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Rezension Christian Tetzlaff – Adès: Violinkonzert „Concentric Paths“

Historisierend, gleichsam futuristisch

Christian Tetzlaff und das BBC Philharmonic Orchestra bringen unendliche Melodien in Violinkonzerten von Thomas Adès und Edward Elgar zum Klingen.

vonPatrick Erb,

Zu den Endmoränen spätromantischer Klangentfaltung zählt zweifellos auch Elgars nuancenreiches Violinkonzert. 1910 für Fritz Kreisler geschrieben, hat es den Geschmack seiner Zeit fast überdauert und erfreut sich vor allem im 21. Jahrhundert wachsender Beliebtheit. Davon kündet nun Christian Tetzlaffs neuestes Projekt mit dem BBC Philharmonic unter seinem Chefdirigenten John Storgårds. Gekonnt verstehen es die Briten, den noblen, konservativen Geist dieses Konzerts bildreich in Szene zu setzen – von den nebulösen Fetzen des Orchesterthemas, die vom Beginn an im Raum zu schweben scheinen, über das unablässige Fortspinnen einer ewigen Melodie bis hin zu jenem Pathos und jener gravitätischen Last, an der das Werk sich beinahe selbst zu erdrücken droht.

Tetzlaffs Soli wirken dabei keineswegs museal. Vielmehr bedient er die schönste Form der Willkür: das freie Fantasieren. Nichts kommt zum Stillstand, selbst die Orchesterreprisen verweilen nicht. Immer zieht die Musik weiter, atmet, drängt nach vorn. Der stetig romantiktrunkene Wechsel aus flüchtigen Triolen und markanten Schlägen im ersten Satz, der meditative Gestus mit seinem sonnigen Aufklaren im zweiten – all das zeigt die Klasse des Violinisten. Schließlich dominiert im virtuosen Finale nicht einfühlsame Lyrik, sondern expressive Figuration.

Nur etwa halb so lang ist das in drei Abschnitte gegliederte Violinkonzert des zeitgenössischen Erfolgskomponisten Thomas Adès. Dessen Werk mit dem verheißungsvollen Beinamen „Concentric Paths“ steht auf den ersten Blick im vollen Kontrast zu Elgar – ein irisierender Ausflug in die Tiefen des Nachthimmels, in die Weiten des Alls. In der Melodieführung nicht minder komplex, entfalten sich hier Klänge von bedrückender Leere bis zu verstörender Archaik: ein fluktuierendes Gebilde auf der Suche nach postmoderner Klangästhetik. Wo Elgar eine Sepiatrübung bevorzugt, erklingt Adès in kristallwasserklaren Tönen. Und doch sind beide Konzerte durch die Idee der „unendlichen Melodie“ miteinander verbunden, vielleicht als Brüder im Geiste? Hier werden sie vortrefflich interpretiert.

Christian Tetzlaff
Christian Tetzlaff

Adès: Violinkonzert „Concentric Paths“, Elgar: Violinkonzert h-Moll op. 61

Christian Tetzlaff (Violine), BBC Philharmonic Orchestra, John Storgårds (Leitung)
Ondine

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