Porträt Veronika Eberle
„Das kann kein totes Wesen sein“
Erfolgreich verweigert sich die Bajuwarin Veronika Eberle der Welt der Geigengirlies
© Felix Broede

Veronika Eberle
Grazil, aber zurückhaltend, ja schüchtern fast erklimmt eine junge Frau mit eisblauen, doch erstaunlich warmen Augen die Treppen eines Berliner Nobelhotels. Ausgewählt hat sie diesen Treffpunkt nicht, weil sie hier abgestiegen ist, sondern weil der Ort so nah an der Staatsbibliothek liegt: Veronika Eberle möchte sich später nämlich noch in die autographe Partitur von Schumanns Violinkonzert einlesen. „Um die Nuancen zu verstehen und die Widersprüche der verschiedenen Urtextausgaben zu überprüfen.“
Inspirierend sei schon allein, die Notenschrift zu sehen: Ist sie gestochen scharf oder verwischt? Hat er in Eile geschrieben oder sehr versunken? Die Geigerin spürt den kleinsten Zweideutigkeiten dynamischer oder artikulatorischer Notation nach. Wozu dieser Aufwand? „Das beeinflusst meine Interpretation“, sagt sie kurz und lächelt ihr freundliches, mädchenhaftes Lächeln. Hinter dem sich doch ein ungemein starker Wille verbirgt: der Wille, in der Musik zu reifen – und mit ihr. Als Veronika Eberle im vergangenen Jahr allein durch Südindien streifte und Slumkindern wie Reisbauern vorspielte, scheint ihr auch dieser Blick von außen geholfen zu haben: beim Lernen, auf sich selbst warten zu können.
Simon Rattles Rat ist ihr Leitmotto: „Lass Dir Zeit“
Nein, eines dieser modernen Geigengirlies ist sie wahrlich nicht. Wie Julia Fischer und Lisa Batiashvili bei der legendären Ana Chumachenco in München ausgebildet, tastet sich Eberle mit Augenmaß und gutem Urteilsvermögen heran an das, was eine große Karriere werden kann. „Lass dir Zeit“, gab ihr Mentor Simon Rattle mit auf den Weg – und daran hat sich die Geigerin bis heute gehalten, auch wenn sie die olympischen Bühnen des Musikgeschäfts längst erklommen hat. CD-Anfragen bekannter Labels indes lehnte sie bisher ab: „Ich war noch nicht reif dafür.“ Schwer vorstellbar, ist doch für eben diesen Satz eine enorme menschliche und künstlerische Reife vonnöten.
Aufgewachsen in Donauwörth als Kind musikliebender Ärzte und Schwester zweier Musikerbrüder, war sie schnell so etwas wie ein Wunderkind. Mit sechs Jahren entdeckte sie beim Instrumentenkarussell in der Früherziehung der örtlichen Musikschule die Geige für sich – mit neun stand sie erstmals mit einem Orchester auf der Bühne. Aber wie spielt man als Kind ein Solokonzert? „Das geht sehr intuitiv, es fließt aus einem heraus. Heute habe ich mich menschlich natürlich weiterentwickelt, und der Werkhintergrund und meine eigenen Erfahrungen beeinflussen mein Spiel.“ Wichtig sei dann aber, auf dem Podium dieses Wissen nicht dominieren zu lassen. In der Tat: Wer Veronika Eberle spielen hört, dem fällt sofort die große Natürlichkeit auf, die Eleganz und die Leichtigkeit, die sie sich auch dank einer makellosen technischen Beherrschung erhalten konnte und leisten kann.
„Intim und intensiv“ ist die Bindung zu ihrer Dragonetti
Vor zwei Jahren ist die Geigerin nach Berlin gezogen: „Man kommt an und spürt sofort den Puls des Lebens. München ist dagegen viel geschlossener.“ Von hier aus bereist die mit sympathischem Selbstbewusstsein ausgestattete Frau nun die Welt, ihre von der Nippon Music Foundation zur Verfügung gestellte Stradivari Dragonetti immer im Gepäck. „Zu ihr habe ich eine intime und intensive Bindung. Zuerst war sie ziemlich verschlossen und zurückgezogen. Erst nach drei Monaten fing sie an zu blühen, und ich konnte Farben entwickeln, die ich auf keinem anderen Instrument finden und verwirklichen konnte.“ Redet Veronika Eberle wirklich von einer Geige? „Sie ist kein Mensch, natürlich, sie ist aus Holz.“ Aber? „Ein totes Wesen könnte keine solchen Klänge hervorbringen.“
CD-Tipp
Termine
Veronika Eberle, Stipendiaten der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker, …
Gabrieli: Symphoniae sacrae II – Exaudi me Domine, Jockel: Paths in the sky (UA), Berg: Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“, Beethoven: Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Beethoven: Violinsonate Nr. 9 A-Dur op. 47 „Kreutzersonate“
Veronika Eberle (Violine), Dénes Várjon (Klavier)
Veronika Eberle, Würth Philharmoniker, Charles Dutoit
Ravel: Ma mère l’oye, Mozart: Violinonzert Nr. 3 in G-Dur KV 216, Bizet: Sinfonie C-Dur
Veronika Eberle, Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Simon Rattle
Beethoven: Violinkonzert D-Dur op. 61, Wiedenhofer: Schnell. Traum-Skizze für großes Orchester (UA), Elgar: Enigma-Variationen op. 36
Anna Prohaska, Veronika Eberle, Kammerakademie Potsdam, Meesun Hong Coleman
Hensel: Ouvertüre C-Dur, Mozart: Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219, Non più, tutti ascoltai / Non temer, amato bene KV 490 & Sinfonie Nr. 25 g-Moll KV 183, Mendelssohn: Infelice op. 94
Anna Prohaska, Veronika Eberle, Kammerakademie Potsdam, Meesun Hong Coleman
Werke von Hensel, Mozart & Mendelssohn
Veronika Eberle, Stuttgarter Philharmoniker, Clemens Schuldt
Yamada: Kurai to, Mendelssohn: Violinkonzert e-Moll op. 64, Chin: Subito con forza, R. Strauss: Tod und Verklärung op. 24
Rezensionen
Veronika Eberle – Beethoven: Violinkonzert
Spätes Debüt
Geigerin Veronika Eberle verleiht Beethovens Violinkonzert eine besondere Luftigkeit, für frischen Wind sorgen auch Jörg Widmanns Kadenzen. weiter