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Opern-Kritik: Theater Magdeburg – Sieg der Schönheit

Wechselspiel der Gefühle 

(Magdeburg, 9.3.2024) Georg Philipp Telemanns Oper „Sieg der Schönheit“ wird zu den 26. Magdeburger Telemann-Festtagen zu einem Triumph des Theaters.

vonJoachim Lange,

Die Barockoper ist schon länger wieder in Mode auf den Opernbühnen, auch wenn es dabei nicht so ganz gerecht zugeht. Der gern von den Engländern vereinnahmte Hallenser Georg Friedrich Händel (1685-1759) hat es da in Sachen Bühnennachleben ganz gut getroffen. Neben dem Stammplatz seiner Musik im royalen Pomp der britischen Krone sind in Deutschland die drei Händelfestspiele in Göttingen, Halle und Karlsruhe eine gesetzte Größe im Kulturkalender der Republik. Und die entfalten seit hundert Jahren ihre Wirkung. Eine Suche in den Spielplänen bringt viele Treffer. 

Bei Händels Landsmann, Zeitgenossen und kollegialem Freund Georg Philipp Telemann (1681-1767) ist man da bei der Suche im Repertoire nicht ganz so erfolgreich. Aber in seiner Geburtsstadt Magdeburg sind ihm alle zwei Jahre Telemann-Festtage gewidmet. Der aktuelle Jahrgang vom 8. bis 17. März hat auch schon die laufende Nummer 26. Das es unter dem Motto „Trendsetter“ steht und sich auf Georg Philipp Telemann und Reinhard Kaiser (1674-1739) bezieht, belegt den Anspruch der Magdeburger auf ein avanciertes Barockfestival. Die vom Opernhaus der Landeshauptstadt zum Programm beigesteuerte Neuinszenierung von Telemanns Oper „Gensericus oder Sieg der Schönheit“ untermauert diesen Anspruch mit einer originell unterhaltenden Inszenierung und ihrem musikalischen Niveau. Es ist eine Koproduktion zwischen dem Theater, dem Telemann-Zentrum Magdeburg und der Akademie für Alte Musik Berlin.

Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg

Das 1722 uraufgeführte Werk gehört zu den bald 30 seiner insgesamt ca. 50 (!) Opern, die in der Hamburger Gänsemarktoper herauskamen. Die Leitung dieses Hauses – der damals singulären Bürgeroper der Hansestadt – hatte Telemann 1721 übernommen und bis zu dessen Schließung 1738 inne.

Die renommierte Akademie für Alte Musik Berlin unter Leitung von Michael Hofstetter zu Gast in Magdeburg

Im Graben garantieren die 30 Spezialisten der renommierten Akademie für Alte Musik Berlin unter Leitung von Michael Hofstetter den heute üblichen historischen Standard bei der Interpretation von Meisterwerken aus dem 18. Jahrhundert. Flott, beherzt pointiert und farbenreich geht es da zur Komödiensache auf der Bühne. 

Das Libretto von Christian Heinrich Postel setzt auf den Hintergrund einer spektakulären Episode aus der gern bemühten römischen Geschichte. In diesem Fall ist es die Einnahme Roms durch die Vandalen im Jahre 455. Der Eroberer Gensericus und seine Entourage treffen die römische Kaiserwitwe Eudoxia, ihre Töchter, deren Kammerzofe und den Aristokraten Olybrius. In einem barock verwirrten Personaltableau entfaltet sich ein Beziehungs-Drunter und Drüber vom Feinsten, zu dessen genauem Verständnis das Beziehungsdiagramm im Programmheft unentbehrlich ist.

Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg

Hier gehts nicht ums alte Rom, sondern um Beziehungen

Gensericus will, sozusagen standesgemäß, die sich zunächst weigernde Kaiserwitwe Eudoxia heiraten. Sein Sohn Honoricus hält sich für einen Frauenfeind, bis die listenreiche Tochter Pulcheria sich als Mann verkleidet an ihn heranmacht und er durch die Ähnlichkeit eines von ihm geliebten Bildes mit Pulcherias Zügen verwirrt und dann zu Fall gebracht wird.

Placidia wiederum missversteht das Zögern ihres Verlobten Olybrius als Anzeichen für Untreue und will sich mit einem zur Schau gestellten Verhältnis mit Helmiges rächen … Hier gehts nicht um Rom, sondern um Beziehungen, die in allen Varianten durchgespielt werden. 

Ein turbulentes Spiel des Wer-mit-Wem und des Erst-ja-Dann-nein

Das gilt auch für die kurzweilig turbulente Inszenierung von Kai Anne Schuhmacher in einer bühnenfüllenden Theaterscheune, die Lisa Däßler jedoch nur als Balkenkonstruktion über hügligem Erdreich hat aufstellen lassen; Dach und Wände sind offensichtlich irgendwann abhandengekommen. Opulent – und ganz barockgemäß – geht es hier mit Nebel und einschwebender Wolke oder Karussellpferd als Transportmittel im wahrsten Sinne des Wortes durch die Decke.

Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg

Dazu passt die farbenfroh fantasiereiche Kostümversatzstück-Orgie, mit der Valerie Hirschmann das Personal sich am laufenden Band an- und umziehen lässt. Dabei durchschauen sie streckenweise wohl selbst nicht ganz, an welcher Stelle des Wer-mit-Wem und des Erst-ja-Dann-nein und dann Doch-ja (wie es vor allem von den Frauen zelebriert wird) man sich gerade befindet.

