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Porträt Iveta Apkalna

„Nutella oder Marmelade aufs Brot?“

Eigentlich hatte Iveta Apkalna Klavier studiert. Dann entdeckte sie, wie auch schon ihre Großväter, die Orgel für sich

vonChristian Schmidt,

Organisten gehören zu den Schattenwesen im Musikgeschäft: Niemand nimmt sie wahr, wenn sie hoch droben am Spieltisch sitzen. Wer sich da vorwagt als aberwitzige Glamourerscheinung wie ein Cameron Carpenter, verdient sich rasch den Ruf eines Enfant terrible – der Exzentriker seinerseits hält es für exzentrisch, wenn jemand „30 Jahre an der gleichen Orgel sitzt“. So scharf würde das Iveta Apkalna nie formulieren. Dafür ist die Lettin viel zu höflich: „In 38 Lebensjahren habe ich in sehr verschiedenen Epochen gelebt. Dieses Bewusstsein für die Veränderlichkeit der Zeit haben viele Organisten nicht.“

Aber aus ihrer Vorliebe für Extroversion macht Apkalna keinen Hehl: Groß, blond und blauäugig wagt sie sich mit silbernen, goldenen oder roten Lackschuhen auf die Orgelemporen und in die Konzertsäle, lässt sich ähnlich illuster für CD-Cover abbilden und achtet darauf, dass der Spieltisch genau im rechten Licht steht, wenn sie etwa mit den Berliner Philharmonikern auftritt.

Durch das Abbild meines Gesichtsausdrucks nehme ich Kontakt zum Menschen auf. Das bedeutet bestenfalls auch mehr Zugang zur inneren Welt.“ Dass ihr die Puristen der hehren und wahren Orgelkunst diese vermeintlichen Äußerlichkeiten vorwerfen, überrascht nicht; und doch erzielt Apkalna ihren Erfolg nicht aus ihrer Schönheit. Sie kann glaubwürdig vermitteln, dass es ihr um Authentizität geht. „Mir reicht das nicht, wenn jemand nur gut vorspielt. Das Publikum ist nicht dumm, es spürt alles.“ 

Vom Tanz zu den Tasten

Seit sie als 15-Jährige vor Papst Johannes Paul II. spielte und mehrere Wettbewerbe gewann, gehört sie einfach zu den Besten ihrer Zunft. Dass so viele Profi-Musiker aus dem Baltikum erfolgreich sind, führt sie auf die gute Musikausbildung in der früheren Sowjetunion zurück, die sich auch ins moderne Lettland hinübergerettet habe. Tasten kennt Apkalna, die unter strenger Aufsicht einer Pianistenmutter erzogen wurde, von Kindesbeinen an. Doch sie hatte noch andere künstlerische Talente, gewann als Tänzerin früh viele Wettbewerbe. „Vielleicht untypisch für eine Neunjährige, dachte ich mir dann ganz praktisch, dass man ja mit 40 aufhören muss“, kokettiert die Musikerin. „Dann hörte ich auf unseren alten Platten den Rubinstein noch mit 80 spielen und wusste: Das ist was für dich.“

Zur Orgel indes fand Apkalna erst nach ihrer Pianistenausbildung. „Ich hatte immer einen großen Appetit auf etwas Neues. Als Anfang der 90er-Jahre die Kirchen in Lettland wieder öffneten, begann ich mich für die Orgel zu interessieren.“ Apkalna wurde parallel zu ihrer Klavierausbildung die erste Studentin am heimischen Konservatorium im neuen Fach. „Wieder war das sehr appetitlich, und ich konnte mich nicht entscheiden: Nutella oder Marmelade aufs Brot?“

Kurze Zeit später merkte sie, „dass rein physisch zu wenig bewegt wird beim Klavier, das vor allem etwas für den Verstand ist, die Orgel eher fürs Herz“. Erst als die junge Frau sich für das Königsinstrument entschieden hatte, erfuhr sie, dass beide Großväter auch Organisten gewesen waren. „Auf natürliche Weise bin ich so zu meinem beruflichen Erbe gekommen.“ Trotzdem wahrt Apkalna eine gewisse Distanz: „Die Orgel ist so majestätisch, dass wir uns nach wie vor siezen, obwohl wir uns sehr gern haben.“ Wichtig sei vor allem, dass sie auch in säkularen Räumen ihre Berechtigung habe. „Ich will die Orgel aus ihrem Schattendasein befreien.“

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