Lisa Batiashvili kennt man vor allem als Geigerin von Welt. Doch sie kommentiert auch immer wieder das politische Geschehen in der Ukraine oder ihrer Heimat Georgien. Man müsse aber aufpassen, dass man nicht ständig Teil einer Bewegung ist, warnt sie.
Frau Batiashvili, derzeit sind Sie als Artist in Portrait des London Symphony Orchestra auf Tournee und spielen drei sehr unterschiedliche Werke.
Lisa Batiashvili: Das Violinkonzert von Schnittke wird nur in London gespielt und ist das einzig wirklich neue Werk für mich. Das Violinkonzert von Karol Szymanowski spiele ich auch noch nicht so lange, das habe ich erstmals 2018 mit dem Gustav Mahler Youth Orchestra einstudiert.
Mozarts fünftes Violinkonzert, das Sie ebenfalls mit dem London Symphony Orchestra interpretieren, spielen Sie schon länger. Was war denn Ihr erstes Mozart-Violinkonzert überhaupt?
Batiashvili: Das dritte Violinkonzert in G-Dur, das habe ich mit zehn Jahren gespielt, als ich noch in Georgien gelebt habe.
Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Schritte auf der Geige?
Batiashvili: Mein Vater hat zu Hause unterrichtet und mit seinem Streichquartett geprobt, insofern waren auch immer Leute bei uns zu Hause, die Musik gemacht haben. Mit zwei Jahren wollte ich dann auch eine Geige haben. Über einen Freund meines Vaters habe ich eine Sechzehntel-Geige mit zwei Saiten bekommen, auf der ich hartnäckig daran gearbeitet habe, die richtigen Töne zu finden. Als ich vier war, hat mein Vater dann die wegweisende Frage gestellt: „Willst du wirklich Geigerin werden? Dann musst du jeden Tag ein bisschen üben.“ Ich habe Ja gesagt und mich damit als Vierjährige für den Musikerberuf entschieden (lacht).
Wann gaben Sie die ersten Konzerte?
Batiashvili: Auch mit vier. Ich erinnere mich tatsächlich noch an meinen ersten Auftritt in der Philharmonie von Tbilissi, da habe ich ein Konzert von Oskar Rieding gespielt.
Mit zwölf Jahren sind Sie dann nach Deutschland gezogen …
Batiashvili: Das war das Ende eines alten und der Anfang eines neuen Lebens – neue Schule, neue Menschen, neue Sprache und so weiter. Aber genau deshalb haben die ersten zwölf Jahre meines Lebens so einen besonderen Speicher bekommen in meinem Gedächtnis.
Gab es auch musikalisch einen Bruch, als Sie mit Ihrer Familie ausgewandert sind?
Batiashvili: Ja, als ich in Hamburg als Jungstudentin an der Musikhochschule aufgenommen wurde und daraufhin zwei Jahre bei Mark Lubotsky studiert habe, einem Oistrach-Schüler und sehr intellektuellen Lehrer. Zudem kam ich auf ein musisches Gymnasium. In Georgien war mein Vater mein Hauptlehrer, so dass ich hauptsächlich von der russischen Geigenschule beeinflusst war. In Deutschland musste ich mich dann auf die europäische Geigenschule umstellen. Heutzutage haben sich die pädagogischen Ansätze miteinander vermischt, damals aber gab es noch eklatante Unterschiede zwischen beiden Schulen. Da hat sich für mich als Zwölfjährige schon eine neue musikalische Welt eröffnet: wie man phrasiert, wie man kammermusikalisch zusammenspielt, wie man dem anderen zuhört.
Gibt es trotzdem noch so etwas wie eine georgische Art des Musizierens?
Batiashvili: Ich finde schon, das hört man auch noch bei der ganz jungen Musikergeneration heraus: Da ist dieser unglaublich intuitive und sehr direkte Zugang zur Musik, der eine Verbindung zur georgischen Volksmusik und auch zur Natur hat, die die menschliche Vorstellungskraft erst erwecken kann. Aber auch die Art zu lieben beeinflusst das Musizieren. Als Gast oder Tourist erlebt man sofort die georgische Liebe, die eine ganz besondere Warmherzigkeit hat. Es geht viel weniger darum, was mir gehört und was dem anderen. Es gibt ein georgisches Sprichwort: Alles, was du gibst, ist deins, und alles, was du behältst, geht verloren. Mit diesem Gedanken leben viele Georgier, und ich meine, diese Großzügigkeit auch in der Musik zu hören. Das macht auch unsere Art zu musizieren sehr berührend.
