paul Müller, der Intendant der Münchner Philharmoniker, stolz betont.

Außen prosaisch grau, innen mystisch düster

70 Millionen Euro hat man für alle vier geplanten Bauten auf dem Areal kalkuliert, 40 Millionen davon allein für die Philharmonie. Von außen sieht man einen prosaischen grauen Kubus aus Beton; im Inneren aber ist der Saal als klassische „Schuhschachtel“ konzipiert, mit Kassetten-Wänden aus schwarz gebeiztem Nadelholz. Lediglich die Bühne hebt sich in lichtem Ahorn ab. Mystisch düster wirkt der Raum und etwas gewöhnungsbedürftig. Noch steht kein Stuhl, noch liegt kein Parkett aus, doch schon sei „der Applaus zu spüren“, hört man im Juli den Cellisten Daniel Müller-Schott in der Süddeutschen Zeitung sagen. Gergiev sekundiert: „Mit der Isarphilharmonie eröffnen wir eine zukunftsweisende Konzertstätte mit exzellenter Akustik“ – zur Freude gewiss von Yasuhisa Toyota. Die Elbphilharmonie, die Philharmonie de Paris und die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles hat der Star-Akustiker bereits ausgestattet und nun auch die Isarphilharmonie.

Mit der Anbindung des Konzertsaals an die alte Trafohalle der Stadtwerke, die historische „Halle E“, gelang den Architekten von Gerkan, Marg und Partner ein architektonischer Coup. Außen roter Backstein, innen helles Art déco, mit abgehängter Glasdecke über einem verglasten Spitzdach. So mutiert die hundert Jahre alte Lagerhalle zum eleganten Entrée der 1 800 Zuschauer, die im Konzertsaal Platz finden. Jene, die es nicht schaffen, können im Kino oder im Lesecafé der mehrstöckigen „Open Library“ verweilen, eine Stadtbibliothek nach skandinavischem Modell ohne feste Öffnungszeiten und Aufsicht.

Isarphilharmonie
Isarphilharmonie

Alles ist auf schnellen Auf- und Abbau ausgelegt: Isarphilharmonie

Noch verstellt ein gewaltiges Gerüst in der Halle den Blick auf die taubenblauen eleganten Galerien und die alte gelbe Kranbrücke, die man dort belassen wird. Während Max Wagner mit dem Gedanken spielt, dass hier auch die eine oder andere Elektroparty veranstaltet werden kann, schwärmt Christian Beuke, Managmentdirektor der Philharmoniker, von der „supergenialen Logistik“, die auf kürzestem Weg Bühneneingang, Bühne und LKW-Laderampe miteinander verbindet: „Man ist sofort im Backstagebereich, und es kann losgehen“.

Beuke ist elektrisiert, wie auch Orchestervorstand Matthias Ambrosius, als er vom „Riesenkatalog mit Ideen und Formaten“ spricht, über die sie sinniert haben. Live-Acts bis in die tiefe Nacht mit Jazz, DJs und VJs gehören dazu wie ein Absacker mit den Musikern nach jedem Konzert im Nach(t)klang. Am zwölf Meter langen Bar-Tresen in Halle E wird schon gearbeitet! Außerdem sind Projekte mit Christoph Marthaler geplant, bei denen die „Musiker zwei Wochen vorher erfahren, was passieren wird“, dazu Festivals, Uraufführungen, viel Richard Strauss und Senta und die verfluchte Partitur, ein „Grusical“ für Groß und Klein. Last but not least soll es Wandelkonzerte geben, die über das Gelände des Quartiers führen, auf dem bald auch die Multifunktions-Halle X stehen wird wie auch ein Bau für die Münchner Volkshochschule und die Musikhochschule. Alles ist auf schnellen Auf- und Abbau ausgelegt, schließlich soll es bei einer „Interims-Philharmonie“ bleiben.

5 000 Euro Preisgeld winkten, um einen etwas einladenderen Namen für die Interimsphilharmonie respektive „Halle E“ zu finden. 3 814 Bürger-Vorschläge gingen ein, 139 wünschten sich den Namen „Isarphilharmonie“ für den Saal und sieben den Namen „HP8“ für das Areal, ein Kürzel der Adresse Hans-Preißinger-Straße 8. Bei so vielen Gewinnern blieben nur 34,50 Euro für jeden einzelnen übrig, die nun mit Konzerteinladungen und Gutscheinen aufgestockt werden.

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