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Opern-Kritik: Oper Stuttgart – Herzog Blaubarts Burg

Auf dem Steg überm Tränensee

(Stuttgart, 2.11.2018) Der bildende Künstler Hans Op de Beeck transformiert ein altes Paketpostamt zur Burg des Herzog Blaubart.

vonRoberto Becker,

Von wegen „Herzog Blaubarts Burg“ lässt sich nur in Kombination mit einer zweiten Kurzoper aufführen. Stuttgart hat jetzt demonstriert, dass Béla Bartóks Exkursion in die Abgründe der Seele auch funktionieren kann, wenn man sich der Herausforderung stellt oder der Verlegenheit aussetzt, nicht nach einem passenden Ergänzungsstück zu suchen.

Diese aus der Kürze des Einakters resultierende Musiktheaterpraxis lässt meist mehr Fragen offen, als dass sie Antworten präsentieren würde. Sie kann gelingen, wenn man das Stück, wie es Tomasz Kajdanski und Benjamin Prinz vor zwei Jahren am Anhaltischen Theater in Dessau gemacht haben, mit Bartóks Musik zur eigenen Tanzpantomime „Der wunderbare Mandarin“ kombiniert. Oder, wenn man wie ebenfalls 2016 an der Staatsoper in Hamburg, die Chance hat, Bartóks Landsmann und künstlerischen Nachfahren Péter Eötvös mit „Senza Sangue“ eine komplementäre Ergänzung komponieren (und auch dirigieren) und alles zusammen von Dmitri Tcherniakov inszenieren zu lassen.

Es kann aber auch richtig schief gehen, wie Thriza Brunckens Versuch in Halle, die Oper mit Fassbinders „Bremer Freiheit“ nicht nur zu kombinieren, sondern auch zu verschränken, also im jeweils anderen Stück die Sänger auch schauspielern und die Schauspieler auch singen zu lassen. Zwischen diesen Extremen herrscht Pragmatismus. Von Puccinis „Gianni Schicchi“, wie bei Bieito an der Komischen Oper 2015, bis Leoncavallos „I Pagliacci“ 2017 in Leipzig.

Bartóks Seelengründelei ohne Zugabe

Die Oper Stuttgart wagt jetzt den Alleingang und bietet Bartóks Seelengründelei ohne Zugabe. Zumindest fügt sie kein zweites Stück hinzu. So ganz ohne kommt es freilich auch hier nicht daher. Eigentlich sollte es der Probelauf für eine Ausweichspielstätte werden. Auch in Stuttgart droht eine millionenschwere, jahrelange Opernhaussanierung, zwar kein neues Stuttgart21, aber ein Stuttgart „Gott weiß wann“. So lud die neue Opernintendanz ins Alte Paketpostamt, das man im Norden der Stadt mit Shuttle oder einer Portion Abenteuerlust erreicht.

Altes Paketpostamt Stuttgart
Ungewöhnliche Ausweich-Spielstätte: Das Alte Paketpostamt © Martin Sigmund

Kunst-Welt-Installation

Vor allem aber überließ man dem belgischen Installationskünstler Hans Op de Beeck (49) die weiträumige Halle, um für Bartóks Zweipersonen-Stück ein Beispiel seiner Kunst-Welten zu bauen. Seine Werke sind oft ganze Welten, in die man eintauchen kann. Im Vorfeld der Premiere räumte er ein, dass er liebend gerne mal aus einer konventionellen Guckkastenbühne mit Vorhang Oper inszeniert hätte. Im Paketpostamt freilich ist er näher bei sich.

Prozession durch den gefluteten Bühnenraum

Inszenierung von "herzog Blaubarts Burg": Die Zuschauer werden vor Beginn durch den See zu ihren Plätzen geleitet
Herzog Blaubarts Burg/Staatsoper Stuttgart: Die Zuschauer werden durch den See zu ihren Plätzen geleitet © Matthias Baus

Hier übernehmen die Zuschauer gewissermaßen selbst den ersten Teil dieses ungewöhnlichen Theaterabends. Die Platzanweiser avancieren gleich zu Zeremonienmeistern, die kleinen Gruppen eine Einführung ins Stück geben, wasserdichte Überschuhe zuweisen und sie dann in einer Prozession durch den gefluteten Bühnenraum zu ihren Plätzen führen. Vorbei an aufgeschütteten Inseln aus Sand, gestrandeten Kähnen, verdorrten Bäumen und Tonnen, in denen flackernde Lichter so tun, als wären es glimmende Kohlen.

Dieses düstere Ambiente ist sicher auch davon inspiriert, dass das phantastisch dunkel funkelnde, 1911 vollendete Stück Oper im Katastrophenjahr 1918 uraufgeführt wurde. Über das Wasser führt ein Brettersteg, so wie auch vor dem Orchester, das erst dann zu sehen ist, wenn die Lichter an den Notenpulten angehen. Der Dirigent Titus Engel und der Herzog des Falk Struckmann kommen angeradelt. Judith Claudia Mahnke kommt zu Fuß. Auf diesen Stegen begegnen sich der geheimnisumwitterte Mann und die neugierige Frau. Und hier trennen sie sich auch wieder. Das Publikum folgt dieser Begegnung gleichsam in der Position von Voyeuren.

Szenenbild aus "Herzog Blaubarts Burg"
Herzog Blaubarts Burg/Staatsoper Stuttgart: Falk Struckmann (Herzog) und Claudia Mahnke (Judith) © Matthias Baus

Sogar die Akustik im außergewöhnlichen Raum ist gut

In diesem Ambiente ist jedenfalls die Finsternis von Blaubarts Seele durchgängig gegenwärtig. Auch wenn Struckmann im Habitus eher einem pensionierten Fischer ähnelt. Dem musikalischen Pathos und dem dunklen Charisma des besonderen Raumes hält der wagnergestählte Recke Struckmann vokal ebenso stand wie Claudia Mahnke als Judith. Überhaupt funktioniert die Akustik im außergewöhnlichen Raum erstaunlich gut.

Auch der Orchesterklang kann sich entfalten und Intimität beglaubigen. Mit dem Höhepunkt des Blicks in die Weite des Landes versteht sich. Da dämmert das Licht im Saal auf, und die Bläser antworten dem Orchester von der anderen Seite des Sees aus. Der hier natürlich an den See der Tränen erinnert. An was auch sonst.

Szenenbild aus "Herzog Blaubarts Burg"
Herzog Blaubarts Burg/Staatsoper Stuttgart: Claudia Mahnke (Judith) © Matthias Baus

Hier kann das dunkle Seelenfeuer lodern

Insgesamt ist diese Grenzüberschreitung von Oper und Bildender Kunst gelungen, weil Hans Op de Beeck diese eben nicht nur wie die beiden Großmaler Georg Baselitz (in München mit dem „Parsifal“) und Neo Rauch (in Bayreuth mit dem „Lohengrin“) zu Vorwänden für ihre Malerei im XXL Format nutzen, um dabei über die Zweidimensionalität nicht hinauszugelangen. Op de Beeck geht dagegen wirklich vom Werk aus und schafft ihm einen Raum, in dem sein dunkles Seelenfeuer lodern kann.

Oper Stuttgart
Bartók: Herzog Blaubarts Burg

Titus Engel (Leitung), Hans Op de Beeck (Regie, Installation, Kostüme & Licht), Falk Struckmann, Claudia Mahnke, Staatsorchester Stuttgart

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