Mit ihrer Lisa Batiashvili Foundation unterstützen Sie hochbegabte georgische Nachwuchsmusiker. Auf welche Weise?
Batiashvili: Bei uns erhalten sie individuelle Unterstützung hinsichtlich des Konzertlebens und der Weiterbildung. Die jungen Leute sollen auch ein Verantwortungsgefühl und ein Bewusstsein für die Kommunikation entwickeln – gerade die ist sehr wichtig, um sich überhaupt einen Platz in der Musikwelt zu verschaffen. Alle unsere Musiker studieren mittlerweile auch an europäischen Musikhochschulen.
Ist die Arbeit in Ihrer Stiftung schwerer geworden seit den Wahlen in Georgien?
Batiashvili: Zum Glück sind wir unabhängig von Parteien und Regierungsorganisationen. Die Stiftung setzt auch genau an der Stelle an, wo die notwendige staatliche Unterstützung für junge erwachsene Musiker in diesem Land fehlt. Insofern haben wir weitestgehend europäische Unterstützer, wofür ich sehr dankbar bin.
Wie blicken Sie auf die politische und soziale Situation in Georgien, die derzeit von Repression und antidemokratischen Tendenzen geprägt ist?
Batiashvili: Wenn man vor Ort ist, wird man vom Optimismus dieser unglaublichen Bewegung angesteckt, die schon seit über hundert Tagen junge Leute dazu veranlasst, auf die Straße zu gehen, weil sie mit den vielen neuen Gesetzen und dem sehr fragwürdigen Ausgang der Wahlen nicht einverstanden sind. Aber es verändert sich zu wenig. Es wird immer schlimmer, weil die Regierung zu immer drastischeren Mitteln greift, um die Menschen so zu verängstigen, dass sie sich nicht mehr trauen zu protestieren.
In den USA gaben und geben Sie in der ersten Jahreshälfte mehrere Konzerte, auch mit Orchestern, mit denen Sie schon lange zusammenarbeiten. Wie lange braucht es, bis man ein Orchester wirklich gut kennt?
Batiashvili: Es braucht schon Jahre. Dann kann aus einer Zusammenarbeit eine Freundschaft werden.
Was heißt das konkret?
Batiashvili: Es kommt manchmal vor, dass man Kammermusik mit einigen Musikern aus dem Orchester spielt oder dass man sie auch privat kennenlernt. Die musikalische Arbeit findet vor allem auf menschlicher Basis statt. Es geht auch darum, einander zu vertrauen und zuzuhören.
Sie sind auch mit Ihrem Ehemann, dem Oboisten François Leleux, zu erleben. Lassen sich Liebe und Alltagsprobleme von Professionalität und künstlerischer Inspiration trennen?
Batiashvili: Für uns ist das gemeinsame Musizieren auf der Bühne ein Bonus. Im Familienalltag spielt Musik keine große Rolle, das ist bei uns so wie in vielen anderen Familien auch. Von Anfang an wollten mein Mann und ich trotz unserer musikalischen Karriere ein möglichst normales Familienleben führen.
War es denn schwer?
Batiashvili: Ja. Als Musiker müssen wir viel reisen. Das ist eine große physische, aber auch mentale Herausforderung. Als Mutter muss man lernen, zwei Welten zusammenzubringen, die sehr viel Energie fordern. Man kann nicht zu achtzig Prozent Musiker sein, und zu achtzig Prozent Mutter sein, geht auch nicht.
Das klingt, als sei das Musikerdasein ein familienfeindlicher Beruf.
Batiashvili: Ja, aber das gilt für viele andere Berufe auch. Und doch hat die Musik meinen Kindern so viel Gutes gegeben. Sie haben durch uns fantastische Menschen kennengelernt, haben fantastische Konzerte besucht. Die Kraft der Musik auf die Entwicklung der Kinder kann man nicht überschätzen.