Mischung aus Amor und Teufel

Der zum Deus ex machina mutierte Diener des Honoricus Turpino ist hier in seiner Doppelfunktion als Spielführer (sprich Regisseur des Theaters auf dem Theater) und Mitspieler im Stück eine Mischung aus Amor und Teufel. Für diese groteske Figur mit Engelsflügeln und kleinen Teufelshörnern, mit kurzen Pluderhosen und hochhackigen, goldfarbenen Schaftstiefeln hat man zum Glück einen so spielfreudigen Komödianten wie Dietrich Henschel im Ensemble, dem auch die aus der Rolle fallenden gesprochenen Passagen flott und passgenau über die Lippen gehen. Obwohl auch er – in seiner Doppelrolle versteht sich – als Regisseur dieses Liebes- und Lebenstheaters nicht immer zur Klarheit beiträgt, mal unterbricht oder selbst aussteigt.

Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg

Erstaunlich ist auch das deutsche Libretto. Manchmal putzig, oft witzig, mit weniger Leerstellen als so manche aus dem Italienischen übersetzte Libretto-Dutzendware. Das fällt auf, und es macht Spaß, wie hier Musik und Wort miteinander auskommen, sich höchstens freundschaftlich vorwärts schubsen; wie die Reime passen und auch die frei Haus gelieferten Lebensweisheiten nicht nerven. 

Das Spiel im Spiel wird bis zur Mitspielgrenze ausgereizt

Auch wenn der Witz von Telemanns Opern heute nicht mehr so ganz ohne Nachhilfe auf Anhieb zu zünden vermag, ist er doch erstaunlich dicht an einem musikalischen Lustspiel oder scherzhaften Singspiel. Und da hilft die Magdeburger Inszenierung, die die Handlung in die Ferne eines Spiels im Spiel rückt, damit aber zugleich nah ans Publikum heranholt. Bis an die Mitspielgrenze, wenn einige Zuschauer für kurze Zeit gebeten werden, vom Rand der Bühne dem Treiben zuzuschauen. 

So lange, bis sich das Bühnenpersonal heillos im Beziehungsgestrüpp verheddert und sich die Frauen im Kampf um die Primadonna-Rolle wortwörtlich in die Haare (bzw. Perücken) kriegen. Ganz so, als sollten diverse überlieferte Anekdoten in diesem Theater auf dem Theater eingebaut werden. Die Regie muss da nur zulangen, denn Telemann und sein Librettist unterlaufen jedes primadonnenfixierte barocke Tableau.

Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg
Szenenbild aus Telemanns „Sieg der Schönheit“ am Theater Magdeburg

Es ist nicht ausgemacht, wer hier bei den Damen vokal die erste Geige spielt. Lydia Teuscher hat als sich schnippisch zierende römische Kaiserwitwe Eudoxia nicht wirklich den Vorrang vor ihren Töchtern Placidia und Pulcheria. Sunhae Imund Anna Willerding haben reichlich Gelegenheit, sich mit ihren jeweiligen Rollen zu profilieren, „ihren Männern“ Beine zu machen und das Fürchten zu lehren. Wobei sich Pulcheria zeitweise sogar als Mann verkleidet, da der Sohn des Eroberers, auf den sie es abgesehen hat, Frauen angeblich nicht mag. Terry Wey steuert als eben dieser Honoricus die einzige geschmeidig wohlklingende Counterstimme bei.

Sieg für Telemann!

Am Ende finden sich alle. Die römische Zofe Melite (am Premierenabend verkörpert durch Sarah Alexandra Hudarew) und der wendische Kriegsheld Helmiges (Ludwig Obst) ebenso, wie Placidia (kess und offensiv Sunhae Im) und ihr Römer Olybrius (Marko Pantelić). Mit darstellerischer und vokaler Präsenz eines Barockfürsten füllt Dominik Köninger die Rolle des Eroberers Gensericus aus. Nur Johannes Stermann als Wendenheerführer Trasimundus kann das Beziehungsverwirrspiel vom Beobachterstandpunkt eines Singles aus verfolgen.

Alle Protagonisten und die Kinder, die uns gleich zu Beginn quasi aus dem Hier und Heute in die Geschichte ausgelassen hineinziehen, machen ihre Sache großartig. Die Musiker im Graben sowieso. Der mit einer Pause gut dreistündige Abend wird so auf ganzer Linie fürs Publikum zu einem lustvollen Gewinn. Und zu einem Sieg für Telemann! 

Theater Magdeburg (26. Magdeburger Telemann-Festtage)
Telemann: Sieg der Schönheit

Michael Hofstetter (Leitung), Kai Anne Schuhmacher (Regie), Lisa Däßler (Bühne), Valerie Hirschmann (Kostüme), Marie Julius & Ulrike Schröder (Dramaturgie), Lydia Teuscher, Sunhae Im, Anna Willerding, Sarah Alexandra Hudarew, Marko Pantelić, Dominik Köninger, Terry Wey, Ludwig Obst, Johannes Stermann, Dietrich Henschel, Akademie für Alte Musik Berlin

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