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Porträt Tung-Chieh Chuang

Neustart in Bochum

Jung, weltoffen, voller Ideen: Tung-Chieh Chuang übernimmt die Leitung der Bochumer Symphoniker.

vonHelge Birkelbach,

Die Sache mit den übergroßen Fußstapfen scheint Tung-Chieh Chuang kein Problem zu bereiten. Steven Sloane, sein Vorgänger am Pult der Bochumer Symphoniker, prägte 27 Jahre das Orchester als Generalmusikdirektor. Er war es auch, der beharrlich die Idee eines eigenen Konzertsaals für „seine“ Symphoniker verfolgte und schließlich – nach über zwanzig Jahren mühevollen Engagements mit zahlreichen Rückschlägen – im Jahr 2016 die Eröffnung des „Anneliese Brost Musikforum Ruhr“ feiern konnte. Mit Tung-Chieh ­Chuang übernimmt nun ein Dirigent, der bei Insidern einen ausgezeichneten Ruf genießt, vom Publikum aber noch nicht so klar verortet werden kann. Seit 2012 hat der Taiwaner reihenweise Preise abgeräumt, zuletzt 2015 mit dem Gewinn des Ersten Preises beim Nikolai-Malko-Wettbewerb in Kopenhagen und des Sonderpreises „Vienna Philharmonic Invitation“. Nach seinem Studium in den USA und in Weimar fand der junge, weltoffene Dirigent, der aus einer Musikerfamilie stammt, in Berlin eine neue Heimat. Er sammelte Erfahrung mit internationalen ­Orchestern wie dem BBC Symphony Orchestra, dem Seoul Philharmonic Orchestra und dem Shanghai Symphony Orchestra, arbeitete aber auch mit zahlreichen deutschen Klangkörpern zusammen. Nun wechselt er mit seiner jungen Familie von der Hauptstadt nach Bochum – und freut sich auf den Neustart.

Es scheint keine Belastung für ihn zu sein, an den Erfolgen seines Vorgängers gemessen zu werden, der eine ganze Ära prägte. „Das ist überhaupt kein Problem“, erklärt Chuang. „Wir haben eine komplett verschiedene Persönlichkeit. Von der ersten Note an, die das Ohr des Publikums erreichen wird, wird man einen völlig neuen Klang hören. Derselbe Konzertsaal, dasselbe Orchester, aber eine ganz neue Vorstellung, ein ganz anderes Programm.“ Die große Oper, die große Geste eines Richard Wagner, die er auf der Habenseite bei Steven Sloane sieht, sei nicht sein Ding. Das sagt Chuang ohne jeden Unterton, dennoch selbstsicher und zielrorientiert. „Re-definig the orchestra“ nennt er das. Ohne jede Hemdsärmeligkeit, die auch überhaupt nicht seinem Wesen entsprechen würde, macht er den großen Schritt nach vorne.

Musikalische Meinungen austauschen

Schon jetzt zeichnen sich die eigenen Spuren ab. Das Saisonprogramm macht klar: Es wird Überraschungen geben. Sein neues Orchester hat der 39-Jährige bereits überrascht, denn es brauchte nur ein Konzert, um den Gedanken aufblitzen zu lassen: Da könnte noch mehr kommen, viel mehr! Das war im April 2018. Bereits bei den Proben schien es zu funken. Denn Chuang gibt sich nahbar, holt gerne die Meinungen seiner Musiker ein, scheut nicht die Diskussion, um zu einem überzeugenden Resultat zu gelangen. „Fünfzig Prozent kommt von ihnen, fünfzig Prozent von mir – im optimalen Fall“, sagt er. „Und wir müssen gar nicht so viel sprechen, nicht viele Worte machen. Wir tauschen unsere Meinungen auf musikalische Art aus. Mit ihrem Spiel erklären mir die Musiker genau, was sie wollen. Und meine Gesten zeigen ihnen wiederum, was meine Absicht ist. Dieser Austausch ist viel präziser, als Worte es jemals schaffen könnten. So vermeiden wir Missverständnisse, Misstöne, die man später im Konzert hören würde.“

Tung-Chieh Chuang
Tung-Chieh Chuang

„So sieht es in meinem Herzen aus“

Dabei zielt Chuang direkt auf das Herz. Eine Konzertreihe, die er für seine erste Spielzeit konzipiert hat, heißt „From the Heart“. „Ich habe Stücke ausgewählt, die direkt aus meinem Herzen kommen. Zum einen sind es Lieblingsstücke, die ich teilweise seit meiner Kindheit kenne. Ich habe mich lange mit ihnen beschäftigt, um sie wirklich zu ergründen. Es sind aber auch Stücke dabei, die meine Persönlichkeit beschreiben, sozusagen ein musikalisches Abbild darstellen. Zum Beispiel Mozarts letzte Sinfonie. Dieses wunderbare Werk ist eines jener Stücke, die mich zu dem Musiker gemacht haben, der ich heute bin. Oder Brahms’ erste Sinfonie, die wir kürzlich gespielt haben. Damit möchte ich sagen: So sieht es in meinem Herzen aus.“ Was für ein Statement! Persönlicher, näher und unmittelbarer geht es kaum.

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