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Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern finden statt

Das Jubiläum findet statt!

Erst mussten die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern alle Konzerte bis einschließlich August absagen – nun können sie doch noch im Sommer ihr 30-jähriges Bestehen feiern.

vonRoland H. Dippel,

Worte wie „Wachstum“, „Erfolg“ und „Effizienz“ bedeuten manchmal keinen Verschleiß von Ressourcen, sondern deren ideale Nutzung. Das muss nicht gleich auf der Insel der Seligen sein, aber musikalisch betrachtet liegt das Bundesland mit der längsten Küstenlinie und der größten Insel Deutschlands dieser ziemlich nahe: Seit 1994 ist Mecklenburg-Vorpommern Schauplatz eines entschleunigten Festspielmärchens. Während andere Veranstalter in der Pandemie ein Not-Szenarium nach dem anderen veröffentlichten, wartete Intendant Markus Fein vor seinem Wechsel an die Alte Oper Frankfurt so lange, bis er für den frisch ins Leben gerufenen Festspielwinter 2020/21 einen im Rahmen der geltenden Schutzbestimmungen machbaren Plan B entworfen hatte.

Zusätzlich soll es dreißig weitere Konzerte im kleineren Rahmen geben. Die Reihe mit dem Titel „30 – mal anders“ startet am 13. Juni mit dem Eröffnungskonzert für den sogenannten #netzspielsommer: Ab 18 Uhr geben Mitglieder der NDR Radiophilharmonie in der Neubrandenburger Konzertkirche ein kammermusikalisches Programm, danach wartet das Ensemble „deep strings“ mit einer Melange aus Kammerjazz, Pop und Chanson auf. Beide Veranstaltungen werden über die Homepage des NDR und der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern gestreamt, außerdem dürfen 75 Personen die Konzerte live vor Ort verfolgen. Tags darauf präsentieren die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern Konzerte, Grußbotschaften der Festspielpreisträgerinnen und -träger, Gespräche sowie Film- und Konzertaufnahmen aus den Schätzen des Festspielarchivs. Neben einem speziellen Kinder- und Familienprogramm wird es Porträts und Konzerte geben, zudem werden die Nordstory „Picknick mit Beethoven“ und der Konzertfilm „MV von oben“ ausgestrahlt.

Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern planen für die Veranstaltungsreihe weitere Konzerte, die genauen Termine werden zeitnah auf der Homepage der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern bekanntgegeben. Bereits am 12. Juni wird das SIGNUM saxophone quartet ein „Rettungsschirmkonzert“ auf Schloss & Gut Ulrichshusen geben, im Anschluss gibt es ein kleines Open-Air-Konzert im Park, bei dem die Besucherinnen und Besucher mit mitgebrachten Regenschirmen bildlich den Rettungsschirm für die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern aufspannen. Da die Corona-Pandemie eine Planungssicherheit nicht zulässt, können weitere Veranstaltungen erst kurzfristig bekanntgegeben werden.

Erstaunliche Wiederbelebung

Es sind die besten Eigenschaften der Gutsherren- und Landadel-Traditionen, die sich hier auf langem Atem mit hanseatischem Ökonomie-Bewusstsein und Kunstsinn vereinen. Sitz der Geschäftsstelle der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern ist die frühere Ersparnisanstalt in Schwerin, das historische Gebäude hatte die Stiftung der Festspiele 2018 erworben. Das Herz der über sechzig Konzert- und Aufführungsorte bleibt weiterhin Schloss Ulrichshusen. Dessen erstaunliche Wiederbelebung gehört zu den schönen Begebenheiten der Nachwendejahre: Helmuth und Alla von Maltzahn hatten den Ort mit dem niedergebrannten Anwesen nach dem Mauerfall besucht und begannen mit energischer Hilfe der Anwohner den Wiederaufbau des zurückgekauften Familienbesitzes. Heute bietet das großzügige Bauensemble neben Ferienwohnungen und einem Tagungszentrum drei Räume für Musik: Die 1994 durch das Eröffnungskonzert mit Yehudi Menuhin akustisch und gesellschaftlich nobilitierte Festspielscheune ist einer der größten Konzertsäle des Nordens, die 2016 fertig gestellte Remise geeignet für Kammerkonzerte und kleinere Veranstaltungen. Auch das Schloss selbst wird zum Konzertsaal.

