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Opern-Kritik: Oper Frankfurt – Parsifal

Alte Meisterin trifft jungen Meister

(Frankfurt am Main, 18.5.2025) Brigitte Fassbaender hat sich Zeit gelassen, jetzt inszeniert sie mit 85 Jahren Wagners „Parsifal“ bildstark und psychologisch ausgefeilt. Das Ensemble von sängerischen Debütanten und das Dirigat des jungen GMD Thomas Guggeis begeistern.

vonKirsten Liese,

Wann immer Männer sie bedrohen, überkommt Kundry ein hysterisches Lachen. Eine Reminiszenz an ihre Ursünde, als sie in einem früheren Leben Jesus am Kreuz verlachte. In diesem Lachen scheint für Brigitte Fassbaender der Schlüssel für diese Figur zu liegen, die sie in all ihren unterschiedlichen Reinkarnationen und Erscheinungen als Vamp, Heilerin, Sünderin oder Wiedergängerin der Herodias am stärksten unter allen Frauengestalten Wagners fasziniert. Und zwar im Hinblick darauf, wie sie sich in einem ewigen Kreislauf den Männern ausgeliefert sieht: als Lustobjekt triebhafter Männerfantasien und dienende Büßerin. 

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Mit der Amerikanerin Jennifer Holloway, die in der Oper Frankfurt in dieser Partie debütiert, steht ihr für ein solch tiefgründiges Psychogramm eine ideale Sängerdarstellerin zur Verfügung, stimmlich mit gelegentlich flackerndem Vibrato in den Spitzen zwar weniger brillant als derzeit eine Elīna Garanča, dafür aber unübertrefflich stark in ihrer Entwicklung von der wilden Gralsbotin über die verführerische Schöne hin zu der Magd, die schließlich knieend den Boden schrubbt.

Regie ganz ohne modischen Schnickschnack

Die erfahrene Regisseurin hat sich mit dem „Parsifal“, der unter allen Werken Wagners gewiss die meisten Fragen aufwirft, bis ins hohe Alter Zeit gelassen. Nunmehr mit 85 Jahren empfiehlt sie sich nach ihrer grandiosen „Ring“-Tetralogie in Erl erneut als eine der letzten verbliebenen wenigen Größen, die sich ohne 3D-Brille, Videoprojektionen, frei erfundene parallele Zusatzhandlungen und anderen Schnickschnack auf eine zeitlose Kunst verstehen.

Szenenbild aus „Parsifal“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Parsifal“ an der Oper Frankfurt

Dank ihrer scharfsichtigen, bis in sublime Details hinein sehr spannenden, lebendigen Personenführung verkraftet die Produktion einen Titelhelden, der in der Höhe bisweilen etwas eng tönt, dafür aber fulminant seine Menschwerdung vollzieht, dass man ihm Ende kaum noch wiedererkennt. Mit leichten ironischen Brechungen bekommt dabei sogar Wagners Humor sublim Raum, wenn Ian Koziara zunächst mit strohblonden Haaren und Boxershorts als ein schon äußerlich depperter Parsifal auftritt, das Gefieder seines erschossenen Schwans als Stola über den Schultern. Beim Betreten von Klingsors Zaubergarten trägt er bereits den Brustpanzer eines Ritters, bevor er als „welthellsichtig“ Gewordener bei seiner Rückkehr zur Gralsburg mit Speer, Mantel und Hut an Wotan als Wanderer erinnert. Und nun fast ein bisschen verstört wirkt angesichts der desolaten Zustände in der brüchigen Einsiedelei.

Archaische, romantische und moderne Elemente

Dafür, dass sich Wandlung und Entwicklung des Helden ganz und gar im Bildlichen auf der Bühne widerspiegeln, hat Johannes Leiacker, auch für die Kostüme zuständig, bestens gesorgt. Überzeugend verbindet er archaische, romantische und moderne Elemente, wobei bedeutende Werke der Kunstgeschichte sinnvoll Raum finden.

Zu den Vorspielen, bei denen der Vorhang dankenswerter Weise unten bleibt, sind es – großformatig vergrößert – Projektionen von Claude Monets Bildserie der Kathedrale von Rouen, die unter unterschiedlichen Beleuchtungswechseln in zart verschwommenen Tönen immer wieder anders schillern wie die Leitmotive in Wagners Musik unter wechselnden Klangfarben. Die erste Szene bestimmt dann als ein stimmungsvolles Relikt aus einer lang zurückliegenden Vergangenheit vor einer Felswand ein Bild aus einer Serie, das Monet in der Nähe seines Anwesens in Giverny malte, mit der lichtdurchfluteten Seine in der Mitte.

„Zum Raum wird hier die Zeit“

Vor allem der Übergang von der Szene in der Einsiedelei ins Innere der Ritterburg zur Gralszeremonie gelingt spannend wie ein Krimi. Auf einmal öffnet sich rechterhand eine Tür, durch die alle an der Zeremonie Beteiligten hindurchgehen. Dass ihnen ganz offenbar nichts Schönes bevorsteht, zeigt sich an der Reaktion einiger Kinder, die in ihrer Angst flüchten, von den Erwachsenen aber eingefangen und mit Gewalt zurückgeholt werden. Danach dreht sich die Bühne vor den Augen der Zuschauer hin zu einer imposanten Halle. Und diese langsame Bewegung harmoniert gut mit den Worten des Gurnemanz „Zum Raum wird hier die Zeit“.

