Diese Rose ist zwar nicht rot, sondern silbern und damit für die Ewigkeit haltbar gemacht – doch ihr Duft wirkt nicht minder betörend, ja erotisierend. Schließlich hat ihr Überbringer, der Rosenkavalier, „einen Tropfen persischen Rosenöls darein getan“. Wenn Octavian im zweiten Aufzug Sophie die symbolisch aufgeladene Blume zueignet, tut er dies zwar als offizieller Brautwerber für den heruntergekommenen, übergriffigen Baron Ochs, doch Richard Strauss macht in „Der Rosenkavalier“ mit den Zauberklängen der überirdisch glitzernden Celesta sogleich deutlich: Genau diese beiden jungen Leut‘ sind füreinander bestimmt, sie werden sich am guten Ende fraglos kriegen.
Wenn sich nun am Theater Lübeck Karola Sophia Schmid als Sophie und Frederike Schulten als Octavian nacheinander mit einer nachgerade huldvollen Verbeugung dem aromatischen Gewächs (und erstmals auch einander) zuwenden, scheint in der Neuinszenierung von Michael Wallner jene ikonisch gewordene Rosenüberreichung erneut auf, die einst Lucia Popp und Brigitte Fassbaender in der Regie von Otto Schenk ausprägten. Alte Szenenfotos künden von diesem magischen Moment. Der österreichische Schauspieler, Regisseur und Autor erweist der Interpretationsgeschichte des Werks seine Referenz, er bekennt sich zu Ort und Zeit des Stücks, wie sie von Hofmannsthal und Strauss intendiert waren. Wallner zeigt: Wir befinden uns im spätbarocken Wien zur Zeit der ersten Regierungsjahre der Maria Theresia.

Das authentische Raumgefühl für den nostalgisch melancholischen Ton des Werks
Verstaubt historisierend geht es in den Bühnenbildern von Stefan Rieckhoff und den Kostümen von Tanja Liebermann freilich nie zu. Sondern liebevoll und detailgenau auf Text und Musik hörend und damit Werkschichten freilegend, die weder in praller Aktualisierung noch in plumper Persiflage zum Ausdruck kämen. Wienprojektionen auf die Rückwand – von hochadeligen Palais‘, von Prunkräumen, die dem Spiegelsaal von Schloss Schönbrunn nachempfunden sind, von vornehmen Häuserfluchten des ersten Bezirks, des Stephansdoms, schließlich vom Vergnügungsviertel des Praters – geben dem nostalgisch melancholischen Ton des Werks das authentische Raumgefühl.
Die im Lever des ersten oder der Beisl-Szene des dritten Aufzugs mitunter manisch musicalhafte, karnevaleske, bunt diverse Kostümschlacht gerät dabei dennoch nie zur allein atmosphärischen Ausstaffierung des üppigen Kolorits. Sie spricht vielmehr vom lustvollen Sich-In-Szene-Setzen des gewöhnlichen wie des außergewöhnlichen „Bagagi“, vom Spiel mit den multiplen Geschlechterrollen und Geschlechterbildern. Die von Hofmannsthal behauptete „wienerische Maskerad‘“ findet ihre fulminante Entsprechung, freilich nicht als Äußerlichkeit, sondern als Essenz des Wienerischen Seins, in dem stets zu hinterfragen bleibt, was denn da gerade mehr Schein als Sein ist, was selbstgewählte oder von außen erfahrene Zuschreibung von Stand, Geschlecht und Rolle sein mag.

Authentizität und Heutigkeit im Rokokokostüm
Setzt die Inszenierung somit auf das Ewige und Allgemeingültige des Stücks, beweist das exquisite junge Ensemble, dass diese ewigen Fragen auch die unsrigen sind: die auf Sicht zum Scheitern verurteilte Affäre des sich erotisch ausprobierenden Teenagers Octavian mit der erfahren reflektierten, weisen, dennoch depressiv veranlagten Mitdreißigerin der Marschallin; der am Ende in seine Schranken verwiesene, gewissenlos seine gesellschaftliche Überlegenheit in sexuellen Übergriffen ausnutzende alternde Mann Ochs; das Nachsinnen über das Verfließen und Verrinnen der Zeit und der schwindenden Bedeutung der eigenen Generation.
Auch im Rokokokostüm wirken all diese Fragen dank der ausgefeilten Personenregie und Choreographie absolut heutig, da Michael Wallner das emanzipatorische Potenzial zumal der Frauenfiguren, das bei den Autoren bereits deutlich angelegt ist, feinfühlig schärft. Karola Sophia Schmid spielt eine Sophie, die sehr genau weiß, was und wen sie nicht will und wie sie ihren eigenen Willen durchzusetzen weiß. Ihr glitzernder, grazil höhenheller Sopran hat dazu die Durchsetzungskraft des Delikaten. Frederike Schulten verströmt als Octavian weniger den androgynen Touch einer Fassbaender, ihr Mezzo hat jugendlichen Charme, natürliche Direktheit und Klarheit.
Sie muss dabei in ihren Bewegungen das Männlichsein des Grafen nie demonstrieren, ja, dieser Octavian könnte in der Tat auch eine junge Gräfin sein, die sich im Bett der Marschallin den Vorzügen gleichgeschlechtlicher Erfahrungen versichert. Evmorfia Metaxaki ist als Marschallin eine attraktive Frau in den besten Jahren, der man angesichts der Vernachlässigung durch ihren Ehemann den Seitensprung mehr als gönnt. Dabei beweist sie stets standesgemäße Haltung, darin Mozarts „Figaro“-Contessa eine Schwester im Geiste, und ihr Sopran besticht durch edle Zwischentöne.