Natürlich könnte man jetzt eine Legion hochklassiger Künstler aufzählen, die in dreißig Festspieljahren als Artist in Residence und Preisträger oder in Schwerpunktreihen und saisonalen Projekten zwischen Wismar, Fürstenhagen, Stralsund und Rostock gastierten. Der Geiger Daniel Hope, dessen Laufbahn auch durch seine Verbundenheit zu den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern in Fahrt kam und der die Frühjahrskonzerte 2020 hätte mitgestalten sollen, bringt es stellvertretend für Igor Levit, Anne-Sophie Mutter, das Vokalensemble amarcord und viele andere auf den Punkt: „Die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern sind ein Festival von Freunden für Freunde. In atemberaubender Kulisse.“

Wilde Pionierjahre

Überhaupt fällt in Gesprächen mit Beteiligten auf, dass es weniger um blumige Wort-Arabesken als um optimale Voraussetzungen und das harmonische Gelingen von Reihen wie „Landpartie“, „Junge Elite“, „Unerhörte Orte“, „360° …“, „2 x Hören“ oder das Kinder- und Familienprogramm „Mäck & Pomm“ geht. Sebastian Nordmann, von 2002 bis 2008 Intendant der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern und seit 2009 Intendant des Konzerthauses Berlin, hat noch immer eine intensive Beziehung zur Festspielfamilie in Schwerin und Ulrichshusen. Bedingungen in Mecklenburg-Vorpommern und Strategien prägen auch für andere Aufgaben: „Anders als in Städten entstehen bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern künstlerische Programme nie am Schreibtisch oder durch Agentur-Anfragen, sondern beim Essen nach einem Konzert oder während Ortserkundungen in Backsteinkirchen, Schlössern, Gutssitzen und alten Industrieanlagen.“

© Nicolas Zonvi

Die Entfernung von urbanen Hotspots war auch für den Hamburger Matthias von Hülsen, der nach der Gründung des Schleswig-Holstein Musik Festivals und zwei Leitungsphasen bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern seit 2014 das Festival Krzyżowa-Music in Polen leitet, eine persönlich gesuchte Herausforderung: Dabei hatte er zwischen Hamburg, Berlin und der Ostsee nur wenig anders gemacht als mit Justus Frantz in Schleswig-Holstein. Die wilden Pionierjahre der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern sind auch Daniel Hope in glücklicher Erinnerung: „Auf Schloss Ulrichshusen hatten wir Mitte der neunziger Jahre, als es noch kein Dach gab, zuerst Schuberts „Forellenquintett“ gespielt und dann unter freiem Himmel munter Jazz improvisiert. Das sorgte für eine einzigartige Stimmung, vor allem bei den Sponsoren. Am Ende des Abends war die Finanzierung des Festivals gleich für das kommende Jahr gesichert!“

Dezente Hilferufe

Bereits damals zeigte sich jene konsequente Intensität, mit der man bis heute gemeinsam an einem Strang zieht. So gab es nach der Absage des diesjährigen Festspielsommers reichlich Zuspruch aus dem Kreis der inzwischen über 90.000 Besucher. Helmuth von Maltzahn sieht in dem sich ankündigenden Boom von Urlaubsreisen im eigenen Land allerdings auch eine große Chance. „So werden wir bekannter bei Gästen, die bisher allenfalls die Ostseeküste und die Inseln kennen.“ Sogar Sebastian Nordmann hatte einige Zeit gebraucht, um es tatsächlich an alle Aufführungsorte zu schaffen: „Das Vorurteil, dass Festivals in ländlichen Regionen sich an Mozart und Beethoven festbeißen würden, haben wir gründlich ausgeräumt. Das geht, wenn das Publikum Vertrauen in die Festspielleitung hat.“ Auch die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern senden dezente Hilferufe, um als von ihren Karteneinnahmen abhängiges Festival überleben zu können. Durch die Vielzahl kleiner Aufführungsstätten gibt es für Pläne wie das Kammermusikfest der jungen Elite im November 2020 eine vertretbare Lösung. Zudem hat Helmuth von Maltzahn mit der ihm vor kurzem vermachten Privatsammlung mit 1.800 Instrumenten einiges vor …

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