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Festivals in Israel

Untergründige Spannung

Den Festivalmusikern gelingt das, was der Politik oftmals schwerfällt: ein gemeinsamer Austausch auf Augenhöhe. Vier spannende Einblicke in Israels Festivalkultur

vonAnnette Zerpner,

Pilgerpozessionen sind in Jerusalem nichts Besonderes. Das Menschenband, dass sich unter Klängen des Glockenspiels vom Turm bedächtig über die Terrasse des historischen YMCA-Gebäudes vorwärts schiebt, will allerdings zu keinem Heiligengrab. Es ist unterwegs zum Mittagskonzert des entgegen aller ursprünglichen Unkenrufe überaus lebendigen „Jerusalem International Chamber Music Festival“. Gründerin und künstlerische Leiterin ist Pianistin Elena Bashkirova, die im eleganten Sommerkleid im Schatten sitzt und entspannt die zu Sir András Schiff strebenden Besucher beobachtet.

Mary Nathaniel Hall im YMCA International Jerusalem
Mary Nathaniel Hall im YMCA International Jerusalem © YMCA International Jerusalem

Ihr Ehemann Daniel Barenboim hat das Festival eine „Insel säkularer Kultur“ genannt, die ihn nostalgisch mache für das Jerusalem seiner Jugend, die Stadt von Max Brod und Martin Buber. Man trifft hier auf ein sehr spezielles Publikum, bestätigt Elena Bashkirova. Es sei – wie anderswo auch – vom Altersdurchschnitt her nicht jung, wohl aber im Kopf. Und ungeheuer durstig nach guter Musik: „Um sich mit Kammermusik zu beschäftigen, braucht man Zeit und eine gewisse Ausgeruhtheit des Geistes.“ Seit der Premiere 1998 wurde das Festival noch nie abgesagt. Weder 2001, als es die Nachricht von den Anschlägen am 11. September erschütterte, noch ein Jahr später, als Attentate und Bomben das Land überzogen. Aus der alltäglichen, untergründigen Spannung Jerusalems speist sich seine besondere Energie. Sie ist immer da, „selbst wenn es hier normalerweise nicht gefährlicher ist als in Berlin. Es ist das Lebensgefühl,“ erklärt die Pianistin.

Das israelische Festival „intonations“ bringt Jerusalem nach Berlin

Diese Energie transplantiert sie inzwischen auch in die reichlich kulturgesättigte deutsche Hauptstadt: „Beide Städte sind nicht nur durch die Geschichte verbunden. Inzwischen leben ja viele junge israelische Musiker dort und prägen das Kulturleben mit.“ Im kommenden April bespielt sie unter dem Titel „intonations“ zum sechsten Mal für eine knappe Woche den Glashof im Jüdischen Museum Berlin.

„Elena’s blend“, nennen die Musiker ihre intuitive Mischung aus hochbegabten jungen Israelis, Mitgliedern renommierter Orchester und einigen der glänzendsten Namen der Klassikszene. Mal sei zuerst der Wunsch da, ein bestimmtes Werk zu spielen und sie lade die Musiker dazu ein, mal wisse sie schon, dass bestimmte Freunde wieder dabei sein können – gegen Hummus, und Logis, aber ohne Gage, einfach nur aus Begeisterung und Freundschaft. „Dann überlege ich andersherum: Was kann ich mit den ganzen Holzbläsern anfangen?“, sagt die Pianistin und lächelt hinüber zu einem Tisch tiefer im Schatten der Arkaden, an dem die „Vents Français“ beim Bier ihre Terminkalender abstimmen. Flötist Emmanuel Pahud, Oboist François Leleux und Klarinettist Paul Meyer gehören zum französischen Allstar-Bläserquintett, dessen Mitglieder 2017 sowohl bei „intonations“ als auch bei der 20. Auflage in Jerusalem wieder dabei sein werden.

Erholung pur beim „Kfar Blum Chamber Music Festival“

In Obergaliläa, zweieinhalb Stunden nördlich von Tel Aviv an der Grenze zum Libanon, liegt der kleine Kibbuz Kfar Blum unterhalb von Israels höchstem Berg Mount Hermon. Der Jordan fließt vorbei und sorgt im Hula-Tal für reichlich Vegetation. „Halb Israel kommt zur Erholung in diese Gegend. Es ist zwar nicht die Schweiz, aber grüner als hier wird’s bei uns nicht“, sagt Cellist Zvi Plesser.

Landschaft in Obergaliäa
Landschaft in Obergaliäa © shutterstock

Der renommierte Solist und Professor an der Jerusalem Academy of Music and Dance leitet seit 2011 das „Kfar Blum Chamber Music Festival“, das ursprünglich den sperrigen Namen „Voice of Music Festival in the Upper Galilee“ trug. Den verdankte es Israels gleichnamigem Klassiksender, mit dem die Pianistin und Gründungsdirektorin Idith Zvi zunächst zusammengearbeitet hat.