Boshaft buffoneske Männlichkeit
Kein Wunder, dass ob solcher Frauenpower die Herren der Schöpfung, denen Hofmannsthal bereits im Text mehr Misstrauen als Wohlwollen schenkt, eher boshaft buffonesk gezeichnet sind. Der wendige Bariton von Steffen Kubach könnte als aufstiegshungriger, Bunter-Vogel-Parvenu Faninal geradewegs einer Inszenierung von Herbert Fritsch entsprungen sein. Johannes Maria Wimmer ist in der Mammutpartie des Ochs auf Lerchenau ein rustikaler, dennoch nie überzogen agierender Lüstling, dessen behänder Bass die Nähe der Partie zu Verdis Falstaff offenlegt.
Auch die kleineren Partien sind prägnant besetzt: etwa Franz Gürtelschmied als italienischer Sänger, der zu einem Wiedergänger des Kastraten Farinelli mutiert. Oder die Annina der Mezzosopranistin Delia Bacher, die als Gefährtin des Intriganten Valzacchi (Tenor Noah Schaul) auch dessen queerer Gefährte sein könnte. Gleichsam als Spiegelung des in Octavian angelegten Genderhopping spielt hier eine Sängerin einen Mann, der im üppigen Reifrock transig gewandet so gern eine Frau wäre. Michael Wallner braucht keinen Regie-Holzhammer, um zu zeigen: Richard Strauss griff eben nicht nur die Travestie der Barockoper auf, er antizipierte auch die Genderdiskurse der Gegenwart.

Zuckerfreie Strauss-Süße
Dieser mitreißende Lübecker Premierenabend macht „Der Rosenkavalier“ zu einer Komödie der Weisheit und der Bosheit – und der Musik. Stefan Vladar hat dazu mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck unerhört detailgenau gearbeitet, den Sprachcharakter der Leitmotive so sehr geschärft wie das hohe Tempo, das die Nähe des Werks zu Mozarts „Le Nozze di Figaro“ so sehr offenbart wie jene zu Verdis „Falstaff“. Flott, flüssig und filigran drängt die Musik unter den Händen des Lübecker GMD voran, was dem Werk des Richard Strauss sein Sentiment nimmt und es mutig wandelt: Hier werden wahre Gefühle vermittelt. Diese zuckerfreie Strauss-Süße beweist, wie richtig und triftig der Komponist seine beliebteste Oper einst bezeichnet hat – als eine Komödie für Musik.
Theater Lübeck
R. Strauss: Der Rosenkavalier
Stefan Vladar (Leitung), Michael Wallner (Regie), Stefan Rieckhoff (Bühne), Tanja Liebermann (Kostüme), Kati Heidebrecht (Choreographie), Falk Hampel (Licht), Jan-Michael Krüger (Chor), Jens Ponath (Dramaturgie), Evmorfia Metaxaki, Johannes Maria Wimmer, Frederike Schulten, Steffen Kubach, Karola Sophia Schmid, Andrea Stadel, Noah Schaul, Delia Bacher, Viktor Aksentijević, Svjatoslav Martynchuk, Changjun Lee, Franz Gürtelschmied, Imke Looft, Inge Bayer, Therese Meinig, Therese Fauser, Iris Meyer-Zentner, Aditi Smeets, Wonjun Kim, Chor des Theater Lübeck, Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Termintipp
Fr., 31. Oktober 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Der Rosenkavalier
Evmorfia Metaxaki (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Johannes Maria Wimmer (Baron Ochs auf Lerchenau), Frederike Schulten (Octavian), Steffen Kubach (Herr von Faninal), Stefan Vladar (Leitung), Michael Wallner (Regie)
Termintipp
So., 09. November 2025 16:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Der Rosenkavalier
Evmorfia Metaxaki (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Johannes Maria Wimmer (Baron Ochs auf Lerchenau), Frederike Schulten (Octavian), Steffen Kubach (Herr von Faninal), Stefan Vladar (Leitung), Michael Wallner (Regie)
Termintipp
Sa., 29. November 2025 18:30 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Der Rosenkavalier
Evmorfia Metaxaki (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Johannes Maria Wimmer (Baron Ochs auf Lerchenau), Frederike Schulten (Octavian), Steffen Kubach (Herr von Faninal), Stefan Vladar (Leitung), Michael Wallner (Regie)
Termintipp
So., 07. Dezember 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Der Rosenkavalier
Evmorfia Metaxaki (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Johannes Maria Wimmer (Baron Ochs auf Lerchenau), Frederike Schulten (Octavian), Steffen Kubach (Herr von Faninal), Stefan Vladar (Leitung), Michael Wallner (Regie)
Termintipp
So., 28. Dezember 2025 18:00 Uhr
Musiktheater
R. Strauss: Der Rosenkavalier
Evmorfia Metaxaki (Feldmarschallin Fürstin Werdenberg), Johannes Maria Wimmer (Baron Ochs auf Lerchenau), Frederike Schulten (Octavian), Steffen Kubach (Herr von Faninal), Stefan Vladar (Leitung), Michael Wallner (Regie)