Startseite » Porträts » Wenn der Südwind weht

Porträt Notos Quartett

Wenn der Südwind weht

Das Berliner Notos Quartett weiß genau, was es will: Unentdecktes aufspüren, Freude verbreiten.

vonHelge Birkelbach,

Ginge es nach den musikalischen Vorlieben des jungen Quartetts aus Berlin, hieße es wie alle anderen Quartette dieses Planeten. Man nehme: Komponist plus das Wort „Quartett“. Aufgrund seiner Debüt-CD von 2017 hätte es zum Beispiel Bartók treffen können, beim Nachfolger dann Brahms, und nun – auf dem vom Paris der wilden Zwanzigerjahre inspirierten Album „Paris Bar“ – die Herren Jean Françaix, László Lajtha oder Alexandre Tansman. Auch zeitgenössische Komponisten wie Bernhard Gander oder Bryce Dessner, für die das Quartett bei Uraufführungen gerne bereitsteht, hätten Namenspatron sein können.

Doch nein, so nicht. Gemeinsam mit ihren drei Mitstreitern wählte die Pianistin Antonia Köster eine Metapher für all die Charaktere, die in ihrer Musik zu hören sind: Notos, der in der griechischen Mythologie den Südwind verkörpert. „Notos ist warm und sanft, kann aber auch stürmisch und aufbrausend sein“, erklärt die Pianistin. „Mit der Musik verhält es sich ganz ähnlich wie mit dem Wind. Auch sie berührt den Menschen, ohne greifbar zu sein.“ Dieser warme Südwind führte die vier tatsächlich bald gen Süden, nach Madrid: Günter Pichler, Primarius des Alban Berg Quartetts, sollte ihr Mentor werden.

Die verschiedenen Charaktere in der Musik herauszuarbeiten, ist dem Ensemble ebenso ein Anliegen, wie sie programmatisch geschickt zu verknüpfen. „Wir versuchen, bei der Auswahl unseres Repertoires die gesamte Bandbreite abzudecken. Dazu gehören die großartigen Klavierquartette von Mozart, Schumann oder Brahms ebenso wie selten aufgeführte oder auch noch nie eingespielte Werke.“ So wie das Klavierquartett op. 6 von László Lajtha, welches das Ensemble als Weltersteinspielung auf dem aktuellen Album vorlegt. Der ungarische Komponist, der in Paris studierte und dort Maurice Ravel kennenlernte, war außerhalb seines Heimatlandes kaum bekannt. Aufgrund seiner Verbindungen zum Westen wurde er vom kommunistischen Regime in Ungarn unterdrückt und durfte nicht reisen. Lajtha ließ sich jedoch nicht unterkriegen und konzentrierte sich gemeinsam mit Béla Bartók auf die Erforschung der ungarischen Volksmusik.

Thematischer Zusammenhalt

Auch das Notos Quartett betreibt Forschung – und hebt bisweilen unentdeckte Schätze. Anders als sein Landsmann Lajtha ist Bartók auf den Spielplänen der Welt oft vertreten. Dennoch gelang es dem Notos Quartett, eine seit über fünfzig Jahren verloren geglaubte Partitur ausfindig zu machen: das Klavierquartett c-Moll op. 20. Das Ensemble spielte es für sein Debüt-Album ein. Sorgsam geht das Quartett bei der Gestaltung seiner Programme vor. Nichts überlassen die vier bestens ausgebildeten Musiker, die außer in ihrem Ensemble in keiner anderen Formation tätig sind, dem Zufall. Das Repertoire von „Paris Bar“ ist fein ausbalanciert, das Fotoshooting vor dem gleichnamigen Prominenten- und Künstlertreff in Berlin-Charlottenburg kein fremdbestimmter Marketinggag. Kontraste setzen sie wohldosiert und bewusst ein, die Wahl ihrer Stücke hat nichts mit vordergründigem Effekt zu tun. „Bei einem Konzert kann man Kontraste gut einsetzen, damit das Programm nicht zu einseitig wird. Bei einem Album finden wir es aber interessanter, wenn es einen thematischen Zusammenhalt gibt. Da fühlen wir uns in der Verantwortung dem Zuhörer gegenüber, ihm mehr zu bieten als nur eine Abfolge schöner Stücke.“

Der erfrischende Südwind weht auch Heiteres herüber. Zum Beispiel ein Divertissement von Jean Françaix. „Das Stück sprüht vor Lebensenergie und Charme“, schwärmt Antonia Köster. „Es ist äußerst witzig, auf der anderen Seite aber auch melancholisch. Als Françaix es komponierte, steckte den Menschen das schreckliche Elend des vergangenen Ersten Weltkrieges noch immer in den Knochen. Jeder sehnte sich danach, wieder frei und ausgelassen das Leben und seine angenehmen Seiten zu spüren.“ Françaix erklärte, die große Kunst bestehe darin, „wahre Fröhlichkeit“ hervorzubringen, was aber selten gelinge. Seine Maxime lautete, „musique pour faire plaisir“ zu schreiben – Musik, die einfach Freude macht. Es könnte auch die Maxime des Notos Quartetts sein.

CD-Tipp

Album Cover für Paris Bar

Paris Bar

Werke von Françaix, Tansman & Lajtha Notos Quartett Sony Classical

Termine

Auch interessant

Rezensionen

  • Asya Fateyeva steht mit Hingabe für die Vielseitigkeit ihres Instruments ein.
    Interview Asya Fateyeva

    „Es darf hässlich, es darf provokant sein“

    Asya Fateyeva, Porträtkünstlerin beim Schleswig-Holstein Musik Festival, spricht über den Reiz und die Herausforderungen des für die Klassik so ungewöhnlichen Saxofons.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!