Schlagerhits als Klassikwerke

Ballermannhits im Karnevalskostüm

Der bayerische Komponist Simon Mack deutet Partyschlager in klassischer Manier um und feiert damit ungeahnte Erfolge im Internet.

© Jason Blackeye/Unsplash

Sind die Hits vom Ballermann bald schon in klassischen Konzertsälen zu hören?

Sind die Hits vom Ballermann bald schon in klassischen Konzertsälen zu hören?

„Saufen, morgens, mittags, abends, / ich will saufen, / der Hahn muss laufen! / Morgens, mittags abends, er muss laufen: / Hauptsache Alkohol!“ Ingo ohne Flamingo

Schinkenstraße olé! Mag für manche Naturliebhaber die spanische Mittelmeerinsel Mallorca das schönste Badeparadies oder Wandergebiet sein: Für Alkohol- und Partytouristen ist der Ballermann das beliebteste Kleinbiotop auf dem Weg zum Dauerexzess, ohne dumme Fragen und ungestört von Sinn und Moral. Wo grenzenlos gefressen, gesoffen und gevögelt wird, muss die kollektive Verblödung mit sogenannten Partyschlagern zur guten Laune umgedeutet werden, damit’s nicht ganz so auffällt.

Entsprechend krachledern kommen die Saufhymnen und Bumslieder auch daher, denn sie sollen ja den schmerzbefreiten Sangria-Jüngern eine Bestätigung ihres Tuns liefern. Ob Mickie Krause, Ikke Hüftgold oder Ingo ohne Flamingo – die Partyschlagerstars bringen mit ihrer textlichen wie melodischen Einfalt noch jede Massentheke zum Kochen, erreichen Millionen von Klicks im Internet und verdienen sich damit goldene Nasen. Gemein machen sie sich mit ihrem feiergeilen Publikum dabei nicht unbedingt: Sie nehmen nur mit, was an Chartplatzierungen eben geht.

© Clemens van Lay/Unsplash

Ziel tausender Partytouristen: Playa de Palma

Ziel tausender Partytouristen: Playa de Palma

„Interessanterweise sind diese Musiker durchaus sehr selbstironisch unterwegs“, hat Simon Mack festgestellt. Der Dreißigjährige unterrichtet Gehörbildung und Musiktheorie am Mozarteum in Innsbruck und an der Musikhochschule in München. Durch eine Party in der Studentenbude seiner kleinen Schwester wurde der bayerische Hobbykomponist auf die Ballermann-Musik aufmerksam: „Ich war fasziniert von der Kombination aus Stumpfsinn, Witz und Selbstreflexion.“ Also packte der Musikpädagoge sein kompositorisches Geschick aus und vertonte die Texte neu – als Stilkopien des Klassiksektors.

Geh mal Bier hol’n, / Du wirst schon wieder hässlich / Ein, zwei Bier / Und du bist wieder schön. Mickie Krause

So entstand aus „Saufen!“ von Ingo ohne Flamingo nicht nur eine Barockarie, sondern auch ein romantisches Kunstlied aus dem Sexismus-Klassiker „Geh mal Bier hol’n“ von Mickie Krause, wie es Robert Schumann nicht inniger hätte komponieren können. Aus dem Stimmungsschlager „Hulapalu“ des steirischen Testosteronwunders Andreas Gabalier wiederum bastelte Mack ein Zwölftonlied. Auf seiner eigenen Website beschreibt er seine „postmoderne“ Herangehensweise in lakonischen Worten: „Bach und Bier, Brahms und Brüste, Schönberg und Schaumparty: Was die Mode streng geteilt, darf sich hier in einem dialektisch vermittelten Ganzen zeigen.“

Eine Zeitung deutete das Projekt wohlformuliert zur „Elegie der Weltflucht und Selbstzerstörung“. Doch Mack will wohl einfach nur selbst Spaß haben und sich ein bisschen lustig machen – nicht nur wohlfeil über die Ballermusik selbst, auch über die Klassikfetischisten, die in der Überhöhung selbst einen Kunstsinn wittern. Schließlich kommen seine Videos enorm ernst daher, die beteiligten Musiker legen sich ins Zeug, als stünden sie in der Carnegie Hall. Dass sie ja trotzdem Schwachsinn von sich geben, fällt angesichts der hohen musikalischen Qualität eigentlich kaum auf, sendet aber ein hübsches Streiflicht auf so manche Libretti, die bei näherem Hinhören nun auch nicht gerade durchgängig zu den größten Würfen zählen.

