Zum nun 74. Mal richtete der Bayerische Rundfunk in München den Internationalen Musikwettbewerb der ARD aus – eine der bedeutendsten Plattformen für Nachwuchstalente in der Klassik. Die Strahlkraft dieses zweiwöchigen Wettbewerbs zeigt sich nicht nur an den rund 600 Bewerbern aus aller Welt, deren Zahl weiter wächst, sondern auch daran, dass über 40 Prozent der Stream-Zugriffe von Menschen unter 35 Jahren stammen – ein bemerkenswert junges Publikum.
Und schließlich daran, dass Sir Simon Rattle, Leiter des Symphonieorchesters des BR, den Wettbewerb zur Chefsache erklärt hatte und selbst das Preisträgerkonzert dirigieren wollte. Wegen eines Leistenbruchs musste er jedoch absagen. An seiner Stelle übernahm sein Assistent Sasha Scolnik-Brower, derzeit mit einer zweijährigen Conducting Fellowship beim BR engagiert und bereits mit den Finalrunden des Wettbewerbs vertraut. So trafen im Herkulessaal der Münchner Residenz bestens vorbereitete Solisten auf ein hörbar eingespieltes Orchester.
Brillanz und Winterkälte
Den Abend eröffnete Liya Wang mit Camille Saint-Saëns’ zweitem Klavierkonzert. Schon der erste Satz, ein Andante sostenuto, atmet den Geist seines Widmungsträgers Anton Rubinstein – elegant, kalt, düster, gar winterlich? Die 23-jährige Pianistin, in einem schimmernden Kleid von perlmuttrosa Blässe, schien diese Atmosphäre ganz in Körper und Spiel aufzunehmen. Dieses wirkte kontrolliert, doch nie kalt. Jeder Ton trug eine feine Wärme in sich. Mit kristallinen Anschlägen ließ sie Bilder von Eisnebel entstehen, die im Finale gar zu einem rauschhaften Blizzard anschwollen. Dazwischen verströmte der zweite Satz eine überschäumende Heiterkeit, als promeniere Saint-Saëns höchstpersönlich an einem sonnigen Sonntagmorgen überschwänglich durch die Tuilerien.
Zwischen gedämpfter Nostalgie und Jazz
Von solcher Romantik ist Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert weit entfernt. Mit diesem Werk erspielte sich der Franzose Robin Paillet den ersten Preis – eine kleine Sensation, da diese höchste Auszeichnung in der Wettbewerbsgeschichte erst vier Mal vergeben worden war, darunter an die Landsmänner Maurice André und den Solotrompeter der Berliner Philharmoniker, David Guerrier. Paillet trat nun würdig in ihre Fußstapfen.
Mit stilistischem Gespür entfaltete er das vielgestaltige und schwer zu erforschende Werk, unterstützt durch das verständige, Rückhaltung wahrende Dirigat Scolnik-Browers: Nostalgie, virtuose Figurationen, Ironie und Satire und auch Gelächter kommen zum Tragen, mal mit, mal ohne Dämpfer. Hammondorgel, Klavier und gezupfte Kontrabässe verwandelten das Konzert schließlich in eine fantastische Jazzvision.
Elegante Zurückhaltung
Schließlich verzauberte der israelische Klarinettist Elad Navon mit einer mutigen Stückwahl abseits der Repertoires: Statt des populären Nielsen-Konzerts entschied er sich für Aaron Coplands einst für Benny Goodman geschriebene Konzert. Schon die erste lange, in einem Atemzug gespielte Kantilene offenbarte die Klarinette in ihrer verletzlichen, fast schüchternen Zartheit – sanft umschlossen vom BR-Symphonieorchester. Auch hier entfaltete sich eine breite Palette an Charakteren: nostalgisch, verspielt, bis hin zu hitzig erregt. Navon hielt sie mit Charme und sicherem Ton im Gleichgewicht.
Für den 75. Jahrgang stehen die Kategorien bereits fest. Neben Fagott, Orgel und Schlagzeug, gleichsam verheißungsvolle wie spannende Kandidaten, steht mit Streichquartett auch wieder eine Ensemblekategorie auf dem Plan. Und Simon Rattle verspricht derweil, beim Preisträgerkonzert im kommenden Jahr auf jeden Fall am Pult zu stehen.