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Sommerreihe: Starke Frauen – Louise Farrenc

Gegenwind für das Pariser Musikleben

Oberflächliche Kleinkompositionen waren Louise Farrencs Sache nicht – auf höchstem Niveau wandte sie sich der Sinfonie zu

vonNicolas Furchert,

Wenn eine Frau im 19. Jahrhundert auf die gesellschaftlich gesehen eher „verrückte“ Idee kam, Komponistin zu werden, entstanden dabei meist kleinere Klavierstücke oder Lieder – eine Parallele zu dem, was für ausübende Musikerinnen gesellschaftlich üblich und auch akzeptiert war. Denn wenn eine Frau sich musikalisch betätigen wollte oder auch sollte, gab es, egal ob privat oder professionell, nur zwei Möglichkeiten: als Pianistin oder als Sängerin. Alle anderen Instrumente jenseits der rein häuslichen Gitarre waren mehr oder weniger verpönt, teils mit dem Argument, dass sie die ästhetische Erscheinung der Künstlerin zu sehr stören würden. Die 1804 in Paris geborene Louise Farrenc blieb zwar auch dem Klavier treu; den kleinen, für weibliche Komponisten akzeptierten Formen konnte sie jedoch wenig abgewinnen.

Dabei begann alles ganz “normal”: Früher Klavierunterricht, Heirat mit gerade 17 Jahren, ein Kind mit 22. Doch schon die Namen ihrer weiteren Klavierlehrer lassen aufhorchen: Ignaz Moscheles und Johann Nepomuk Hummel zählten zu den führenden Klavierpädagogen ihrer Generation. Als Farrenc mit voller Unterstützung ihrer Eltern auch Talent als Komponistin zeigte, wurde sie gerade 15-jährig bei Anton Reicha angemeldet, dem damaligen Kompositionslehrer am Pariser Konservatorium und engen Freund Beethovens. Es ist nicht klar, ob sie seine Klasse wirklich besuchte, da Frauen der Unterricht in diesem Fach verboten war, oder ob es sich um private Stunden handelte. Das Ergebnis konnte sich jedenfalls sehen lassen. Ihr “Air russe varié” für Klavier etwa wurde nicht nur von Robert Schumann positiv rezensiert, es muss auch heute keinen Vergleich mit ähnlichen Variationswerken der Zeit scheuen.

Louise Farrenc. Stich, um 1855
Louise Farrenc. Stich, um 1855 © gemeinfrei

Vom Klavier zum Orchester: Louise Farrenc

Anfangs schrieb Louise Farrenc durchaus ähnlich zu Robert Schumann nur Klaviermusik, bevor sie sich ab Mitte der 1830er-Jahre auch der Komposition von Orchesterwerken und Kammermusik zuwandte. Nur die in Frankreich in dieser Zeit so beliebte Oper ließ sie aus, möglicherweise weil sie kein passendes Libretto fand. 1842 wurde sie Klavierprofessorin am Pariser Konservatorium und behielt diesen prestigeträchtigen Posten für dreißig Jahre. Wie auch heute noch in manchen Bereichen üblich, erhielt sie zunächst weniger Gehalt als ihr in gleicher Position angestellter Kollege Henri Herz. Später wurde dies jedoch angeglichen.

In den 1840er-Jahren und damit fast genau parallel zu Robert Schumann wagte sie sich an die wichtigste musikalische Gattung neben der Oper, die Sinfonie. Mit der Dritten aus dem Jahr 1847 errang sie ihren größten Erfolg als Komponistin. Und bei der Uraufführung ihres Nonetts zwei Jahre später wirkte kein geringerer als Joseph Joachim mit, einflussreichster Geiger des späten 19. Jahrhunderts und enger Freund Schumanns und Brahms‘.

Komponistin und Autorin

Farrenc war auch als Musikforscherin tätig. Nach dem frühen Tod ihrer Tochter im Jahr 1859 widmete sie sich gemeinsam mit ihrem Mann einer umfangreichen Notensammlung für Tasteninstrumente. “Le Trésor des Pianistes” enthielt dabei nicht nur Beispiele von Frescobaldi bis Mendelssohn aus über 300 Jahren Musikgeschichte in insgesamt 23 Bänden. Es wurde außerdem jedem Werk eine fundierte Einführung vorangestellt. Nach dem Tod ihres Mannes setzte sie die Arbeit allein fort. Als Klavierprofessorin wirkte sie noch bis 1872.

Louise Farrenc
Louise Farrenc © gemeinfrei

Für die Verbreitung ihrer eigenen Werke war der Beruf ihres Mannes sicher förderlich gewesen, denn Aristide Farrenc war nicht nur Flötist, sondern auch Musikverleger. Louise Farrenc wiederum half seinem Verlag mit ihrer Arbeit, zu einem der wichtigsten seiner Zeit zu werden.

Hörenswerte Orchesterwerke

Farrencs Sinfonien zeigen einen unglaublich sicheren Umgang mit allem, was ein langes Orchesterwerk hörenswert macht: Form, Melodien, Instrumentierung, harmonische Wendungen und nicht zuletzt der gesamte Einfallsreichtum lassen sie vollkommen gleichberechtigt etwa neben den Sinfonien Schumanns stehen. Manche Werke von Komponistinnen werden aus den Archiven ausgegraben, weil es politisch korrekt erscheint, ihnen Gehör zu verschaffen. Bei Louise Farrenc wäre dies überhaupt nicht notwendig. Warum sie nach ihrem Tod in Vergessenheit geriet, ist daher umso rätselhafter und ein Grund, dieser Frau, die sich nicht nur gegen das weibliche Rollenverständnis ihrer Zeit, sondern auch gegen die Vorlieben des Pariser Musiklebens auflehnte, mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Immerhin liegen inzwischen zwei Einspielungen ihrer Sinfonien vor, mit der NDR Radiophilharmonie Hannover unter Johannes Goritzki und mit dem Orchestre de Bretagne unter Stefan Sanderling. Es wäre an der Zeit, dass sich auch Interpreten der ersten Liga dieser hochrangigen Komponistin widmen würden, wie im Bereich der Kammermusik schon zum Teil geschehen.

Hören und sehen Sie hier das „Klavierquintett Nr. 1 a-Moll, op. 30“ von Louise Farrenc:

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