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Szenenbild aus „Parsifal“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Parsifal“ an der Oper Frankfurt

Wie dann Amfortas alias Nicholas Brownlee markerschütternd um Erbarmen fleht, der lieber seinem schmerzreichen Leben ein Ende setzen und den Gral nicht mehr erschauen will, vermittelt dann sehr eindringlich das Klima der Angst. In ihrem Essay im Programmheft maßt sich die Regisseurin nicht an, Parsifals Frage „Wer ist der Gral?“ zu beantworten. Aber selbstverständlich enthält sie dem Publikum das geheimnisvolle Gefäß nicht vor, das mit dem christlichen Abendmahl in Verbindung gebracht wird. Nach seiner Enthüllung wird er in  einer felsigen Grotte, haushoch, zum eindrucksvollen Blickfang des Rittersaals. Später mutiert die Grotte, inspiriert von der Tropfsteinhöhle im bayerischen Schloss Linderhof, in der sich Bayernkönig Ludwig II. in einem Kahn umher rudern ließ und in den Schwanenritter Lohengrin hineinträumte, zu einer malerischen Kleinbühne.

Sängerische Glaubwürdigkeit

Aber Fassbaender ist weit davon entfernt, sich allein auf die reine Bildlichkeit zu verlassen, sie entfacht in allen drei Akten packendes, spannendes kammerspielartiges Theater, was sich darin zeigt, wie glaubwürdig jeder Sänger seine Rolle durchlebt. Dass das so gut gelingt, hat sicherlich damit zu tun, dass außer Alfred Reiter als einem, mit seinem mächtigen Bass furchteinflößenden Titurel alle Protagonisten in ihren Rollen debütieren, also im Kopf noch völlig frei und unbelastet waren, bevor sie sich in die siebenwöchige Probenarbeit mit ihr begeben haben.

Das größte Geschenk innerhalb des ohne die üblich verdächtigen Starsänger auskommenden Ensembles ist freilich der phänomenale, verdient mit dem größten Beifall gefeierte Andreas Bauer-Kanabas. Mit seiner gewaltigen, profunden Stimme und exzellenter Textverständlichkeit ist er ein ebenso exzellenter Gurnemanz wie derzeit seine prominenten Kollegen René Pape und Georg Zeppenfeld. So wie man jedes Wort bei ihm versteht, erübrigt sich der Blick zu den Übertiteln, zudem lotet er seinen teils metaphysischen Text bis in kleinste Nuancen hinein tiefsinnig aus.

Szenenbild aus „Parsifal“ an der Oper Frankfurt
Szenenbild aus „Parsifal“ an der Oper Frankfurt

Der junge GMD Thomas Guggeis beweist altmeisterliche Tiefe

Nach seinem Berliner Staatsoper-„Ring“, den er sich vor einem Jahr mit Christian Thielemann erfolgreich teilte, muss sich Thomas Guggeis nicht erst beweisen, dass er als ein sehr junger Dirigent in Wagners Musik ebenso tief eintauchen kann wie gewiefte Altmeister. Zwar kam die Mystik im ersten Vorspiel noch ein bisschen zu kurz und wurden hier und da bei den Bläsern noch ein paar Unsicherheiten hörbar, die aber sicherlich dem Premierenfieber geschuldet und schon bald vergessen waren. Denn schon bald besaß die Musik alles, was sie ausmacht, entwickelte der neue Frankfurter GMD großformatige Szenen mit den Frankfurter Opernchören (exquisite Einstudierung: Gerhard Polifka) in der gebotenen Dramatik und Langsamkeit, das „Aus Mitleid wissend“ aus dem Off prickelnd ätherisch; und zum Vorspiel des letzten Akts stellte sich dann auch die Mystik ein.

Die finale Erlösung, die andere Regisseure schon vielfach szenisch konterkariert haben, um sie ihrer Utopie zu überführen, gönnt Fassbaender den Gralsrittern, die nach Amfortas‘ Heilung ihren neuen König Parsifal feiern. Ein Zweifel, ob Frauen und Männer in der künftigen Gesellschaft die alten Rollenbilder hinter sich lassen können, schwingt latent in ihrer Inszenierung gleichwohl mit: Während sich die Ritter um ihren neuen Herrscher scharen, stiehlt sich Kundry zusammen mit ihrem Geliebten Amfortas fort. Wohin, das bleibt jedoch ihr Geheimnis.

Oper Frankfurt
Wagner: Parsifal

Thomas Guggeis (Leitung), Brigitte Fassbaender (Regie), Johannes Leiacker (Bühnenbild & Kostüme), Jan Hartmann (Licht), Gerhard Polifka (Chor), Konrad Kuhn (Dramaturgie), Nicholas Brownlee, Alfred Reiter, Andreas Bauer Kanabas, Ian Koziara, Iain MacNeil, Jennifer Holloway, Chor der Oper Frankfurt, Frankfurter Opern- und Museumsorchester






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