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Buch-Rezension: Leonard Bernstein und seine Zeit

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In der Buchreihe „Große Komponisten und ihre Zeit“ dreht sich bei Andreas Eichhorn und seinen Mitautoren im aktuellen Band alles um Leonard Bernstein

vonNicolas Furchert,

Es ist eine der renommiertesten Reihen der deutschen Musikwissenschaft: „Große Komponisten und ihre Zeit“ vom Laaber-Verlag. Bereits in den 1980er-Jahren begonnen, setzt sie sich bis heute mit über 30 Bänden fort. Das Konzept unterscheidet sich dabei klar von Lexikonartikeln – nicht nur in der Länge – und üblichen Biografien. Die nackten Daten werden auf ein Minimum reduziert, stattdessen werden Werk und Wirken des Komponisten in einzelnen Kapiteln und den verschiedensten Gesichtspunkten beleuchtet.

Manche Bände stammen von einzelnen Autoren, andere sind eher Aufsatzsammlungen. Und es bleibt nicht aus, dass, weil verschiedene Autoren tätig sind, das Ergebnis auch unterschiedlich ausfällt. Silke Leopolds Buch zu Monterverdi etwa ist ein Musterbeispiel, wissenschaftlichen Anspruch und Lesefreundlichkeit miteinander zu verbinden. Nicht nur wegen der auffällig wenigen Fußnoten ist dieser Band auf für Laien und vielleicht sogar als Bettlektüre geeignet. Hermann Danusers Beschäftigung mit Gustav Mahler ist dagegen schwer verdaulich und nur am Schreibtisch zu erarbeiten.

Musiker und Komponist in Personalunion

Nun also Leonard Bernstein. Wieso Bernstein, mag sich mancher fragen. Würde die Reihe „Große Musiker“ heißen, könnte man sich relativ schnell einigen. Bernstein war sicher einer der ganz großen Musiker seiner Zeit, der in vielen Bereichen Maßstäbe gesetzt hat, vor allem als Dirigent und als Musikvermittler. Aber als Komponist? Liegt es an der Verbohrtheit der deutschen Musikwissenschaft, an der immer noch strengen Unterteilung zwischen den Kategorien „Unterhaltung“ und „Ernst“, dass einem Bernstein hier nicht in den Sinn kommen mag? Kann man jemanden ernst nehmen, der höchst unterschiedlich Gattungen bedient hat, darunter eben auch Musicals? Oder sollte man das sogar ausdrücklich?

Diese Frage versucht das von Andreas Eichhorn herausgegebene Buch zu beantworten. Fünf Kapitel widmen sich dem Komponisten Bernstein, fünf weitere beschreiben in analytischen Porträts einzelne Werke. Als gut gewählte Einleitung wird die Frage behandelt, was „amerikanische Musik“ eigentlich sei, stehen die Komponisten in den USA doch bis heute im Spannungsfeld zwischen durch Einwanderergeneration mitgebrachter europäischer – meist spätromantische – Tradition und originärer „amerikanischer“ Musik wie etwa dem Jazz.

Bernsteins Engagement jenseits des Komponierens

Der oft zu hörende Vorwurf, dass Bernstein gar nicht eigenständig komponiert habe, wird unter dem Stichwort Eklektizismus untersucht. Autor Frédéric Döhl bemüht sich leidenschaftlich, den negativen Einschlag dieses Schlagworts ins Positive zu lenken, beschwert sich aber gleichzeitig penetrant über alle schreibenden Kollegen, die darin vor allem die (bloße) Nachahmung sehen.

Lesenswerter erscheinen da die Kapitel über Bernsteins Engagement jenseits des Komponierens. Über den Dirigenten Bernstein hätte es durchaus mehr kritische Anmerkungen geben dürfen. Während die Intensität vieler seiner Konzerte und sein Kampf um die Gunst der Wiener Philharmoniker hervorgehoben wird, ist wenig über zerdehnte Tempi und manches Showgehabe zu lesen.

Musikvermittler Bernstein

Ob Bernstein als Pianist so herausragend war wie bei Gregor Willmes zu lesen, sei dahingestellt. Und auch über Bernsteins eigene Aufnahme seiner „West Side Story“ bei der Deutschen Grammophon, die er nicht, wie beim Musical angedacht, mit Jugendlichen, sondern mit Opernstars besetzt, wird kaum hinterfragt.

Der Musikvermittler Bernstein wird in zwei Abschnitten gewürdigt. Während Andreas Eichhorn eine interessante Untersuchung von Bernsteins Bildungsprogrammen im Fernsehen vorlegt, beschäftigt sich Wolfgang Lessing eher ermüdend mit der Frage, ob Bernsteins Vorgehen sich mit bildungstheoretischen Ansetzen decke oder nicht – eine müßige Frage, solange Bernstein sein Publikum erreicht, was er offenbar getan hat. Höchst lesenswert ist dagegen das Kapitel zum Einfluss des Judentums auf Leben und Werk Bernsteins. Viele Aspekte dürften dem durchschnittlichen Leser, der in christlicher Tradition in Europa aufwuchs, neu sein.

Bach, Beethoven, Brahms … Bernstein?

Unterm Strich fragt man sich, wen der Laaber-Verlag mit diesem Buch erreichen möchte. Den meisten Musikwissenschaftler dürfte der Komponist Bernstein suspekt bleiben. Ob er tatsächlich in eine Reihe mit Bach, Beethoven, Brahms und Bruckner gehört, ob er tatsächlich ein „Großer Komponist“ war, bleibt auch nach der Lektüre offen. Wer sich für den Menschen und Musiker Bernstein interessiert, findet lesenswerte und informative Kapitel zum Judentum, zum Pädagogen, zum Mahler-Entdecker, zum Förderer amerikanischer Musik oder zum in den USA politisch angefeindeten, weil er sich klar zum linken Lager bekannte. Wer einfach gern Musicals anschaut, dem werden die analytischen Teile ebenso zu trocken sein wie zu sehr mit Fachausdrücken gespickt. Insofern darf man gespannt sein, wie der angekündigte Band zu George Gershwin ausfällt.

Zwei Patzer aus der den einzelnen Kapiteln vorangestellten Chronik seien noch erwähnt: Unter den Stichpunkten zu 1960 werden die „Sinfonischen Tänze“ aus der „West Side Story“ als „Orchesterfassung des Musicals“ bezeichnet. Das klingt nach einem Arrangement des Gesamtwerks ohne Gesang. In Wirklichkeit sind diese Tänze aber eine rund 20-minütige Sinfonische Suite. Und der Fall der Berliner Mauer wird auf den 1. November 1989 und damit um acht Tage vorverlegt. Das sollte bei so einem wichtigen Datum nicht passieren.

Leonard Bernstein und seine Zeit

Andreas Eichhorn (Herausgeber)
407 Seiten
Laaber-Verlag

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