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Fünfzig Jahre Bundesjugendorchester

Klangvolles Klassentreffen

Fünfzig Jahre Bundesjugendorchester: In Köln kamen einstige und aktuelle Mitglieder zum „Fest der Ehemaligen“ zusammen.

vonIrem Çatı,

Die Bühne im großen Saal des Gürzenich ist zu klein für die Musiker, die hier zusammengekommen sind. Für die Organisatoren ist das kein Problem: Sie stellen zahlreiche Stuhlreihen davor auf, auf denen die aktuellen und ehemaligen Mitglieder des Bundesjugendorchesters (BJO) Platz finden. Und so ist das Blattspielorchester schon ganz in seinem Element und spielt die ersten Takte von Dukas’ „Zauberlehrling“, Bernsteins „Candide“, Janáčeks „Sinfonietta“ und Wagners „Der Fliegende Holländer“. Rund 400 einstige Orchestermitglieder haben sich in Köln zum großen „Fest der Ehemaligen“ versammelt, um das fünfzigjährige Jubiläum ihres Orchesters zu begehen. Die Feierlichkeiten finden unmittelbar vor der Jubiläums-Tournee statt, die rund hundert aktuelle Mitglieder und mehr als siebzig Ehemalige unter der Leitung von Ingo Metzmacher nach Köln, Leipzig und Berlin führt. Die Stimmung könnte nicht besser sein: Viele haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen und tauschen sich beim anschließenden gemeinsamen Mittagessen aus.

„Du bist zwar verrückt, aber das machen wir“, sagte Volker Wangenheim damals zu Peter Koch. Das war 1969, und Koch, ein Musiklehrer aus Osnabrück, hatte ihm vorgeschlagen, ein Bundesjugendorchester zu gründen. Inspiriert wurde er dabei von den internationalen Sommercamps in den USA und Großbritannien und von den wenigen Landesjugendorchestern, die es damals schon in Deutschland gab. Gemeinsam mit Wangenheim, dem damaligen GMD des Städtischen Orchesters in Bonn, brachte er den Stein ins Rollen. Bald konnten sie auch den Deutschen Musikrat und das Bundesjugendministerium von ihrer Idee überzeugen und sie als Förderer gewinnen.

Vier von fünf BJO-Mitgliedern werden Berufsmusiker

Mittlerweile hat das Bundesjugendorchester seinen festen Platz in der Orchesterlandschaft Deutschlands und darüber hinaus gefunden. Das liegt auch an der herausragenden Ausbildung, die die jungen Musiker erhalten, erklärt Orchesterdirektor Sönke Lentz. Möglichst drei oder vier Jahre lang spielen sie jede Arbeitsphase mit. Das Meistern technischer Hürden und das Erlernen des Zusammenspiels in einem Orchester stehen im Vordergrund. Hinzu kommt die pädagogische Dimension, in der vermittelt wird, wie man in so einer großen Gruppe miteinander umgehen und harmonieren kann. „Man kann im Orchester nicht gegeneinander arbeiten. Auch wenn man sich nicht gut versteht, geht es darum, das optimale Ergebnis zu erzielen“, sagt Lentz. „Das sind Grund­fähigkeiten und Tugenden, die ich als wesentlich und als Symbol für ein demokratisches Zusammenleben empfinde.“ So überrascht es nicht, dass 83 Prozent der ehemaligen Mitglieder nach ihrer Zeit beim Bundesjugendorchester professionelle Musiker werden. Was unweigerlich zur Frage führt, was eigentlich aus jenen siebzehn Prozent geworden ist, die sich gegen den Musikerberuf entschieden haben.

Wiedersehen ehemaliger Musikerkollegen
Wiedersehen ehemaliger Musikerkollegen

Auch von ihnen sind einige nach Köln gereist und freuen sich, ihre ehemaligen Kollegen wiederzutreffen, etwa Alexander Jüngling, von 1987 bis 1990 Schlagzeuger im Orchester. Über die Jahre ist der Rechtsanwalt mit einzelnen Personen des Orchesters in Verbindung geblieben und war einer der Mitbegründer der „Stiftung Bundesjugendorchester“. „Das BJO ist für die Ausbildung und persönliche Entwicklung der Jugendlichen von großer Bedeutung. Deswegen wollten wir, die Initiatoren der Stiftung, eine zusätzliche Säule zur Finanzierung bereitstellen“, erklärt Jüngling. Bis dahin wurde das Orchester im Wesentlichen aus staatlichen Zuschüssen, Sponsoren- und Eintrittsgeldern sowie den Mitgliedsbeiträgen der Schüler finanziert. Und obwohl sich das BJO in den letzten fünfzig Jahren fest etabliert habe, sei es doch fragil geblieben, findet Alexander Jüngling. Hier könne die Stiftung ansetzen. „Mit dem Geld der Stiftung wurden bereits eine Harfe und eine Celesta finanziert“, erzählt er begeistert. „Es gibt auch einen kleinen Pool für Schüler, die sich die Beträge nicht leisten können.“

