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Interview Tabea Zimmermann

„Gewisse Klischees bestätigen sich“

Tabea Zimmermann über ihre Kindheit mit der Bratsche, Mittelstimmentypen und das richtige Sternzeichen für ihr Instrument

vonJakob Buhre,

Tabea Zimmermann, 1966 im badischen Lahr geboren, studierte in Freiburg/Breisgau und bei Sandor Végh in Salzburg. Mit 21 Jahren übernahm sie eine Professur in Saarbrücken, seit 2002 unterrichtet sie in Berlin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Sie hat zahlreiche ihr gewidmete Werke uraufgeführt, u.a. von Wolfgang Rihm und György Ligeti. Mit ihren drei Kindern und ihrem Mann, dem Dirigenten Steven Sloane, lebt Tabea Zimmermann im Ruhrgebiet.

Frau Zimmermann, Sie haben schon mit drei Jahren angefangen, Bratsche zu spielen. Wie kam das?

Das war bei uns in der Familie begründet, ich war das vierte Kind, und meine Geschwister spielten bereits Klavier, Geige und Cello. Jeder hatte sein Revier, und ich wollte da meinen Geschwistern nicht in die Quere kommen, nicht die gleichen Stücke spielen. Wobei sich eine kleine Bratsche nicht wirklich von einer kleinen Geige unterscheidet. Mein Lehrer hat mich wie einen Geiger behandelt, ich habe alles gelernt, was die Geiger auch gelernt haben. Trotzdem hatte ich die Illusion, dass ich etwas ganz Anderes mache, um mich von meiner Schwester abzugrenzen.

Können Sie sich noch an die Zeit erinnern, als Sie anfingen?

Ich könnte jetzt nicht sagen, was wirklich Erinnerung ist und was ich durch Erzählungen und Fotos von damals weiß. Vom dritten bis zum 13. Lebensjahr war ich bei meinem ersten Lehrer, das war eine sehr prägende Zeit: Ich hatte dreimal pro Woche Unterricht, wir haben Kammermusik gemacht, im Orchester zusammengespielt, ich hatte ein Streichquartett und ein Trio mit meinen Schwestern.

Ab dem wievielten Lebensjahr war Ihre Musikerlaufbahn denn unausweichlich?

Das kann ich nicht genau sagen. Vielleicht mit 13 oder 14.

Hätte die Erfolgsgeschichte auch später losgehen können?

Es hätte alles anders sein können, da muss man nur einen von den vielen Faktoren verändern. Ich hatte das Glück, in einer gro-ßen Familie aufzuwachsen, dazu kam die fantastische Musikschule in der Kleinstadt Lahr mit meinem außergewöhnlich engagierten und pädagogisch begabten Lehrer. Dann war es sicher auch meine relativ stabile Natur, die Fähigkeit, mit Wettbewerben umgehen zu können. Das ist ja etwas, was ein Kind sich nicht von sich aus wünscht, kein Kind sagt „Ich möchte zu ‚Jugend musiziert’ gehen“, sondern das wird von den Eltern oder vom Lehrer an den Schüler herangetragen. Doch mich hat als Kind so eine Wettbewerbssituation überhaupt nicht belastet.

Dass Eltern für Ihre Kinder den Weg so vorzeichnen, ist heute ja eher verpönt. Wie stehen Sie als Mutter dreier Kinder dazu?

Ich sehe das auch sehr zwiespältig. Auf mich selbst bezogen muss ich sagen, dass ich meinen Eltern dankbar bin für das, was sie mir mitgegeben haben. Aber ich kann das meinen Kindern heute so nicht anbieten, denn da war auch eine ganze Menge Druck dabei, da hieß es dann: „Wenn du das Instrument jetzt spielen willst, dann wird auch geübt und zwar heftig viel.“ Da sind viele Bereiche einer normalen Kindheit einfach zu kurz gekommen. Insofern würde ich das heute meinen Kindern niemals antun. Andererseits muss ich sagen: Bei mir hat es sich ausgezahlt. Ich bin heute glücklich mit dem, was ich bekommen habe – es ist ja auch gut gegangen.

Aber das Motto, dass ein Kind zu seinem Glück gezwungen werden muss…

Das lehne ich ab. Wenngleich ich natürlich die Schwierigkeit sehe, auf Musik bezogen: Wenn man nicht früh anfängt und wenn man nicht eine gewisse Disziplin beim Arbeiten hat, dann hat man es wahrscheinlich schwerer.

