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Opern-Kritik: Staatsoper Hamburg – Salome

Happy Birthday, Mr. Herodes!

(Hamburg, 29.10.2023) Dmitri Tcherniakov und Kent Nagano verständigen sich auf eine präzise ausgearbeitete Strauss-Lesart des bitterbösen schönen Scheins und bescheren der Staatsoper nach ihrer grandiosen gemeinsamen „Elektra“ nun erneut einen Triumph. Die Besetzung der Salome mit Asmik Grigorian beschert dem Haus an der Dammtorstraße eine sängerische Sensation.

vonPeter Krause,

Eine schreckliche Familie feiert den Geburtstag des Hausherrn. Der ist so bunt aufgebrezelt wie ein Pfau. Und das Ambiente seines herrschaftlichen Palais legt nahe, dass man hier in allerbesten Verhältnissen lebt. Nur mit der psychischen Hygiene hapert es gewaltig. Der schöne Schein wird nach außen und vor all den schick gewandeten Gästen des Festes natürlich perfekt gewahrt. Doch ist das Ehepaar mal kurz allein, da geht es ans Eingemachte – sogar körperliche Gewalt verbindet Herodes und Herodias gar innig. Daran kann auch der Ehrengast der Abendgesellschaft nichts ändern, der als Einziger ein Mann des Geistes ist. Herr Jochanaan trägt hier seine Thesen von einer neuen Ethik, hält der babylonisch verlotterten Society ihre Sünden mit deutlichen Worten vor. Was hier durchaus erwünscht ist – und längst Teil des Systems geworden ist. Schließlich wäscht sich das Establishment heute höchst erfolgreich rein, indem es über Pseudo-Programme der Corporate Social Responsibility die Opposition einlädt, ihre Thesen zu vertreten, deren Umsetzung dann großzügig ein wenig gefördert wird. Der krass kritische Intellektuelle Jochanaan sichert da der festlichen Tafel den Nimbus einer außergewöhnlichen Einladung, mit denen sich Herodes schmücken und vor seinen Gästen herausheben kann.

Szenenbild aus Richard Strauss' „Salome“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus Richard Strauss‘ „Salome“ an der Staatsoper Hamburg

Groteske gesellschaftliche Mechanismen

Mit viel Witz kitzelt Dmitri Tcherniakov in seiner herrlich pointierten Inszenierung der „Salome“ solche grotesken Mechanismen heraus. Man möchte sich den Probenprozess vorstellen: Da muss das spielfreudige Ensemble sehr viel Spaß bei der Arbeit gehabt haben, zu der es in das nur leicht variierte Bühnenbild der „Elektra“-Inszenierung desselben Teams von vor zwei Jahren zurückkehren darf. Die Grandezza eines mutmaßlichen Wiener-Gründerzeit-Ringstraßen-Palais, das in der „Elektra“ doch einige Patina angesetzt hatte, wurde standesgemäß aufgehübscht. Die seinerzeit mit Büchern und alten Schallplatten gefüllten Schrankwände sind nun nicht mehr verkramt, sondern wohl geordnet bildungsbürgerlich mit den Köpfen antiker Statuen geziert. Im rechts einsichtigen Empfangsbereich der Villa halten livrierte Diener Wacht. Die Harmonie des Sich-einig-Seins wird nun nicht nur durch den für anregende kontroverse Konversation sorgenden Jochanaan gestört, sondern auch durch das spätpubertierende Töchterlein, das sich trotzig unangepasst in ihren jugendlichen Klamotten etwas zu spät an den gedeckten Tisch setzt. (Sie könnte durchaus eine heimliche Schwester der Elektra sein!) Hier sucht Fräulein Salome nach dem Geburtstagsgruß für ihren verhassten Stiefvater sogleich die Nähe des anderen Außenseiters: Jochanaan.

Szenenbild aus Richard Strauss' „Salome“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus Richard Strauss‘ „Salome“ an der Staatsoper Hamburg