50 Jahre Bundesjugendorchester: Ein Treffen zum schwelgen und lachen

Eigens für das Ehemaligentreffen ist auch Thomas Schmidt-Ott nach Köln gereist. Zwischen 1979 und 1982 gehörte er dem Orchester als Cellist an, entschied sich aber gegen eine Karriere als Musiker – nicht ganz freiwillig, wie er lachend zugibt: „Tabea Zimmermann hat in einem Interview gesagt, dass beim BJO lauter Ausnahme-Begabungen konzentriert an einem Ort seien. Wolfgang Boettcher, der damals an der Universität der Künste in Berlin meine Aufnahmeprüfung abnahm, war, was mich betraf, wohl anderer Meinung.“ So entschied er sich auf Boettchers Rat hin anders und arbeitete zunächst als Orchesterchef des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin und der Klangkörper des Bayerischen Rundfunks – bis er das Start-Up TUI Cruises mit ins Leben rief, deren Berliner Standort er heute leitet und wo er für die musikalische Unterhaltung an Bord zuständig ist. Heute ist er sehr froh über diesen Weg. „Mittlerweile kümmere ich mich darum, dass in den großen Theatern unserer Schiffe jeden Abend Spitzenunterhaltung zwischen Broadway-Show, Oper, Musical, Rockkonzert und Schlager stattfindet“, erklärt er. Auf zwei Schiffen hat er sogar einen sogenannten Klangraum installiert, in dem sich dank einer speziellen Soundanlage jede gewünschte Akustik herstellen lässt. Dort spiele er selbst sehr gerne Cello, erzählt der Unternehmer.

So ein Treffen lädt auch zum Schwelgen ein, und die beiden Ehemaligen erzählen von ihren schönsten Momenten mit dem Orchester. Etwa von der Einladung in die spanische Hacienda von Komponist Cristóbal Halffter, der den damals noch jungen Musikern wie eine göttliche Gestalt vorgekommen sei. Viel zu lachen gab es auch: Als Alexander Jüngling beispielsweise auf der Bühne des Gewandhauses ausgerutscht ist und damit tosenden Applaus im Publikum hervorgerufen hat. Oder als Thomas Schmidt-Ott mit seinem Freund ein Schaf von einer Weide gestohlen und im Zimmer seiner Musikerkollegin versteckt hat.

„BJO-ler wird man und BJO-ler bleibt man – ein Leben lang“

Ehemalige und aktuelle Mitglieder des Bundesjugendorchesters
Ehemalige und aktuelle Mitglieder des Bundesjugendorchesters

Mittlerweile ist das Mittagessen vorbei, das Programm geht weiter. Die Stühle und Notenständer wurden abgebaut und stattdessen fünf große Tafeln in die Raummitte gestellt – eine für jedes Jahrzehnt BJO. An ihnen hängen Programmhefte, Tourneebilder und Erinnerungsfotos besonderer Momente. In einer Art Kennenlernspiel kommen die ehemaligen und aktuellen Mitglieder des Orchesters an „ihrer“ Tafel zusammen und erzählen sich Geschichten aus der gemeinsamen Zeit. Nach der anschließenden Festrede von Martin Maria Krüger, dem Präsidenten des Deutschen Musikrats, klingt der Tag für alle mit einem Abendessen aus. Die Musik und die gemeinsamen Erlebnisse haben alle Ehemaligen zusammengeschweißt, egal in welche Richtung sich ihr weiteres Leben entwickelt hat. Freundschaften sind bis heute geblieben. „BJO-ler wird man und BJO-ler bleibt man. Ein Leben lang“, resümiert Schmidt-Ott. Und in einem sind sich alle einig: Das BJO muss eine Bestandsgarantie erhalten, um noch weitere fünfzig Jahre und länger musizieren zu können.

Sehen Sie den Image-Trailer des Bundesjugendorchesters:

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