OPERN-KRITIK: INNSBRUCKER FESTWOCHEN DER ALTEN MUSIK – DIDONE ABBANDONATA

Szenischer Overkill zu Originalklängen

(Innsbruck, 10.08.2018) In Innsbruck präsentiert Regisseur Jürgen Flimm eine szenisch wenig überzeugende „Didone abbandonata“. Das Orchester brilliert hingegen im Originalklang.

© Rupert Larl/Innsbrucker Festwochen

Szenenbild aus "Didone abbandonato"

Didone abbandonata/Innsbrucker Festwochen Alter Musik

Am Schluss sind fast alle tot oder Opfer des maurischen Königs Iarba, der in Didones Stadtmonarchie Karthago ein Blutbad anrichtet. Nur der ruhmreiche und über das Ende seines amourösen Intermezzos mit der Königin traurige Trojaner Enea ist im göttlichem Auftrag bereits unterwegs nach Italien zur Gründung seines eigenen Imperiums. Für die Neuvertonung durch den Newcomer Saverio Mercadante hatte Andrea Leone Tottola das schon damals über hundert Jahre alte Textbuch Pietro Metastasios nach der Karthago-Episode aus Vergils Epos „Aeneis“ etwas auffrisiert. König Karl Felix bevorzugte in seinem Königlichen Theater in Turin vor allem Traditionelles. Deshalb gab es zur Uraufführung 1823 kein in die Romantik vorpreschendes Sujet, sondern eine eindringlich verzehrende Rhetorik der Herzen und der Politik. Mercadantes Richtung Zukunft blinzelnde Partitur für das insgesamt über fünfzigmal vertonte und mit aberwitzigen Liebeswirren beladene Libretto war das entscheidende Argument für den großartigen Alessandro de Marchi, in seiner Reihe von Opernentdeckungen bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik seinen musikalischen Herrschaftsanspruch ausnahmsweise bis weit ins 19. Jahrhundert auszudehnen. Im Tiroler Landestheater triumphierte die Musik dabei haushoch über eine müde Inszenierung.

Szenisch flach

Natürlich merkt man an der Figurenführung des nach seiner Intendanz an der Berliner Staatsoper jetzt freischaffenden Jürgen Flimm die Hand des geübten Regisseurs. Das Podest Magdalena Guts ist eine Art algerisch-marokkanisches Konversationscamp, das die gemeißelte Eleganz der Verse Metastasios im Wortsinn in den Schmutz zieht. Sinnfällig werden zwar das diplomatische und emotionale Versagen der Figuren, aber nicht dessen Ursachen. Flimms beiläufige Routine bewirkt nichts zur dramatischen Verdichtung. Die stampfenden Marschschritte der prächtig singenden Chorherren des Coro Maghini in Didones erster großer Cabaletta zeugen von stumpfer Gleichgültigkeit gegenüber der Musik. Am Ende bestätigt sich das, was Kristina Bulls Kostüme ankündigen: Die Szene bleibt sogar dann weit hinter Mercadantes und Metastasios Figurencharakterisierung zurück, wenn Iarba aus sexuellem Frust zum wahnsinnigen Amokläufer wird.

© Rupert Larl/Innsbrucker Festwochen

Szenenbild aus "Didone abbandonato"

Didone abbandonata/Innsbrucker Festwochen Alter Musik

Eine Lanze für Mercadante

Dafür hat der mit seinen etwa 60 Opern bis 1860 im Schatten Verdis so produktive Saverio Mercadante mit Alessandro de Marchi einen ebenso leidenschaftlichen wie überragenden Verteidiger. „Didone abbandonata“ (Die verlassene Dido) spiegelt wie ein Avatar aus Noten die von Rossini bis 1820 etablierten mehrsätzigen Musiknummern und Melodietypen. Durch diese Absehbarkeit der musikalischen Periodik und die häufige Trennung von melodischen und vokal ornamentierten Perioden wirkt „Didone abbandonata“ allerdings etwas spannungsloser als etwa Mercadantes melodisch so üppige „Caritea, regina di Spagna“ und formal simpler als seine von Fabio Luisi 2016 in Martina Franca posthum zur Uraufführung gebrachte „Francesca da Rimini“. „Didone abbandonata“ erklärt also die bis heute unterschätzte Bedeutung Mercadantes für das Musiktheater Italiens und auch seinen im Vergleich mit Donizetti und sogar Pacini geringeren Instinkt für szenische und melodische Attacken.