Ehrengast Dr. Freud steuert kontroverse Thesen bei

Die dunkle Hornbrille des Heil’gen Mannes von hohem Geist und das schüttere Haupthaar legen nahe, dass dieser Herr mit anderem Namen auch Dr. Freud heißen könnte. Es mag in den frühen Zeiten der Psychoanalyse schon vorgekommen sein, dass sich eine Patientin wie Salome mal in ihren Therapeuten verguckt hat. Im Gespräch mit Salome verweigert er sich freilich allen Avancen – und liest weiter in seinem mitgebrachten Buch. Fortwährend spricht sie von seinem schönen Leib, dabei ist er doch ganz Geist – ein für Salome hoch attraktiver Geist, ein Angebot für sie, ihre eigene Reinheit als Frau wiederzufinden, die ihr im Missbrauchsumfeld ihrer fatalen Familienkonstellation um ihren Stiefvater abhandengekommen ist. Subtil subkutan psychologisch (und gar nicht voyeuristisch) ausgearbeitet gerät der Tanz der sieben Schleier, zu dem ihre Mutter der Tochter Salome die Koffer mit passender Kleidung reicht: Herodias hat sich an das bittere Ritual gewöhnt, sie macht gute Miene zum bösen Spiel. Nur erhöht Salome diesmal den Einsatz ins Unerhörte, um Herodes seine perverse Lust zu gönnen. Sie fordert den Kopf des Jochanaan. Vor versammelter Geburtstagsgesellschaft tanzt Salome für den Alten, der ihr hier nicht etwa beim Ausziehen hilft, sondern ihr seinerseits behilflich ist, von ihm bereitgestellten Fetisch anzulegen.

Szenenbild aus Richard Strauss' „Salome“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus Richard Strauss‘ „Salome“ an der Staatsoper Hamburg

Jochanaans Kopf bleibt diesmal dran – und der Heilige lebendig

All die potentiellen Peinlichkeiten des Stücks (eine am Ende des Tanzes nackte Sängerin der Titelpartie, der abgeschlagene Kopf des Jochanaan) umschifft Dmitri Tcherniakov mit seiner Regiesicht, die von der Oberfläche des Erzählens und der Bilder des Textbuchs auf die Tiefe der seelischen Verstrickungen zielt. Die ironische Überzeichnung im Aufzeigen der bürgerlichen Rituale ist dabei ein probates Mittel zum Zweck. Die Verlegung der Handlung aus den frühchristlichen Zeiten von Johannes dem Täufer in eine nicht näher bezeichnete Gegenwart funktioniert auch dank des Humors und der Kraft des genauen Zuschauens, auf die sich der aktuelle „Regisseur des Jahres“ der Kritikerumfrage des Fachmagazins „Opernwelt“ so wunderbar versteht. Ein Beispiel vom Beginn des Abends: Salomes Verehrer Narraboth (mit feiner Tenorlyrik: Oleksiy Palchykov) preist die Schönheit der Prinzessin von Judäa im Stile einer galanten Tischrede für die höhere Tochter im heiratsfähigen Alter. Das Ende gelingt in spektakulärer Einfachheit: Jochanaan ist für die finale Begegnung mit Salome am Leben geblieben, geht dann einfach ab und nach Hause in seine Studierstube. Salome aber setzt sich nun auf seinen Stuhl an der gewesenen Festtafel und singt Oscar Wildes Sentenz „Denn das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes“. Elektragleich fällt Salome und stirbt ohne äußeren Einfluss. Herodes‘ finaler Imperativ „Man töte dieses Weib!“ geht ins Leere.

Szenenbild aus Richard Strauss' „Salome“ an der Staatsoper Hamburg
Szenenbild aus Richard Strauss‘ „Salome“ an der Staatsoper Hamburg

Starbesetzung an der Dammtorstraße

Asmik Grigorian, die Salome der Salzburger Festspiele, wird als sopranschlank superintensive Interpretin der Titelpartie am Ende bejubelt wie kaum eine Stargast der letzten Staatsopernjahre. Eine sängerisch-darstellerische Sensation. Kyle Ketelsen gibt seinen Jochanaan mit edlen Kopfstimmenresonanzen als zweifelnden Intellektuellen und ohne die üblichen bassbaritonalen Überwältigungsgesten. Tenor John Daszak und Mezzo Violeta Urmana sind das köstlich komische schreckliche Ehepaar Herodes und Herodias. Kent Nagano als musikalischer Hausherr betont mit dem Philharmonischen Staatsorchester die fein und behutsam ausgehörten schönen Stellen der Partitur, anders als in „Elektra“ weniger deren unerhörte Modernität.

Staatsoper Hamburg
R. Strauss: Salome

Kent Nagano (Leitung), Dmitri Tcherniakov (Regie & Bühne), Elena Zaytseva (Kostüm), Gleb Filshtinsky (Licht), Tatiana Werestchagina (Dramturgie), John Daszak, Violeta Urmana, Asmik Grigorian, Kyle Ketelsen, Oleksiy Palchykov, James Kryshak, Florian Panzieri, Daniel Kluge, Andrew Dickinson, Hubert Kowalczyk, Alexander Roslavets, Nicholas Mogg, David Minseok Kang, Karl Huml, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg





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