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Jugend musiziert

Zukunftsmusik

Der Wettbewerb Jugend musiziert wird meist als Talentschmiede für die Musiker von morgen angesehen, doch ist er weit mehr als das

vonJohann Buddecke,

Als 1964 in Berlin der erste Wettbewerb von „Jugend musiziert“ stattfand, kämpften viele deutsche Orchester mit ernsthaften Nachwuchsproblemen. Aus der Idee, den Orchesternachwuchs mithilfe eines Wettbewerbs zu rekrutieren, ist heute ein umfassendes Förderprogramm entstanden, an dem jährlich viele tausend Kinder und Jugendliche teilnehmen. In seiner mehr als fünf Jahrzehnte langen Geschichte hat sich das Wesen des Wettbewerbs deutlich gewandelt. Von der eigentlichen Konzeption haben sich die Veranstalter heute weitestgehend entfernt.

„Wenn man davon ausgeht, dass Jugend musiziert als gezielte Maßnahme ins Leben gerufen wurde, junge Talente zu finden und entsprechend zu fördern, hat sich bis heute schon einiges verändert“, resümiert Edgar Auer, Projektleiter des Bundeswettbewerbs. „Jugend musiziert ist heute vielmehr als künstlerische Standortbestimmung gedacht. Der Wettbewerb soll jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich mit anderen Musikern in derselben Altersklasse zu messen, um ihnen eine Orientierung zu bieten, wo sie sich künstlerisch befinden und wie andere Jugendliche in ihrem Alter musizieren.“

Angefangen hatte jedoch alles ganz anders. Gegründet wurde der Wettbewerb 1963 unter der Trägerschaft des Deutschen Musikrats. Was als Bildungsmaßnahme zur Spitzenförderung gedacht war, entwickelte sich im Laufe der Jahre schnell zu einem musikalischen Förderprogramm für den gesamten musikbegeisterten Nachwuchs. Heute ist Jugend musiziert mit einer Dreiviertelmillion Teilnehmer seit dem ersten Wettbewerbsjahr der erfolgreichste Nachwuchswettbewerb für junge Musiker in Europa. Ein positiver Nebeneffekt: Der Wettbewerb motiviert viele junge Menschen, überhaupt erst ein Instrument zu erlernen oder sich noch intensiver mit einem Instrument zu beschäftigen.

Dabei sein ist alles

Jonathan Debus bei Jugend musiziert © Sebastian Haerter
Jonathan Debus und sein Duo-Partner am Akkordeon bei Jugend musiziert © Sebastian Haerter

Einer dieser jungen Musiker ist der 18-jährige Trompeter Jonathan Debus, der mit zehn Jahren das erste Mal bei Jugend musiziert dabei war und seither mehrmals Bundespreisträger wurde. Er sagt, seine Motivation, am Wettbewerb teilzunehmen, hat sich über die Jahre verändert. „Am Anfang wollte ich einfach dabei sein! Meine Geschwister haben ebenfalls mitgemacht und unsere Musiklehrer meinten, dass es gut wäre, ein musikalisches Ziel zu verfolgen.“ Heute hat Jonathan, der nach seinem Abitur gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr im Orchestermanagement des WDR Sinfonieorchesters absolviert, größere Ambitionen und dementsprechend höher sind auch seine Erwartungen. „Als ich bei Jugend musiziert angefangen habe, war ich mir noch gar nicht sicher, ob ich überhaupt Berufsmusiker werden wollte.“

Jetzt möchte er Musik studieren und seine Leidenschaft zum Beruf machen. Jugend musiziert hat ihn während seines musikalischen Werdegangs zwar immer motiviert. Von der ursprünglichen Wettbewerbskonzeption, eine neue Orchesterelite zu fördern, sagt er, sei heute aber nichts mehr zu spüren. Dass es sich keinesfalls mehr primär um eine berufliche Orientierungsmaßnahme handelt, bestätigt auch Edgar Auer. „Jugend musiziert richtet sich heutzutage an alle jungen Musiker, die Freude am Musizieren haben und nicht mehr ausschließlich an junge hochtalentierte Solisten. Aus diesem Grund sind auch die Rahmenbedingungen des Wettbewerbs sehr offen gestaltet. Der Aspekt der Berufsorientierung spielt im Gegensatz zu den ersten Wettbewerbsjahren – wenn überhaupt – erst in den fortgeschrittenen Wettbewerbsphasen eine Rolle.“

Fairness statt Objektivität

Seit dem Start des deutschlandweit durchgeführten Wettbewerbs ist Jugend musiziert in drei aufeinanderfolgende Phasen unterteilt. Alle Teilnehmer starten zunächst in einem der rund 160 Regionalwettbewerbe. Hinzu kommen dreißig deutsche Schulen im europäischen Ausland. Jeweils die ersten drei Preisträger nehmen anschließend an den Landeswettbewerben teil. Die abschließende Phase ist der Bundeswettbewerb, zu dem alle ersten Preisträger der Landesebene eingeladen werden. Welche Teilnehmer es während des Wettbewerbs eine Phase weiter schaffen, entscheidet jeweils eine Fachjury.

