Startseite » Oper » Opern-Kritiken » „Musik ist eine heilige Kunst“

Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Ariadne auf Naxos

„Musik ist eine heilige Kunst“

(Dresden, 2.12.2018) Wenn alles stimmt: Christian Thielemann, ein gefeiertes Ensemble und ein sensibler Regisseur zaubern Richard Strauss.

vonKirsten Liese,

Die Sprecherrolle des Haushofmeisters ist gewöhnlich eine kleinere. Aber an der Semperoper Dresden wird sie dank eines veritablen Besetzungscoups deutlich gewichtiger. Der ältere Herr, der da aus der Proszeniumsloge arrogant die Bedingungen für die zu komponierende Oper diktiert, ist mit Alexander Pereira einer der gefragtesten Kulturmanager der Welt und – wie nun zu erleben – ein begabter Schauspieler obendrein.

Gewagte Besetzungs- und Gedankenspiele

Ob mit diesem exklusiven Auftritt mehr einher geht als ein hübscher Gag? Dass sich der einflussreiche Mann auf die Schnelle noch als neuer Intendant der Osterfestspiele Salzburg bewerben und damit bewirken könnte, dass Christian Thielemann sich nicht den unerwünschten Nikolaus Bachler vorsetzen lassen muss, lässt sich nicht ausschließen. Das wäre wahrlich ein Clou, wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert! Wirklich wahrscheinlich ist das wohl nicht, aber dennoch ein reizvoller Gedanke.

Ariadne auf Naxos: Christian Thielemann als genialer Strauss-Dirigent

Christian Thielemann dirigiert die Sächsische Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann dirigiert die Sächsische Staatskapelle Dresden © Matthias Creutziger

In jedem Fall festigte die grandiose, mit Ovationen gefeierte neue „Ariadne auf Naxos“ einmal mehr Thielemanns hohen Rang als genialer Strauss-Dirigent. Eine vergleichbar filigrane, nuancierte, farbenreiche Wiedergabe dieser Partitur, die Kammermusik auf höchstem Niveau bietet, gelingt derzeit keinem anderen. Noch dazu bescherte der Premierenabend eine ansehnliche, kluge, auf unnötige Aktualisierungsversuche weitgehend verzichtende Inszenierung.

Ein Komponist in der Gefrierkammer

Zwar verirrt sich in der winzigen Rolle des Lakaien ein zotteliger Punk wie ein Fremdkörper in das vor einer schmucklosen Wand mit mehreren Türen (Bühne: Paul Zoller) angesiedelte Vorspiel. Aber bei dieser einen Provokation belässt es David Hermann, der ehemalige Assistent von Hans Neuenfels, der sich ansonsten nur da mit psychologischen Interpretationen als Regisseur einbringt, wo es im Kontext des Librettos Sinn macht. Sein ganz besonderes Interesse gilt dem verzweifelten, zwischen den unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten zerriebenen Komponisten: „Lass mich erfrieren, verhungern, versteinen in der meinigen!“, wünscht er sich zum Ende der Verhandlungen und tritt dabei prompt in eine Gefrierkammer.

Tragikomische Seelenverwandte

Szenenbild aus "Ariadne auf Naxos"
Ariadne auf Naxos/Semperoper Dresden: Daniela Sindram (Komponist) und Daniela Fally (Zerbinetta) © Luwig Olah

In der eigentlichen Oper gesellt sich der Komponist dann nicht zufällig an Zerbinettas Seite in ihrer hoch virtuosen Szene „Großmächtige Prinzessin“, sind doch die beiden zuvor schon zu Seelenverwandten geworden in der Erkenntnis, dass auch lustige, buffoneske Charaktere im Tiefsten ihres Herzens oftmals traurig und einsam sind. Das Komische und das Tragische, vom Haushofmeister nebeneinander in einem Stück gefordert, bilden mithin gar nicht so große Gegensätze, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.

Nach Zerbinettas Arie reißt es selbst Thielemann zu Zwischenapplaus hin

Es liegt etwas sehr Anrührendes, Zärtliches in dieser Begegnung des Schöpfers mit seiner Figur, dafür findet Hermann schlichte, wunderbare Bilder von einer Zerbinetta auf der Schaukel, liebevoll angestoßen durch den Komponisten. Mit Daniela Sindram, deren Mezzosopran in allen Lagen mit warmer Schönheit groß aufblüht, und Daniela Fally als einer ihre anspruchsvollen Koloraturen bis in stratosphärische Spitzen hinein perfekt meisternde Zerbinetta, sind diese Partien freilich auch aufs Trefflichste besetzt. Sogar den Dirigenten Thielemann reißt es nach dieser Arie im Graben zu einem spontanen herzlichen Zwischenbeifall hin.

