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Opern-Kritik: Bayerische Staatsoper München – Alceste

Interesseloses Wohlgefallen

(München, 26.5.2019) Starchoreograf Sidi Larbi Cherkaoui ergeht sich in Glucks Reformoper in der Demut des Dekorativen.

vonPeter Krause,

Höllenhunde, natürlich schwarz gewandet und vierbeinig, staksen auf Stelzen über die Bühne des Nationaltheaters in München. Sie wollen Alceste und Admète in den tödlichen Abgrund ziehen. Das zwingende Happy End-Erfordernis der barocken Opera Seria aber will es anders. Der todgeweihte König hat eine selbstlos liebende, das eigene Leben zu seiner Erlösung hingebende Gattin, die möchte an seiner statt für immer in die Unterwelt gehen. Bei soviel echter weiblicher Opferbereitschaft lassen sich die strengen Götter erweichen. Das Königspaar kriegt sich wieder. Beide leben. Der Chor darf jubeln. Die Oper ist aus. Und alles ist wieder gut.

„Bella semplicità“ – schöne Einfachkeit statt Regietheater-Furor

Sidi Larbi Cherkaoui kreiert da einen wirklich bildstarken Moment für diesen ultimativen Showdown. Seine Kreaturen aus der Unterwelt atmen die Atmosphäre des Magischen und Mythischen in geradezu märchenhafter Schlichtheit und Direktheit. „Bella semplicità“ nennt Gluck ja selbst im Vorwort der „Alceste“ das höchste und hehrste Ziel seiner Arbeit. Sehr in diesem Sinne wird der angesagte Choreograf Cherkaoui, der zuletzt immer wieder Opas Oper eine Frischzellenkur verabreichen soll, zu einem kreativ unterwürfigen Diener des Christoph Willibald Gluck. Denn dessen „Alceste“ ist in ihrer kunstvollen musikalischen Bescheidenheit, ihrer allem barocken Zierrat entsagenden neuen Einfachheit und ihrer das packend Dramatische ins griechisch Prozessionsgleiche – auch in der hier gewählten französischen Fassung zumal ins Tänzerische überführenden Meditationslangmut –ja doch so etwas wie ein göttlich naives Opernding. Ja, darin eine schwer zu knackende Musiktheater-Nuss. Sidi Larbi Cherkaoui entscheidet sich also, das Naiv-Schlichte des Werks beim Wort zu nehmen, dabei allem Regietheater-Furor zu entsagen und schöne stimmige Bilder auszustellen.

Keine Verortung, keine Aussage

Charles Castronovo (Admète), Compagnie Eastman, Chor der Bayerischen Staatsoper

Sein Vorgehen gelingt im genannten Beispiel ganz famos. Doch ein über die Demut des Dekorativen hinausgehendes Konzept hat der Meister des Tanztheaters nicht. Man schaut und staunt in interesselosem Wohlgefallen. Die antikisierenden Kostüme von Jan-Jan Van Essche deuten ein Überall und Nirgendwo an. Die modrigen Wände des Bühnenbilds von Henrik Ahr künden von der Endzeit eine Imperiums, sind jedoch so unspezifisch, dass sich ihnen problemlos auch die „Elektra“ oder die „Aida“ absolvieren ließe. Will sagen: Sidi Larbi Cherkaoui und sein Team verorten das Stück nicht wirklich, sie finden zu keiner Aussage, was die Handlung denn nun soll und was sie uns angehen könnte. Themen gäbe es genug: Schließlich ist der Widerstreit von Menschen und Göttern, von Sterblichen und Unsterblichen, von Frauen und Männern eine unerschöpflich ergiebige Quelle. Doch die Inszenierung wird zum Plädoyer, Glucks Oper als Oratorium aufzufassen – und also lieber gar nicht in Szene zu setzen.

Rampensingen und tänzerisches Mickeymousing

Dorothea Röschmann (Alceste), Charles Castronovo (Admète), Compagnie Eastman

Die staatstragende Statik der weitgehend abwesenden bzw. dem Rampensingen gewichenen Personenregie wird freilich, die Ideale der französischen Tradition des Divertissement hochhaltend, durch die tänzerischen Zutaten beherzt aufgebrochen. Die Tänzerinnen und Tänzer von Cherkaouis Compagnie Eastman werden für ihre die Musik gern im filmischen Mickeymousing doppelnden Einlagen am Ende mit Applaus überschüttet. Doch die schönen Schauwerte bieten kaum erhellenden Erkenntnismehrwert. Denn zwischen dem rührend naiven Stehtheater für Gesangssolisten nebst Chor und dem sportiven Tanztheater findet kaum eine sinnstiftende Verbindung statt. Nun, mal dürfen die Tänzer den Gemütszustand der Königin vermitteln, mal zeigen sie uns das Unausgesprochene im Sinne der Funktion des griechischen Chores, mal füllen sie szenische Leerstellen hübsch sportiv.

Antonello Manacorda steht für einen geschmeidig dynamisierten, sanft swingenden und historisch informierten Gluck-Klang

Charles Castronovo (Admète), Compagnie Eastman, Chor der Bayerischen Staatsoper

Immerhin steht Antonello Manacorda am Pult des Bayerischen Staatsorchesters für einen geschmeidig dynamisierten, sanft swingenden und klug historisch informierten Gluck-Klang. Oft merkt man, wie sehr Gluck bereits dem Kollegen Mozart den Weg zu dessen Opernschaffen geebnet hat. Doch die durchweg prominenten Sänger der Hauptpartien fremdeln mit Gluck. Dorothea Röschmann liegt die große Finalarie des 1. Aktes „Divinetés du Styx“ deutlich zu tief, die resonanzreduzierte Mittellage der Sopranistin erinnert daran, wie grandios über alle Register hinweg reich gesegnete Stimmen vom Schlage einer Jessye Norman einst die Alceste geprägt haben. Charles Castronovo hört man als Admète sehr gern zu, doch stilsicher in Gluckfragen wirkt er nicht, sein höhensicherer Tenor klingt mehr nach Puccinis Rodolfoschmachten denn nach französischer Voix mixte. Die bassbaritonale Eloquenz von Michael Nagy als Oberpriester des Apollon und Hercule entschädigt indes ebenso wie die wunderbaren jungen Sängerinnen und Sänger aus Ensemble und Opernstudio in den kleineren Partien. Die Bayerische Staatsoper München aber, heute fraglos Deutschland erstes Opernhaus, bietet auf der Bühne eine gefällige Bilderbeliebigkeit, die man eher mit einem Mittelklassehaus in Italien assoziieren würde. Barrie Koskys Regiesicht auf Händels „Agrippina“ zu den Münchner Opernfestspielen wird da fraglos von anderem Kaliber sein.

Bayerische Staatsoper München
Gluck: Alceste

Antonello Manacorda (Leitung), Sidi Larbi Cherkaoui (Regie & Choreografie), Henrik Ahr (Bühne), Jan-Jan Van Esche (Kostüme), Dorothea Röschmann, Charles Castronovo, Michael Nagy, Bayerisches Staatsorchester, Chor der Bayerischen Staatsoper

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