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Rezension René Jacobs – Weber: Der Freischütz

Erzromantisches Hörspiel

Das Freiburger Barockorchester und René Jacobs präsentieren mit Mut zum Risiko einen neuartigen „Freischütz“.

vonRoland H. Dippel,

Ein ganz großer Wurf. René Jacobs geht mit der Partitur so frei um wie kaum jemand vor ihm. Diese Aufnahme rekonstruiert das, was Weber und der Textdichter Friedrich Kind als Versäumnisse ihrer ausgeführten Fassung betrachteten. Deshalb singt Kuno hier die Erzählung von der Entstehung des Probeschuss-Rituals frei nach Franz Schubert. Es fällt also auf, was beim „Freischütz“ lange versäumt wurde: Die nervöse Durchlüftung von Carlos Kleiber, die historisch informierte Sicht von Bruno Weil und das analytische Musizieren von Nikolaus Harnoncourt waren wichtig und richtig, aber nur die halbe Weber-Wahrheit. Denn dieser gestaltete im „Freischütz“ wie Mozart in „Die Zauberflöte“ alle Szenen- und Nummerntypen des Musiktheaters seiner Zeit. Damit bot er Interpreten Anreize zur subjektiven Mitgestaltung. Jacobs treibt das Ensemble in Freiheiten, welche dieses gern ausschöpft und den scheinbar altvertrauten Figuren eine frische und interessante Physiognomie gibt. Es überzeugt der Mut zu ästhetischen Risikomanövern, auch in der nach Material aus anderen Nummern neu komponierten Szene des Eremiten und dessen Duett mit Agathe. Diese Zusätze haben nichts akademisch Besserwisserisches, wohl aber eine Lust am Fantastischen, Abgründigen und Makabren. Textzutaten schärfen die Rahmenbedingungen des gerade beendeten dreißigjährigen Kriegs und des Dämonenglaubens. Es ist weit mehr als Theaterdonner, wenn Trommelschläge abgründige Dialoge untermalen. In diesen wird der Dämon Samiel zur abgespaltenen bösen Seite Kaspars. Bei Jacobs wirken sogar ländliche Harmoniesätze und Gebete gefährlich, bedrückend und archaisch. In vielen Musiknummern geriet diese Aufnahme sehr zügig, in den gesprochenen Texten erdig. Und es macht viel aus, wenn die Chöre keinen runden Gesamtklang haben, sondern im berühmten Jägerlied Einzelstimmen die biedermeierliche Klangeinheit fast ironisch ad absurdum führen. Selbst wenn die Männer, Chor und Orchester hervorragend sind, überraschen am meisten die beiden Soprane als Ännchen und Agathe mit faszinierend freien Phrasierungen und plausiblen Charakterisierungen.

Dirigent René Jacobs interpretiert Webers Oper neu
René Jacobs interpretiert Webers Oper neu

Weber: Der Freischütz

Maximilian Schmitt, Polina Pasztircsak, Kateryna Kasper, Dmitry Ivashchenko, Yannick Debus, Christian Immler, Zürcher Sing-Akademie, Freiburger Barockorchester, René Jacobs (Leitung)
harmonia mundi

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