Sie haben in einem Interview gesagt: „Ich bin ein Mittelstimmentyp.“ Muss man ein Typ für ein bestimmtes Instrument sein, um es erfolgreich zu spielen?

Ich finde diese Frage sehr interessant, kann sie aber nicht richtig beantworten. Weil ich eben schon so früh angefangen habe, dass ich gar nicht weiß, wer ich wäre ohne die Bratsche.

Die Beschreibung als „Mittelstimmentyp“ klingt jedenfalls ein bisschen so, als könnte die Wahl des Instruments von der Persönlichkeit abhängen. Oder gar vom Sternzeichen…

Wir besprechen das im Quartett auch manchmal, weil interessanterweise die beiden Mittelstimmen Waage sind. Es ist schon lustig, dass sich gewisse Klischees manchmal bestätigen.

Was wäre denn eine Charaktereigenschaft, die Ihrer Erfahrung nach eher auf Bratscher und weniger auf Geiger oder Cellisten zutrifft?

Eben schon das Ausgleichende. Ich kann gut vermitteln zwischen den äußeren Stimmen, was aber nicht heißt, dass ich mich beim Proben sehr zurückhalte. Ich formuliere und vertrete da schon meine eigenen Gedanken lautstark, aber im Ernstfall werde ich mich immer unterordnen unter die erste Geige oder die in dem Moment führende Stimme. Ich kann mich gut anpassen, wenn ich es musikalisch richtig finde.

Kommt dieses Vermittelnde auch außerhalb der Musik zum Tragen?

Also, da würde ich mein diplomatisches Geschick vielleicht nicht zu hoch bewerten. Aber sagen wir mal so: Ich habe durch die Musik gelernt. Diese Schulung durch Kammermusik finde ich wirklich fantastisch. Am besten sollte man in allen möglichen Konfliktgegenden die Kinder zum Quartettspiel bringen, weil man so lernt, einen eigenen Standpunkt zwar zu vertreten, aber diesen im Ernstfall auch einer gemeinsamen Idee unterzuordnen.

Hatten Sie es schwerer als die Kolleginnen und Kollegen an der Geige, als Solistin wahrgenommen zu werden?

Ich habe mein Instrument immer nur als Vorteil gesehen. Weil es eben nicht so schnell ging – trotz meiner frühen Wettbewerbserfolge. Als ich in Genf den ersten Preis gemacht habe, war ich ja noch nicht mal 16. Wenn ich Geige gespielt hätte, wäre das vermutlich alles ein bisschen schneller gegangen, aber ich glaube nicht, dass mir das gut getan hätte. Ich bin richtig froh darüber, dass es eher gemütlich losging. Am Anfang habe ich ja nur 20 Konzerte im Jahr gespielt und nicht gleich 100, wie das einer Geigerin viel eher passieren kann.

Lassen sich solche Karriereunterschiede wirklich auf das Instrument zurückführen?

Zum Teil schon. Ich finde auch die Mischung des Repertoires und die Möglichkeiten, die ich habe, ziemlich ideal. Ich kann als Solistin auftreten, Kammermusik machen, Streichquartett spielen, ich bin an der Hochschule, habe die Familie – das sind alles wichtige Bereiche, und jeder befruchtet den anderen. Es ist keine Schmalspuraktivität. Ich weiß auch nicht, ob ich als Geigerin ein so großes Interesse an zeitgenössischer Musik entwickelt hätte. Vielleicht hätte ich mich dann erstmal mit den 20 berühmtesten Violinkonzerten abgefunden. Über die Bratsche bin ich aber sehr früh mit Kammermusik, mit zeitgenössischer Musik und auch mit der Lehre in Berührung gekommen.

Werden Sie heute manchmal noch mit Vorurteilen gegenüber dem Instrument konfrontiert?

Nein. Es geschieht höchstens, dass jemand zu mir kommt und sagt: „Ich hätte gar nicht gedacht, dass das so schön klingen kann.“ (lacht) Ich glaube schon, dass ich die Menschen mit meiner Bratsche und mit meinem Spiel direkt ansprechen kann und dass es dann völlig egal ist, wie das Instrument heißt.

Album Cover für
Sonaten für Viola & Klavier Vol. 1 Tabea Zimmermann (Viola) Kirill Gerstein (Klavier) Clarke: Sonate, Vieuxtemps: Sonate op. 36, Brahms: Sonate op. 120 Nr. 2 Myrios

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