42. Dresdner Musikfestspiele | Interview mit Festivalintendant Jan Vogler

„Es gibt in Deutschland eine andächtige Art des Zuhörens, die ich nicht missen möchte“

Mehr „Visionen“ braucht das Land – Festivalintendant Jan Vogler feiert mit den Dresdner Musikfestspielen hundert Jahre Bauhaus.

© Jim Rakete

Jan Vogler

Jan Vogler

Die diesjährigen Dresdner Musikfestspiele stehen unter dem Motto „Visionen“. Da auch Uraufführun­gen Visionen davon sind, wel­che Richtung Musik einschlagen kann, gibt es eine ganz besondere Weltpremiere: Zu­sammen mit dem WDR Sinfo­nieorchester unter seinem neuen Chef Cristian Măcelaru bringt Jan Vogler ein Cellokon­zert zur Uraufführung, zu dem drei Komponisten aus drei Kontinenten je einen Satz bei­ gesteuert haben.

Herr Vogler, was erwarten Sie sich von der besonderen kompositorischen Konstellation des Cellokonzerts?

Vogler: Es ist eine besondere Gelegen­heit, mit drei so unterschiedli­chen Komponisten parallel arbeiten zu können! Zhou Long, Sven Helbig und Nico Muhly ergänzen sich wunder­ bar. So wie dieses Cellokonzert könnte unsere heutige Welt sein: farbig und kontrastreich, in glücklicher kultureller Ko­existenz.

Wie gut kennen Sie die drei Komponisten?

Vogler: Zhou Long war vor ungefähr fünfzehn Jahren gemeinsam mit seiner Frau Chen Yi Com­ poser in Residence bei meinem Moritzburg Festival. Es gab viele Gespräche bei Proben, Essen und Spaziergängen. Ganz ähnlich verhält es sich bei meiner Bekanntschaft mit Sven Helbig: Auch hier stand die Zusammenarbeit in Moritz­burg am Anfang. Nico Muhly kenne ich persönlich erst seit Kurzem, aber seine originellen Kompositionen interessieren mich schon länger.

Lässt sich das Cellokonzert als „klangliche Weltreise“ verstehen?

Vogler: Das wäre ein guter Titel! Ja, jeder der Komponisten steht in einer klaren Tradition. Auch wenn wir uns ab und zu als musikalische Rebellen fühlen: Unsere Lehrer, Umgebung und jeweilige Kultur haben uns geprägt. China, die USA sowie Deutschland und Europa – das Stück umspannt drei große Kulturkreise unserer Zeit. Um bei dem Reisebild zu bleiben: Die Musik schickt uns alle zehn Minuten auf einen anderen Kontinent. Das ist nicht nur spannend, sondern durchaus auch sehr unterhaltsam.

Ihre Dresdner Musikfestspiele 2019 haben Sie mit „Visionen“ überschrieben. Was ist für Sie eine Vision?

Vogler: Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Das war sehr richtig zu seiner Zeit, in der es um den Aufbau Deutschlands ging, um eine bodenständige Politik. Ich finde aber, dass wir heute im reichen Deutschland zu wenige Visionen haben, wir leiden an Visionslosigkeit im Hinblick auf Architektur, auf erneuerbare Energien, auf Um­welttechnologien und vieles anderes – wie auch im Hinblick auf die Zukunft der klassischen Musik. Als ein in New York lebender Musiker denke ich: Wir brauchen den globalisier­ten Blick.

Auch das Bauhaus spielt bei den Festspielen eine Rolle.

Vogler: Das Bauhaus vor hundert Jah­ren war selbst eine große Vi­sion, die nicht nur auf die Ar­chitektur strahlte, sondern auch auf die Lebenskultur, auf die Musik, auf die Kunst. Bis heute eigentlich. Ferner wollen wir die Genregrenzen über­schreiten, mit einer Jazz­-Gala, mit Weltmusikkonzerten. Auch Eric Clapton kommt …

Ein Freund aus New York wie Bill Murray, den Sie auch gut kennen?

Vogler: Ja. Wir haben uns zufällig in Europa kennengelernt und werden in Dresden auch ge­meinsam auftreten.

Gibt es Momente, in denen Sie das beschauliche Dresden vermissen?

Vogler: Nein, ich bin ja so oft da. Ich liebe den Kontrast. Es gibt in Deutschland eine Art Versen­kung beim Hören von Musik, eine Atmosphäre der Stille, eine fast andächtige Art des Zuhörens, die ich nicht missen möchte. In Amerika möchte das Publikum unterhalten werden, und ich fühle mich verant­wortlich dafür – als Entertainer, als jemand, der für sein Publi­kum spielt. Es macht riesigen Spaß, wenn man die Schlacht gewonnen und das Publikum auf seine Seite gebracht hat. Aber es gibt auch in Amerika Hörer, die das Köchelverzeich­nis auswendig kennen und Musik als Stimulation des Geis­tes empfinden.

Dresdner Musikfestspiele

Dresdner Musikfestspiele

18. Mai bis 18. Juni 2023

Die Dresdner Musikfestspiele finden seit 1978 jählich zwischen Mitte Mai und Mitte Juni statt. Seit 2009 ist der Cellist Jan Vogler Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Das Motto der Musikfestspiele 2023 lautet: „SCHWARZWEISS“. weiter

Termine

Freitag, 28.04.2023 20:00 Uhr Elbphilharmonie Hamburg

Eröffnungskonzert

Internationales Musikfest Hamburg
Sonntag, 30.04.2023 11:00 Uhr Elbphilharmonie Hamburg

Eröffnungskonzert

Internationales Musikfest Hamburg
Freitag, 05.05.2023 20:00 Uhr Kulturpalast Dresden
Donnerstag, 08.06.2023 19:30 Uhr Kulturpalast Dresden

Rezensionen

Rezension Jan Vogler – Popsongs

Klassischer Pop

Cellist Jan Vogler liefert einen individuellen Ritt durch die Musikgeschichte mit „Popsongs“ von früher und heute. weiter

CD-Rezension Jan Vogler & Mira Wang – Doppelkonzerte

Perfektes gemischtes Doppel

Das Ehepaar Jan Vogler und Mira Wang suchte Werke, die es mit dem Doppelkonzert von Johannes Brahms aufnehmen können – und sind fündig geworden weiter

CD-Rezension Jan Vogler spielt Schumann

Blick auf Dresden

Kerniger Schumann aus Dresden: Jan Vogler hat sein Stradivari-Cello mit Darmsaiten bespannt und meistert den Solopart ohne Mätzchen weiter

Kommentare sind geschlossen.