© Jakob Schad

Simon Mack verwandelt Ballermanhits in klassische Werke im Stil von Bach, Schumann oder Schönberg

Simon Mack verwandelt Ballermanhits in klassische Werke im Stil von Bach, Schumann oder Schönberg

Mehr Zugriffe als bei anerkannten Festivals

Eher überraschend ließ der Erfolg nicht lange auf sich warten. Denn Mack lud nicht nur seine Partituren, sondern auch die Aufnahmen all seiner Neukompositionen ins Netz – und landete prompt einen Klickhit nach dem anderen. Allein 1,25 Millionen Mal wurde der „Saufen“-Text als Bach-Arie auf Youtube bisher angehört. Weitere drei Umdeutungen liegen in der Schublade, die Zusammenarbeit mit renommierten Sängern bahnt sich an. Wer sich dafür hergeben wird, bleibt wegen des Überraschungseffekts noch das Geheimnis von Mack. Attraktiv für Klassikstars ist das Projekt natürlich nicht nur wegen des musikpädagogischen Effekts, sondern schlicht wegen der Zugriffszahlen. „Wenn ich überlege, wie viele Klicks aufwändig gemachte, künstlerisch hochwertige Musikvideos hochrangiger Festivals dagegen bekommen, ist das schon ein riesiger Unterschied.“

Die bisher überzeugten Künstler stammen mehr oder weniger aus dem privaten Umfeld Macks, der entweder mit ihnen studiert oder in Chören gesungen hat, zum Teil auch mit ihnen befreundet ist. Darunter finden sich daher vor allem junge Musiker mit Sinn für Ironie, die zum Teil bereits auf dem Klassiksektor arriviert sind, aber ihrer Aufgabe mit heiligem Ernst fest ins Auge blicken. Da ist es schon großartig anzuschauen, wie der Tenor Magnus Dietrich, immerhin Preisträger beim Bundeswettbewerb Gesang und Mitglied des Opernstudios Unter den Linden, mit hohem Anspruch dem hohlen „Saufen“-Text von „Ingo ohne Flamingo“ einen barocken Glanz verleiht, ohne auch nur einmal Zweifel an seiner Ernsthaftigkeit zu verraten.

Ingo ist selbst ein Gesangsstudent

© rawpic/CC-BY-SA-4.0

Ist begeistert von Macks Arbeit: Ingo ohne Flamingo

Ist begeistert von Macks Arbeit: Ingo ohne Flamingo

Vollends kurios wird dieser spezielle Genreübertritt übrigens dadurch, dass gerade unter dem albernen „Ingo“-Kostüm mit Entenmaske eigentlich selbst ein Gesangsstudent an einer deutschen Musikhochschule steckt, der mit seinen Ballermann-Hits schneller zu Geld kam, als er es als seriöser Künstler je hätte hoffen dürfen. Freilich will „Ingo“ sein Pseudonym gewahrt wissen, weil er selbst gerade erst am Anfang einer Opernkarriere steht. Ein Kulturtransfer in zwei Richtungen sozusagen.

Dass Simon Mack mit seiner Idee sowohl in der Klassik- wie auch in der Partyszene einen absoluten Coup gelandet hat, liegt natürlich zuvorderst an der Konfrontation der Genres und der Komik des Stilbruchs. Beides will der beflissene Kopist vor allem als Unterhaltung betrachtet sehen: „Ich nehme die Musik wahnsinnig ernst und möchte die Leute nur überraschen, indem ich ihre Erwartungshaltungen breche.“ Die zitierten Originalkünstler seien großenteils begeistert, ließen sich sogar zu gemeinsamen Interviews hinreißen. Inzwischen würden sogar Musiklehrer seine Videos im Unterricht verwenden und es damit schaffen, dass sich Kinder fünf Minuten lang seine Musik anhörten. „Ich freue mich, dass sich Leute, die sonst nichts mit Klassik zu tun haben, plötzlich mit ihr versöhnen und merken, dass dieses Genre doch nicht tot ist, wie sie immer gedacht haben.“

So überhoben dieser Anspruch vielleicht klingen mag – Simon Mack ist sich durchaus der Grenzen seines Projekts bewusst. „Alles ist ja nur eine Annäherung; der Versuch, hundertprozentig original barock, romantisch oder modern sein zu wollen, wäre völlig vermessen.“ Schließlich bleibe auch die Frage nach der Tragfähigkeit des Konzepts, denn irgendwann ist sowohl das mallorquinische Repertoire endlich als auch die Vielfalt der klassischen Genres. „Erfolg birgt ja die Gefahr, dass man darauf reduziert wird, und inzwischen bekomme ich auch ganz andere Anfragen als früher“, so Mack. „Aber irgendwann möchte ich auch mal was Ernstes schreiben, die Großen der Moderne würden sich ja über mein Kunsthandwerk lustig machen.“

Wobei die vermutlich nie so viel Zuspruch bekommen werden wie Simon Mack. Und war es nicht schon immer einträglicher, gut zu kopieren als schlecht zu erfinden?

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