„1985 wollte Idith so etwas wie das Vermonter Marlboro Music Festival etablieren“, erzählt Plesser. Ruhe, Zeit, eine intensive Probenphase ohne den Zwang, dass jedes studierte Stück auch aufgeführt werden muss – „das genaue Gegenteil der normalen Bedingungen eines Musikerlebens“. Der Saal des Kibbuz mit seinen 600 Sitzen und einer erstaunlich guten Akustik stellte sich als idealer Aufführungsort heraus. Bis zu fünf Konzerte, jeweils um die 70 Minuten, plant Zvi Plesser für jeden der fünf Festivaltage. „Das großartige Gitarrenquintett von Castelnuovo-Tedesco haben wir letztes Jahr in einem Gratiskonzert am Nachmittag gespielt. So kamen viele, die von diesem Komponisten noch nie gehört hatten, einfach weil sie in der Gegend waren.“

Ähnlich funktionieren Proben und Meisterklassen. Abends stehen normale Konzerte mit Tickets auf dem Programm. Wie Elena Bashkirova hat auch Plesser ein großes Netzwerk, so dass sich nicht nur renommierte israelische Künstler verschiedener Genres einstellen, sondern auch mancher Berliner Philharmoniker zur Kammermusik einfliegt. „Und zum Entspannen – um die Natur und die Musik genießen,“ beschreibt Plesser das Gesamtpaket. In den letzten Dekaden wurde die Gegend touristisch stärker erschlossen, das Festival aber blieb beim internationalen Publikum ein Geheitipp. Das bescheidene Hotel, in dem früher zahlreiche Musikliebhaber unterkamen, ist inzwischen zum Spa umgebaut. Für kleineres Geld kann man jedoch noch private „Zimmers“ mieten, die israelische Variante von B&B. Shuttle-Busse verkehren ab Tel Aviv, über Details informiert man sich am besten beim dortigen Fremdenverkehrsamt.

Gesang an spektakulären Orten: »Israeli Opera Festival«

Open-Air-Aufführung der Israeli Opera in Jerusalem
Open-Air-Aufführung der Israeli Opera in Jerusalem © Yossi Zwecker

Ein größeres Opernpublikum wie in vielen europäischen Ländern existiert im kleinen Israel zwar nicht, Enthusiasten aber gibt es doch in ausreichender Zahl: Nachdem die Nationaloper 1982 wegen Streichung öffentlicher Gelder schließen musste, wurde bereits drei Jahre später ein neues Ensemble gegründet, das heute unter dem Namen „The Israeli Opera Tel- Aviv-Yaffo“ firmiert. International bekannt wurde es durch Open-Air-Inszenierungen im Sommer, die seit 2010 als „Israeli Opera Festival“ an verschiedenen Orten im Land stattfinden. Vor allem der schroff in die Höhe ragende Tafelberg mit der antiken Festung Masada – einer UNESCO- Weltkulturerbestätte mitten in der Wüste – beeindruckte als Kulisse für große Oper von Aida bis La Traviata bis zu 4000 Zuschauer auf einmal. Logistik, Wetter und Umweltschutz stellten die Veranstalter des Events jedoch jedes Jahr vor so große Herausforderungen, dass 2015 endgültig der Vorhang fiel. Weiterhin bespielt werden die Freiluftbühnen an anderen historischen Orten: Im kommenden Juni erklingt Verdis Nabucco in Jerusalem beim sogenannten „Sultan’s Pool“ am Fuß des Zionsbergs westlich der Altstadt.

In der berühmten Kreuzfahrerfestung der alten Hafenstadt Akko ganz im Nordwesten des Landes wird Anfang August außerdem Händels Giulio Cesare in Egitto in einer eigens geschaffenen Inszenierung zu sehen sein. Als Ersatzort für Masada ist der Timna Park in der Wüste Negev 25 Kilometer nördlich von Eilat am Roten Meer im Gespräch. Ob Saint-Saëns’ biblische Oper Samson et Dalila bereits im nächsten Oktober vor der eindrucksvollen Felsformation „Salomons Säulen“ auf die Bühne kommt, wird zeitnah angekündigt.

Intonations
22. – 27.4.2017
Mit: Éric Le Sage, Edgar Moreau, Emmanuel Pahud, Kolja Blacher u. a.
Ort: Jüdisches Museum Berlin

Summer Opera Festival
21. – 22.6.2017
Ort: Jerusalem (Nabucco)
3. & 5.8.2017
Ort: Akko (Giulio Cesare in Egitto)

Kfar Blum Chamber Music Festival
18. – 22.7.2017
Ort: Kfar Blum

Jerusalem International Chamber-Music Festival
31.8. – 9.9.2017
Ort: Jerusalem

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