Jugend musiziert – Wertungsspiel
Jugend musiziert – Wertungsspiel vor der Jury © Erich Malter

„Bei der Bewertung geht es immer um die künstlerische Gesamtleistung auf der Bühne“, erklärt Reinhart von Gutzeit, Vorsitzender der Gesamtjury bei Jugend musiziert. Wobei allen Jurymitgliedern bewusst ist, dass eine rein objektive Bewertung nahezu unmöglich ist. „Objektivität würde bedeuten, dass man in seiner Sache gänzlich unfehlbar ist. Aus diesem Grund sprechen wir bei Jugend musiziert lieber von Fairness.“

Bewertet wird, innerhalb der entsprechenden Altersgruppen der Teilnehmer, anhand eines Punktesystems. Somit wird kein „absoluter“ Gewinner festgelegt, sondern mehrere erste, zweite und dritte Preise pro Wettbewerbskategorie vergeben. Dieser Aspekt ist besonders aus pädagogischer Sicht sinnvoll, da man den Teilnehmern heute – und gegensätzlich zur ursprünglichen Wettbewerbskonzeption – vermitteln möchte, dass auch das Miteinander ein wesentlicher Bestandteil der Musik ist.

… und nach der Schule noch eine Ensemble-Probe

Parallel zu der Zielsetzung des Wettbewerbs hat sich interessanterweise das Niveau der dargebotenen Leistungen über die Jahre enorm verändert. „Die größte Leistungssteigerung gab es in den ersten beiden Jahrzehnten. Damals wurde der Wettbewerb für die Musikpädagogik im Land besonders wichtig“, erklärt Reinhart von Gutzeit. „Vielen Schülern gab Jugend musiziert eine Plattform, sich leistungstechnisch zu messen. Leider beobachten wir gerade in den letzten Jahren, dass viele Jugendliche schulisch derart unter Druck stehen, dass ihnen häufig die Zeit fehlt, ein Instrument zu erlernen. Dennoch ist das Niveau, gerade an der Spitze des Wettbewerbs, beachtlich hoch.“

Neben den Solokategorien ist heute auch das Ensemblespiel ein wichtiger Bestandteil von Jugend musiziert. Diese Kategorie wird für die Nachwuchsmusiker meistens schon vor dem eigentlichen Wettbewerb zur großen Herausforderung. „Vor ein paar Jahren bin ich in einem 12-köpfigen Ensemble angetreten“, erinnert sich Jonathan Debus. „Das war letztlich sehr aufwändig. Alleine die Proben terminlich zu koordinieren war eine große Aufgabe.“ Doch abgesehen von der Kategorie – Jonathan Debus möchte das Bestmögliche im Wettbewerb erreichen. Der direkte Leistungsvergleich ist dabei kein wirkliches Problem für ihn. „Ärgerlich ist es nur, wenn man einen schlechten Tag erwischt. Die Jury bewertet schließlich nur eine Momentaufnahme.“ Ein großer Vorteil ist, dass er über die Jahre bereits viele Teilnehmer kennengelernt hat, so dass eine freundschaftliche Atmosphäre herrscht, die eher anspornt. Ungerecht bewertet hat er sich eigentlich nie gefühlt. Auch dieses Jahr ist er wieder mit vollem Einsatz dabei. Sein hauptsächlicher Grund der Teilnahme bleibt die Jury. „Der Wettbewerb lebt von der Bewertung durch kompetente Musiker und unterscheidet sich dadurch beispielsweise von populären TV-Wettbewerben.“

Jugend musiziert – Anreise der Teilnehmer
Jugend musiziert – Anreise der Teilnehmer © Erich Malter

Trotz vieler positiver Erfahrungen der Teilnehmer gibt es auch immer wieder negative Stimmen gegenüber Jugend musiziert. Speziell der Kritikpunkt, dass die Bewertungen gerade für jüngere Teilnehmer enttäuschend und demotivierend seien, wird dabei regelmäßig diskutiert. „Leider liegt es im Wesen eines jeden Wettbewerbs, enttäuscht zu werden. Das ist letztlich ein unvermeidbares Problem“, räumt Reinhart von Gutzeit ein. Gleichzeitig betont er aber, dass dieser Problematik durch entsprechende pädagogische Arbeit in den Musikschulen und Gespräche im Elternhaus durchaus vorgebeugt werden kann. „Letztlich haben wir aber über die Jahre festgestellt, dass der Wettbewerb eher einen positiven Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen hat. Sie wissen, was sie erwartet, und kommen gern. Der Spaß überwiegt eindeutig.“

Vieles hat sich also verändert bei Jugend musiziert. Bewährtes hat man gleichzeitig beibehalten. Und so ist aus dem einstigen Spitzenförderungsprogramm ein Wettbewerb für alle geworden. Der Erfolg spricht für den Wandel.

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