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150. Todestag von Georges Bizet

Eine tragische Erscheinung

Georges Bizets Schaffen ist weitaus reichhaltiger als nur seine Erfolgsoper „Carmen“ – heute vor 150 Jahren starb der Komponist in der Nähe von Paris.

vonChristian Schmidt,

Irgendwie ist es verhext. Die größten Meister der Musikgeschichte erreichten kaum einmal ihren 40. Geburtstag: Mozart blieben nicht mal 36, Mendelssohn gerade 38 Jahre. Schubert wurde sogar nur 31. Nicht besser erging es Georges Bizet, der am 3. Juni 1875 an den Folgen eines Herzanfalls starb – er wurde nur 36 Jahre alt und konnte den riesigen Erfolg seiner Oper „Carmen“ damit nicht mehr erleben.

Dieses Glanzstück machte den Namen des einstigen Pariser Wunderkindes, das schon vor seinem zehnten Geburtstag ins heimische Konservatorium aufgenommen worden war, auf einen Schlag weltbekannt. Bis heute ist diese Oper eines der beliebtesten und buchstäblich rund um den Globus am meisten gespielten Stücke des Repertoires.

Georges Bizet: Sinfoniker, Lieddichter und pianistisches Genie

Und doch wohnt dieser Erfolgsgeschichte in mehrfacher Hinsicht eine gewisse Tragik inne. Denn erstens erlebte Bizet seinen ersten wirklichen Erfolg nicht mehr. Zweitens ist das, was wir heute als „Carmen“ kennen, bei weitem nicht die authentische Fassung, die aufgrund spießbürgerlicher Bedenken ständig abgeändert wurde und mal mit Dialogen, mal mit Rezitativen den Scheren wildgewordener Dramaturgen und anderer Verschlimmbesserer zum Opfer fiel. Sogar die berühmte Habanera war ursprünglich ein völlig anderes Stück Musik und ist im Grundaufbau überdies gar nicht von Bizet selbst.

Andererseits wurden die frühen – aus keinem ersichtlichen Grund meist erfolglos gebliebenen – Werke völlig begraben unter dem Siegeszug der „Carmen“, dieser unerhört realistischen Gesellschaftsstudie aus dem Lumpenproletariat, die den Freiheitsgeist ihrer Titelfigur mit feministischem Odem an den Grundfesten des zeitgenössischen bürgerlichen Patriarchats rütteln ließ. Bizet, das nach Franz Liszts Einschätzung unter die drei besten Pianisten seiner Zeit gezählte Genie, hinterließ immerhin fast ein Dutzend Opern, von denen es maximal die „Perlenfischer“ auf die Bühnen schaffen – zuletzt grub Meiningen immerhin „Iwan IV“ aus.

Hinzu treten aber auch zwei großartige Sinfonien – die erste davon im Alter von 17 Jahren als studentische Hausarbeit aufgesetzt und erst 80 Jahre später aufgeführt – und nicht zuletzt wunderbare Lieder, die mit ihrem besonderen Hang zum Lyrismus einerseits und einem ausgeprägten Personalstil andererseits den Weg in den französischen Impressionismus wiesen. Wer einmal vierhändig die ganz anders als bei Schumann angelegten „Kinderszenen“ gespielt oder – selten genug – die lyrischen Soli in den „Arlésienne“-Suiten für das gerade erst erfundene Saxofon gehört hat, kann sich dem Zauber dieses Komponisten nicht mehr entziehen.

Bizet wird viel zu sehr reduziert auf seine „Carmen“ – und viel zu wenig aufgeführt. Bis auf weiteres bleibt er eine tragische Erscheinung der Musikgeschichte.






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