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Porträt Teodor Currentzis

„Der Markt ist böse“

Teodor Currentzis setzt als Che Guevara der Klassik fernab der Musikmetropolen seine Vision eines modernen Theaters um und spielt fulminant Mozarts Da Ponte-Opern ein.

vonPeter Krause,

Hat die Welt der Oper wirklich darauf gewartet, dass endlich eine Da Ponte-Trilogie auf den Markt kommt, die in der tiefsten Taiga, im östlichstem Winkel Europas, am Rande Sibiriens entsteht? Wer allein Salzburg als Mozartstadt und die Wiener Philharmoniker als Mozartorchester gelten lässt, muss hier nicht weiterlesen. Wer aber offene Ohren besitzt, der kommt aus dem Staunen nicht heraus, was dieser als schräg und radikal, wenn nicht gar verrückt geltende Grieche, der sich die russische Stadt Perm als Wahlheimat ausguckte, so alles zu bewegen vermag. Teodor Currentzis selbst hat nichts dagegen, als der Che Guevara der Klassik angesehen zu werden. Und wenn man ihn als solchen benutze, sei ihm das sogar eine Ehre. „Man braucht schließlich Sponsoren für die Revolution.“ Die hält er ganz sicher für nötig. Denn: „Der Markt ist böse.“ Der Markt kreiert eine enorme Anzahl von Konzerten, statt sich maximaler Qualität zu verschreiben. Er gebiert Violinisten, die Springerstiefel tragen und so tun, als kämen sie gerade aus einem Rockkonzert, die aber nicht mal zu Fuß gehen, sondern sich mit dem Chauffeur fahren lassen. Und er bringt Musikinstitutionen hervor, in denen Musiker wie Fabrikarbeiter tätig sind. „Man macht einmal ein Probespiel für ein Orchester, ist versichert und sitzt dann ein Leben lang an seinem Pult, egal wie man spielt. Das ist eine verrückte Routine, das Ende von Leben und das Ende von Musik.“

Teodor Currentzis teilt seine Welt deutlich in Gute und Böse ein: „Wer wirklich dem Geist der Musik dient, ist mein Freund, wem die Ideale von Qualität egal sind und wem es nur ums Geschäft geht, ist mein Feind.“ Zu den Guten zählt er freilich auch Bogdan Roscic, der einst über Adorno promovierte und heute als Präsident für die Klassik bei Sony verantwortlich ist: „Er ist ein Musikwissenschaftler, der all die Dinge liebt, die wir lieben, kein Mainstream-Marketing-Mann, aber einer, der gleichwohl ein Unternehmen führen kann. Er will etwas Echtes machen.“

Wie Überzeugungstäter in neuen Institutionen die Klassik retten sollen

Warum nun gerade in Perm echte Musik entsteht, schildert Currentzis anschaulich: „Wir machen in Perm Aufnahmen, die wir wollen und wie wir wollen.“ Er berichtet dabei von seinen Plänen, ein Abonnement aufzulegen, bei dem nur die Aufführungsdaten feststehen, das jeweilige Konzertprogramm aber erst am Tag des Konzerts bekannt gegeben wird. „Wir entscheiden drei Tage zuvor, wonach uns ist, was wir spielen wollen. Das kann das zweite Klavierkonzert von Brahms und die erste Sinfonie von Mahler sein. Dann proben wir drei Tage und drei Nächte durch und präsentieren am Ende ein wirklich frisches Programm. Das ist möglich! Und ein Trick, um die Klassik lebendig zu halten.“ Musik sei wie Wasser, sie muss fließen, wenn sie stillsteht, dann stirbt sie. Der Überzeugungstäter hält das mit seinem Orchester namens MusicAeterna – seine Mitglieder erhalten immer nur Einjahresverträge – praktizierte Modell auch in Deutschland für anwendbar. „Aber es gibt eben immer noch viele Musiker, die Angst haben, ihre Sicherheit, ihre Position im Orchester einzubüßen, auch wenn sie sich oft als Sklaven fühlen. Aber ein guter Musiker braucht sich vor der Zukunft nicht zu fürchten.“

Für reformierbar hält Currentzis deutsche Opernhäuser oder Orchester mit ihrem Denken in Diensten, Ruhezeiten und Tarifverträgen nicht: Man müsse einfach neue Institutionen gründen. „Wenn echte musikalische Überzeugungstäter sich in Rostock oder Lindau zusammentun und dort ein musikalisches Zentrum für Barock, für Romantik oder für Zeitgenössische Musik gründen, dann kann das funktionieren. Dort kann man eine eigene Kultur entwickeln und dann zurück in die Großstädte gehen, um dort Konzerte zu geben.“ Er spricht von der Flexibilität, wie sie auch hierzulande längst bei den Barock- und Neue Musik-Ensembles üblich ist. In den etablierten Orchestern werde hingegen so viel Geld für die Bürokratie ausgegeben und zu wenig für die eigentliche schöpferische Arbeit. „Wir spielen Musik, als wäre es gerade der letzte Tag unseres Lebens.“

Obwohl das Böse die Welt regiere, gebe es Hoffnung. Für ihn liegt sie in der Initiative von Menschen, die glauben, dass Kunst nicht Arbeit und Geschäft ist, sondern eine Mission. „Wie die Mission von Mönchen in ihrem Kloster, die einfach für Gott singen, ohne Publikum, ohne Geld. Aber sie erreichen musikalische Perfektion damit!“ In Currentzis’ Einspielung des Figaro kann man sie spüren: eine energetische, risikobereite, geistgesättigte Perfektion. „Musik ist die Erforschung einer Welt, die auf ein Wunder wartet.“ Diese Aufnahme jedenfalls ist voller Wunder.

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