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Blickwinkel: Christine Siegert

„Wir staunen über Beethovens Aktualitätsbezug“

Auch nach seinem Jubiläumsjahr bietet Ludwig van Beethoven immer wieder aktuelle Bezugspunkte. Christine Siegert, Leiterin des Forschungszentrums am Beethoven-Haus Bonn, über die neue Veranstaltungsreihe „Das Bridgetower Projekt“, die sich den Themen Rassismus, Diskriminerung und Diversität stellt.

vonSusanne Bánhidai,

Die Veranstaltungsreihe ist nach dem Geiger George Bridgetower benannt. Wer war er?

Christine Siegert: George Bridgetower war ein Geiger der Beethoven-Zeit, der am Hof des Fürsten Esterházy aufgewachsen ist. Wir kennen diese musikliebende Adelsfamilie aus der Haydn-Biografie. Dort bekam er bereits als Kind viele musikalische Anregungen, die dazu führten, dass er eine internationale Karriere als Virtuose machen konnte, insbesondere war er in London präsent. Ungewöhnlich an ihm war, dass er einen Vater schwarzer Hautfarbe hatte, der als sogenannter „Hofmohr“ oder „Kammermohr“ bei der Familie Esterházy angestellt war. Er war bei weitem nicht der einzige schwarze Musiker in Europa in dieser Zeit. Wenige waren jedoch im traditionellen Konzertbetrieb tätig, und von diesen kennen wir heutzutage wiederum auch nur wenige. Bridgetower ist für uns so interessant, weil er einen starken Bezug zu Beethoven hat.

Nämlich welchen?

Siegert: Beethoven hat für ihn die Violinsonate Nr. 9 A-Dur op. 47 komponiert, die heute allgemein als „Kreutzersonate“ bekannt ist. Beethoven und Bridgetower haben das Werk 1803 gemeinsam zur Uraufführung gebracht. Sie ist auf die enormen virtuosen Fähigkeiten des Geigers zugeschnitten. Dass Beethoven die Sonate Rodolphe Kreutzer gewidmet hat, führte dazu, dass die Erinnerung an Bridgetower verblasst ist. Kreutzer kommt eine Rolle zu, die zumindest musikalisch nicht begründet ist. Er hat die Sonate unseres Wissens nie gespielt.

Wie kam es denn zu dieser Widmung, die nicht an den Geiger der Uraufführung ging? Was für Gründe stecken wohl dahinter?

Siegert: Es ist keinesfalls belegt, dass Beethoven die Sonate Bridgetower nicht widmete, weil er schwarzer Hautfarbe war. Allerdings gibt es keine einzige Widmung an einen schwarzen Musiker aus dieser Zeit, die uns bekannt ist. Vor allem aber ist wichtig: Beethoven ist bei Widmungen immer sehr strategisch vorgegangen. In der Zeit wollte er sich stärker in Paris etablieren und hatte sogar Pläne, nach Frankreich überzusiedeln. Sicherlich hatte er die Vorstellung, dass der französische Geiger Kreutzer, der auch sehr eng mit Napoleon verbunden war, ihm helfen würde. Bridgetower hat von Beethoven das Autograf mit einer Widmung an ihn erhalten, das man im digitalen Beethoven-Haus auch einsehen kann. Die Hintergründe um Bridgetower rücken nun immer mehr in den Fokus. Diejenigen, die sich schon länger mit der Kreutzer-Sonate beschäftigen, wissen natürlich vom Geiger der Uraufführung.

Wie entstand das Bridgetower Projekt?

Siegert: Ein wichtiger Ausgangspunkt ist ein Haus, das zum Komplex des Beethoven-Hauses gehört, und zwar das Haus von Beethovens Patin Gertrud Baum. Hier soll das Fest zu Beethovens Taufe stattgefunden haben, sein Freund Franz Gerhard Wegeler hat hier einige Zeit gewohnt. In diesem Haus war im 19. Jahrhundert ein Kolonialwarenladen und es trägt den Namen „Im Mohren“. Am Haus prangt eine schwarze Figur, spärlich mit Federschmuck bekleidet. Das fällt im Stadtbild von Bonn auf, wir wurden oft darauf angesprochen. Durch die aktuellen Diskussionen um Rassismus ist uns bewusst geworden, dass wir uns dazu verhalten müssen. Wir können nicht so tun, als würde die Geschichte des Beethoven-Hauses um 1800 enden. Auch das „Haus im Mohren“ ist Teil unserer Geschichte. Wir im Forschungszentrum haben für die Veranstaltungsreihe Themen gesucht, die etwas mit Beethoven, dem Haus „im Mohren“ oder dem heutigen Konzertbetrieb zu tun haben, um unseren Beitrag zur Bekämpfung von Rassismus beizutragen.

Welche Aspekte beleuchtet die Reihe, wen kann man erleben?

Siegert: Die berühmteste Gesprächspartnerin ist sicherlich Grace Bumbry. Sie war die erste schwarze Sängerin, die in Bayreuth aufgetreten ist – als Venus in Wagners „Tannhäuser„. Das hatte seinerzeit ein starkes Medienecho hervorgerufen, sie war auch Anfeindungen ausgesetzt. So eine Persönlichkeit bei uns begrüßen zu dürfen ist natürlich ein Höhepunkt. Wir hoffen, an ihrer Geschichte teilhaben zu können. Sicher wird sie auch über ihr Engagement für das Erbe der afroamerikanischen Musik sprechen. Mehrere Vorträge beleuchten Themen wie Diskriminierung und Diversität im heutigen Konzertbetrieb sowie historisch, beispielsweise wie „People of Colour“ auf der Opernbühne der Beethoven-Zeit dargestellt wurden.

Und dann bekommen Sie im Juni 2022 noch Besuch aus den USA.

Siegert: Im Juni gibt es sogar eine Uraufführung im Rahmen des „Bridgetower Projekts“. Daniel Hope hat den Kontakt zum amerikanischen Komponisten Jake Heggie hergestellt, der ein Stück über die Beziehung von Bridgetower und Beethoven schreiben wird. Es ist toll, dass unsere Auseinandersetzung mit diesem Thema so eine produktive Wendung bekommt und wir an der Entstehung eines neuen Kunstwerkes beteiligt sein dürfen.

Ihr Präsident Daniel Hope gab den Anstoß zu diesem Projekt?

Siegert: Daniel Hope hat uns sehr darin bestärkt, ein solches Projekt aufzusetzen und mit eigenen Ideen die Reihe sehr bereichert. Ihm selbst war die Verbindung zu Bridgetower wichtig und er hat den Titel gut gewählt. Ich bin der festen Überzeugung, dass man Themen wie Rassismus und Diskriminierung am besten an einer konkreten Person aufhängt, anstatt sie nur theoretisch zu behandeln.

Wie sehen Sie die da die Rolle des Beethoven-Hauses?

Siegert: Wir sehen uns einerseits als Veranstalter und Impulsgeber für ein breites Publikum. Bei der Auftaktveranstaltung kamen viele Bonner, aber auch Menschen aus dem Ausland, die diesen Aspekt der Beethoven-Forschung noch nicht kennen. Andererseits ist die Reihe, die über drei Jahre angelegt ist, ein Akt der Selbstreflektion. Wir am Haus werden selbst sehr viel über den Komponisten lernen. Wir staunen immer wieder über Beethovens Aktualitätsbezug.

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