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Porträt Mahler Chamber Orchestra

Abenteuer Freude

Das Mahler Chamber Orchestra trotzt erfolgreich der Kulturkrise

vonChristian Schmidt,

Beim Lokaltermin in der Kreuzberger Hasenheide riecht es nach Farbe, die Treppendecke des bürgerlichen Großstadtwohnhauses wird gemalert. Das Berliner Domizil des Mahler Chamber Orchestras gleicht einer Großbaustelle. Man könnte das auch für ein Sinnbild der Arbeitsweise halten, denn das demokratisch organisierte Orchester ist buchstäblich immer in Bewegung. Einen festen Wohnsitz gibt es nicht; dass es in Berlin sitzt, ist dem Zufall zu verdanken, dass Gründungsmentor Claudio Abbado 1997 noch Chef der Philharmoniker war.

Die Musiker kommen aus aller Herren Länder und treffen sich zu 180 Konzerten auf der ganzen Welt – vor allem ein logistisches Kunststück, aber eine Art der Bereicherung, die sonst kein Orchester auf der Welt aufweisen kann. „Hier treffen sehr viele unterschiedliche Kulturen aufeinander, aber den Musikern ist eins gemeinsam: Sie wollen alle das Beste für ihr Orchester, sie wollen zusammen Musik machen, und das ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Manager Andreas Richter. Er muss es wissen, denn er kennt von seinem früheren Arbeitsplatz beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin die Mentalität eines vom Tarifvertrag für Konzertorchester (TVK) genährten Musikers nur zu gut.

Da kein Musiker im Mahler Chamber Orchestra fest angestellt ist, gibt es auch keinen Alltag, der die Freude, die man vielleicht noch als Student beim Musizieren empfand, in Tariforchestern mit der Zeit schmälert. Musikalische Routine stellt sich nicht ein, hier spielen  alle an der Stuhlkante. Pekuniär mag man damit nicht werden, aber musikalisch. So ist es kein Zufall, dass sehr viele der festen freien Musiker im Hauptberuf ihre festen Stellen in renommierten Orchestern überall auf der Welt haben – und der Freude halber immer wieder zum Mahler Chamber Orchestra zurückkehren, dessen Gründungsmitglieder einst im gleichnamigen Jugendorchester spielten und auf Freundschaftsbasis zusammenbleiben wollten. „Es gibt hier eine andere Kollegialität, alle entstammen einer ähnlichen Generation, denn die älteren wollen irgendwann sesshaft werden und eine Familie gründen“, sagt Richter.

Der kammermusikalische Anspruch – aufeinander hören und aufeinander reagieren – traf auf aufmerksame Ohren. Ohne Claudio Abbados Starthilfe gäbe es das Orchester sicherlich heute nicht: Er holte internationale Stardirigenten von seinem Schlage, dirigiert auch heute noch sehr viel. Daniel Harding, heutzutage Meister seines Fachs und Chef beim Mahler Chamber Orchestra, verdiente sich 1998 als 22-Jähriger hier seine ersten Sporen.

Dabei ist das Geschäftsmodell ziemlich abenteuerlich. Eine öffentliche Trägerschaft gibt es nicht, erst seit 2011 übernimmt die Europäische Union einen Teil der laufenden Kosten ihres neuen „Kulturbotschafters“, mit 350.000 Euro pro Jahr immerhin 8 Prozent des Gesamtbudgets. Ansonsten muss sich das Orchester aus Gagen auf dem freien Markt finanzieren, was „deutlich schwieriger geworden“ ist, wie Manager Andreas Richter immer wieder leidvoll erfahren muss. Denn die letzten Wirtschaftskrisen kommen erst jetzt in den Kulturetats an, große Festivals streichen ihre Gelder zusammen, Sponsoren muss man mit der Lupe suchen. „Es wird immer komplizierter, Tourneen zu planen, die verschiedene Länder streifen, Bestätigungen und Verträge kommen erheblich später.“

Also muss Andreas Richter im Auftrag seiner Musiker deutlich mehr Akquise betreiben, geschickte Tourpläne ausarbeiten, hat mehrere Fundraiser und eine große PR-Abteilung. „Nur wenn ein Veranstalter wirklich unbedingt das Mahler Chamber Orchestra buchen will, kann man im Wettbewerb mit den Subven-tionsorchestern bestehen, denn naturgemäß sind wir immer teurer.“ Entsprechend veranstalterfreundlich ist das Repertoire, das Experimentieren überlassen die Mahler Chambers lieber den Orchestern, deren Auftrag die Pflege zeitgenössischer Musik oder Ausgrabungen unbekannter Werke sind. Auch diese eher amerikanische Lebensform sorgt dafür, dass die Musiker, indem sie ihre bestmögliche Leistung für das Orchester geben, um ihr Leben spielen. Bisher hat’s noch immer funktioniert.

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