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Porträt Dorothee Oberlinger

Souveräne Klangrede

Kinderkram? Von wegen: Mit ihrer Ausdruckskraft setzt die Blockflötistin Dorothee Oberlinger neue Maßstäbe auf ihrem Instrument

vonKlemens Hippel,

Sie ist Professorin, Leiterin des Instituts für Alte Musik am Salzburger Mozarteum und hat seit 2009 gar ein eigenes Festival in Arolsen: Dorothee Oberlinger hat es weit gebracht in der Musikbranche. Und ist damit, ganz nebenbei, der lebende Beweis, dass „ihr“ Instrument, die Blockflöte, endgültig aus dem Ghetto des Kinderzimmers befreit worden ist und als anerkanntes Mitglied der Konzertwelt verstanden wird.

Lange genug hat es gedauert, schließlich darf sich die 1969 in Aachen geborene Künstlerin schon zur Enkel-Generation des legendären Frans Brüggen zählen, der das Instrument einst aus seinem Dornröschenschlaf erweckte. Er konnte noch auf lauter echten Originalinstrumenten spielen, während seinen Nachfolgern „nur“ Nachbauten zur Verfügung stehen. Die klingen „glatter, ausgeglichener und oft auch lauter, aber es fehlt die Aura der Originale“, sagt die Flötistin selbst über den Unterschied. Doch ob nun Aura oder nicht: Das eigentlich Faszinierende an ihrem Instrument sei der Klang, wie sie sagt. „Der Klang berührt mich. Die Direktheit. Nichts ist zwischen dem Instrument und dem Spieler, fast wie beim Gesang. Da ist kein Rohrblatt oder spezieller Ansatz, keine Klappen.“ Die Natürlichkeit, ließe sich noch hinzufügen. Sie war dafür verantwortlich, dass die Blockflöte im Barock als Inbegriff des Pastoralen, Ländlichen verstanden und gebraucht wurde. Und diese Einfachheit macht die Blockflöte zu etwas ganz Besonderem. „Mich reizt die Beschränkung“, sagt Oberlinger. „Man muss die Grenzen des Instruments ständig ausloten und Tricks anwenden, um ausdrucksvoll spielen zu können“.

Musik als Klangrede: Sie bringt die Flöte zum Sprechen

Womit man bei dem Phänomen ist, das die Aachenerin besonders auszeichnet: der Kunst des Ausdrucks, die sie wie kein anderer auf diesem Instrument beherrscht. In puncto Virtuosität können manche andere mithalten, etwa ihr Schweizer Kollege Maurice Steger; doch was den Ausdruck angeht, das Vermögen, ihr Instrument wirklich zum Sprechen zu bringen, ist sie einzigartig. „Musik als Klangrede“ – wenn man Dorothee Oberlinger hört, versteht man, was damit gemeint ist. Sie hat die Affektenlehre und Rhetorik nicht nur so genau studiert, dass sie eine ganze Sonate danach durchdeklinieren kann: Sie bringt diese Affektwelt auch zum Klingen, ob bei Telemann oder in der italienischen Literatur.

Für jeden Tag ein anderes Instrument

Begonnen hat Dorothee Oberlinger das Spielen gemeinsam mit ihrer Mutter. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik, ehe sie sich dann zur Konzert-Karriere entschloss. Und seit sie 1997 einen Wettbewerb in der Londoner Wigmore Hall gewann, ist sie als Solistin in aller Welt unterwegs. Mit ihrer Professur, die sie 2004 in Salzburg übernahm, konnte sie ihr Betätigungsfeld ausweiten: von der Anstellung von Kollegen bis zu großen Projekten wie Opernaufführungen kamen neue Aufgaben. Andere Teile der Arbeit sind geblieben, wie etwa die Repertoiresuche: Gibt es doch immer noch extrem viel zu entdecken in Archiven und Bibliotheken. Schließlich war die Blockflöte einst das populärste Instrument überhaupt, das in Händels London jeder Gentleman spielte, der auf sich hielt.

Wobei es „die“ Blockflöte eigentlich gar nicht gibt. Denn das ist eine weitere Besonderheit des Instruments: Kein anderer Instrumentalist benötigt derart viele verschiedene Typen, je nach der Musik, die man machen will. Um die 100 Instrumente hat Dorothee Oberlinger, um das ganze Repertoire für ihr Instrument spielen zu können – im quasi täglichen Gebrauch sind immerhin 20. Und fehlt doch mal eins, kann sie es sich immer noch rasch von einem Kollegen borgen.

Von denen sich ihr Spiel übrigens auch in physischer Hinsicht unterscheidet: Sie agiert genau in der goldenen Mitte zwischen dem „ganz in sich versunken sein“ – das Frans Brüggen einst auf einem Stuhl gleichsam hockend pflegte – und dem von ihr sehr geschätzten Kollegen Giovanni Antonini, der wie ein Springteufelchen die fehlende physische Präsenz seines Instruments durch ausufernde körperliche Bewegung kompensiert. Dorothee Oberlinger dagegen spielt stets locker, souverän – und vor allem dem Publikum freundlich zugewandt.

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