Der originale Klang erweist sich als Gewinn

Der Gesamtklang der auf 430 Hz gestimmten Academia Montis Regalis gewährt ganz andere Wahrnehmungen dieser Musik als bei deren vertrauten Mustern zu erwarten. Holzbläser sind stärker in die anderen Instrumentengruppen eingebunden, die gewohnten Reizwirkungen eines auf Höhenbrillanz getrimmten Klangs kommen also nicht auf. Der häufige Einsatz von Triangel und Pauken als Farbgeber wird durch den die tiefere Stimmung bedingten Mischklang plausibel. Vor allem werden die militärischen Gesten nicht glanzvoll, sondern bedrohlich. Alessandro de Marchi akzentuiert eine Mercadantes Partitur veredelnde Balance zwischen den Sängern, die sogar in den hier ausgedehnten kräftigen Fortissimo-Passagen nie forcieren müssen, und dem dunkel grundierten Orchester.

© Rupert Larl/Innsbrucker Festwochen

Szenenbild aus "Didone abbandonato"

Didone abbandonata/Innsbrucker Festwochen Alter Musik

Das führt zu weiteren erfreulichen Überraschungen. Viktorija Miškūnaitė hat in ihrem leuchtend lyrischen Sopran die ihr durch die Regie vorenthaltenen charismatischen Farben. Ihre Präsenz und Energie erschöpfen sich erst nach dem langen Part und den riesigen Koloraturketten, als sie und Iarba sich gegenseitig am Ende die scharfen Eisen in die bereits vom Schicksal und ihren Leidenschaften versehrten Körper rammen. Viktorija Miškūnaitė führt mit gewinnender Klarheit, die Inszenierung verordnet ihr allerdings nur simple Koketterie. Die gründliche Territorialverschiebung Richtung Alte Musik hört man am deutlichsten bei Carlo Vincenzo Allemano: Sein später in der Präzision etwas nachlassender Iarba klingt in der Tiefe und Mittellage dunkel-samten, wird erst in der weichen Höhe tenoral. Er ist also ein echter „Baritenore“ ohne den Glanz, mit dem Fachkollegen dieses für heutige Hörer so exotische Stimmfach oft aufladen. Katrin Wundsam modelliert Enea mit einem höhenpointiert kräftigen, gewinnenden und dabei geschmeidigen Mezzo. Sie und Viktorija Miškūnaitė sind in ihren Rededuellen, die sich ohne Weiteres zum Geschlechterkampf hätten aufheizen lassen, Opfer einer Inszenierung, die wirklich alle starken Kraftfelder Mercadantes ungenutzt lässt.

© Rupert Larl/Innsbrucker Festwochen

Szenenbild aus "Didone abbandonato"

Didone abbandonata/Innsbrucker Festwochen Alter Musik

Anders als Rossini nötigt Mercadante auch den kleineren Partien beträchtliche Reserven ab: Pietro di Bianco lebt mit seinem Testosteron-gesättigten Bassbariton die Zerrissenheit des aus enttäuschter Liebe abtrünnigen Gefolgsmann Osmida bravourös aus. Diego Godoys Araspe hat im noch nicht ganz freien Tenorino-Timbre pikante Höhensicherheit und Emilie Renard als Didones gleichfalls in Liebesflammen für Enea stehende Schwester macht ihre schlichte Kavatine zum schwebenden Kunststück.

Für die Hörer, von denen nach dem Schlussvorhang viele ihrem Unwillen gegen die szenische Realisierung deutlichen Ausdruck geben, ist Alessandro de Marchis Mercadante-Deutung nach der kritischen Ausgabe von Paolo Cascio auch eine erkenntnisreiche Belcanto-Expertise: Eine dichte, im besten Sinne dickere Gewichtung des Klangs anstelle einer nur virtuosen Eleganz und eine vokale Mitte, die sich mit dem Orchester durchdringt, nicht über ihm schwebt. Mit solchen musikalischen Voraussetzungen lässt man es sich sehr gerne gefallen, wenn die Alte Musik ihre Eroberungsfeldzüge noch tiefer ins 19. Jahrhundert führt.

© Rupert Larl/Innsbrucker Festwochen

Szenenbild aus "Didone abbandonato"

Didone abbandonata/Innsbrucker Festwochen Alter Musik

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik (Tiroler Landestheater)
Mercadante: Didone abbandonata

Alessandro De Marchi (Leitung), Jürgen Flimm (Regie), Magdalena Gut (Bühnenbild), Kristina Bell (Kostüme), Claudio Chiavazza (Chor), Viktorija Miškūnaitė (Didone), Katrin Wundsam (Enea), Carlo Allemano (Jarba), Pietro Di Bianco (Osmida), Diego Godoy (Araspe), Emilie Renard (Selene), Herrenchor des Coro Maghini, Academia Montis Regalis

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