Ariadne auf Naxos/Semperoper Dresden: Evelin Novak (Najade), Simone Schröder (Dryade) und Krassimira Stoyanova (Ariadne) © Luwig Olah

Zu diesem Zeitpunkt hat sich die Bühne längst geteilt in einen dunklen, kerkerähnlichen Raum, der für das Totenreich steht, nach dem sich die in Trauer erstarrte, von drei Nymphen begleitete Ariadne sehnt, und ein helles, idyllisches Arkadien. Von dort aus bemühen sich Zerbinetta und ihre Begleiter Harlekin, Brighella, Scaramuccio und Truffaldin, die Leidende mit Gesang und Tanz aufzuheitern.

Kluge Regiebezüge zu anderen Gemeinschaftswerken von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal

Dank klassischer Gewänder und Kostüme (Michaela Barth) eröffnen sich hier und da kluge Bezüge zu anderen Gemeinschaftswerken von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, die unterschwellig mitschwingen: Wenn die Primadonna als Ariadne in einem Moment zur Abwehr aller Vergnügungsversuche mit einem Beil in den Vordergrund tritt, denkt man unweigerlich an Elektra, während die Commedia dell’arte Figuren Erinnerungen an den „Rosenkavalier“ wecken.

Szenenbild aus "Ariadne auf Naxos"
Ariadne auf Naxos/Semperoper Dresden: Aaron Pegram (Tanzmeister), Daniela Fally (Zerbinetta), Stephen Gould (Bacchus), Albert Dohmen (Musiklehrer), Krassimira Stoyanova (Ariadne) und Jiří Rajniš (Perückenmacher) © Luwig Olah

Krassimira Stoyanova singt sich zum musikalischen Kraftzentrum der Produktion

Krassimira Stoyanova ist nach Renée Flemming und Soile Isokoski, mit denen Thielemann zuletzt die „Ariadne“ in Wien (2014) und Baden-Baden (2012) aufgeführt hat, derzeit unübertroffen die Beste in der Titelpartie. Mit ihrem kultivierten Schöngesang vom tiefen As des „Totenreichs“ zu strahlenden Höhen, weiten melodischen Bögen und herrlichem Ausdrucksreichtum macht sie Ariadne zum musikalischen Kraftzentrum der Produktion. Dagegen steht der große Wagnertenor Stephen Gould schon im Herbst seiner langen Karriere. Zwar noch allemal souverän und mit Kraft, aber nicht mehr ganz so geschmeidig wie in früheren Jahrzehnten singt er sich durch die unbequem hohen Register seines Bacchus. Als Musiklehrer macht dazu mit Albert Dohmen noch ein weiterer großer einstiger Wagnersänger in einer dankbaren kleinen Altersrolle eine gute Figur.

Szenenbild aus "Ariadne auf Naxos"
Ariadne auf Naxos/Semperoper Dresden: Krassimira Stoyanova (Ariadne) und Stephen Gould (Bacchus) © Luwig Olah

Die hoch motivierten, bestens aufgelegten Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden spielen in allen Sektionen so vorzüglich wie ihr großer Bruder, die Wiener Philharmoniker. Die an diesem Abend ohne den geringsten Kieckser makellos intonierenden Hörner empfehlen sich dabei als eine Klasse für sich. „Musik ist eine heilige Kunst“, lautet ein viel zitierter Satz des Komponisten. Besser ließe sich ihm wohl keine Ehre erweisen.

Semperoper Dresden
R. Strauss: Ariadne auf Naxos

Christian Thielemann (Leitung), David Hermann (Regie), Paul Zoller (Bühne), Michaela Barth (Kostüme), Krassimira Stoyanova, Daniela Fally, Daniela Sindram, Evelin Novak, Simone Schröder, Tuuli Takala, Stephen Gould, Rafael Fingerlos, Albert Dohmen, Carlos Osuna, Torben Jürgens, Alexander Pereira, Aaron Pegram Jiří Rajniš, Sächsische Staatskapelle Dresden

Sehen Sie den ersten Teil des Making-of-Videos von „Ariadne auf Naxos“ an der Semperoper:

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Auch interessant

Rezensionen

  • Asya Fateyeva steht mit Hingabe für die Vielseitigkeit ihres Instruments ein.
    Interview Asya Fateyeva

    „Es darf hässlich, es darf provokant sein“

    Asya Fateyeva, Porträtkünstlerin beim Schleswig-Holstein Musik Festival, spricht über den Reiz und die Herausforderungen des für die Klassik so ungewöhnlichen Saxofons.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!