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Interview Arabella Steinbacher

„Man muss zäh sein“

Die Geigerin Arabella Steinbacher über ihren Weg ins internationale Konzertleben, Meditation vorm Konzert und Japan nach dem Tsunami.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Sie wuchs mit zwei Kulturen in München auf, war Meisterschülerin der begnadeten Geigenpädagogin Ana Chumachenco und findet sogar das Summen von Moskitos musikalisch: Arabella Steinbacher, gesegnet mit einem absoluten Gehör, zählt zu den weltweit gefragten Geigern der jungen Generation.

Ihre Mutter ist Japanerin, ihr Vater war Deutscher.Inwiefern wurden Sie von der Kultur Ihrer Eltern geprägt?

Ich bin in München geboren und aufgewachsen. Meine Mutter kam als junge Sängerin nach Deutschland. Mein Vater war Korrepetitor an der Bayerischen Staatsoper, später Professor an der Musikhochschule. Es war die Idee meiner Mutter, dass ich Geigerin wurde.

Geige haben Sie zunächst mit der Suzuki-Methode gelernt.

Ja, analog zur Spracherziehung basiert sie auf Hören, Beobachten und Nachahmen, und es gibt zunächst kein Notenlesen. Deshalb konnte ich gut auswendig spielen. Mein Vater hat mir auf dem Klavier die Stücke vorgespielt und ich habe das nachgespielt. Durch das Gehör habe ich gelernt.

Sie haben ein absolutes Gehör. Schrecklich oder hilfreich?

(lacht) Es ist manchmal merkwürdig, wenn da Moskitos im Raum sind und die summen. Dann denke ich, das ist jetzt ein hohes C.

Es heißt, Asiaten verlören ihr absolutes Gehör, also ihr Tonhöhengedächtnis nicht so schnell wie Europäer, weil sie es mit ihrer Muttersprache nicht abtrainieren würden.

Das wusste ich gar nicht, da bin ich überrascht. Das ist interessant, ich dachte, man könnte sich das antrainieren, aber das hieße ja, man holt es sich zurück.

Es gibt Pianistinnen und Geigerinnen, die spielen barfuß, Sie aber spielen mit geschlossenen Augen.

(lacht) Ich muss nicht auf die Finger schauen, um Noten zu treffen. Beim Klavier wäre das schwierig, denn da gibt es oft riesige Abstände zu überwinden. Meistens schließe ich meine Augen, weil ich dann die umgebende Realität nicht wahrnehme. Man ist dann ganz eins mit der Musik.

Sie meditieren auch viel?

Ja. Das hilft mir sehr, mit dem Jetlag, dem hektischen Leben, der Einsamkeit des Solisten, der Nervosität zurechtzukommen. Auch musikalisch, wenn etwa ein Einsatz aus dem Orchester nicht kommt, eine Notsituation. Da muss man die Nerven bewahren, das muss man trainieren. Das war anfangs sehr schwierig für mich, heute mache ich Yoga, meine Atemübungen und meditiere. Besonders vor dem Konzert. Das verstehen oft die Menschen nicht. Heute kann ich meine Kräfte besser einteilen. Es gibt immer mal wieder einen Schmerz, eine Irritation im Leben, die man akzeptieren muss. Ich habe viel von meiner Mutter gelernt, die Sängerin ist. Heute fühle ich mich schon sehr viel wohler auf der Bühne, in den ersten Jahren war so ein irrsinniger Druck dahinter.

Warum?

Viele Musiker werden einmal eingeladen und dann vielleicht kein zweites Mal mehr. Und es ist wichtig, dass es weiter geht. Oft wird auch von ihnen – seitens der Veranstalter oder Agenten – ein Repertoire abverlangt, für das sie noch nicht reif genug sind. Und dann bleiben sie unter ihrem Potential, dann sind sie nicht gut und werden nicht noch einmal engagiert. Da muss man sehr aufpassen.

Man darf nie absagen, sagte mir einmal Lorin Maazel, der mit über achtzig immer noch dirigiert und mit dem Sie auch schon mehrmals aufgetreten sind.

Lorin Maazel erzählte mir, dass er innerhalb von zwei Minuten in einen Tiefschlaf fallen kann. Und dann ist er nach zehn Minuten wieder da. Das hat er über Jahre trainiert. Das ist wohl der Grund, warum er immer noch so fit ist.

Was halten Sie von der David-Garettisierung des Musikbetriebs? 

Heute ist sehr schwierig auf sich aufmerksam zu machen. Die Medien suchen immer etwas Neues, und es reicht nicht aus, gut zu sein. Oft will man noch ein verrücktes Aussehen oder irgendeine exzentrische Herkunft. Ein großer Agent gab mir am Anfang meiner Laufbahn Vertrauen: Qualität, sagte er, setze sich langfristig durch, auch wenn man manchmal das Gefühl hätte, dass es nicht schnell genug ginge. Und er hatte recht. Man muss zäh sein und sich nicht irritieren lassen. Es ist ein knallharter Weg, der absolut nicht glamourös ist, auch wenn es manchmal so aussieht.

2004 gelang Ihnen der internationale Durchbruch unter Sir Neville Marriner. Wenn Sie heute zurückblicken, was würden Sie nicht mehr tun?

Man probiert vieles aus. Ich hatte mehrere Agenten, und auch wenn ich von manchen weggegangen bin, so heißt dies nicht, dass sie nicht gut waren für mich zu dem jeweiligen Zeitpunkt.

Was macht einen guten Agenten aus?

Er muss sich hineinfühlen können in eine Solistin, flexibel sein, eine ähnliche Vorstellung haben. Dass man auch, aber nicht immer nur das Mainstream-Repertoire spielt, sondern auch mal etwas ganz Neues wagt.

Wie etwa Frank Martins ‚Polyp-ty-que‘ von 1973, das Sie mit Thomas Hengelbrock in Hamburg spielen werden …

Ja. Ich bin gerade dabei, das Werk einzustudieren. Es ist  nach sechs Bildern der Passionsgeschichte komponiert. Ich bin gespannt. Wir werden uns bald treffen, um die Details zu besprechen.

Auch Szymanowskis 1. Violinkonzert, das Sie in Berlin spielen werden, gehört nicht gerade zum Mainstream.

Ein tolles Stück. Die Stimmung ist wie im Märchenwald, mit meiner Stimme schwebe ich praktisch über dem Orchester, die Atmosphäre ist sehr verträumt, sehr lyrisch trotz manch schroffer Momente. Zwischendurch geht es in Richtung Filmmusik. Es ist sehr heikel zu interpretieren, das Orchester ist sehr dick besetzt, bei einer Aufnahme kann man das gut regulieren, aber im Konzertsaal wird es schwieriger. Doch ich denke, es wird kein Problem. Ich kenne Marek Janowski schon lange. Er war einer der ersten, der mich gefördert hat.

Und dann werden Sie 2014 in einer Jury sitzen, in Austin, beim Menuhin-Wettbewerb.

Ja, zum ersten Mal! Ich habe ja selbst an Wettbewerben teilgenommen und weiß, dass es nicht immer um die musikalische Qualität geht, sondern wer wessen Schüler ist. Für die Erfahrung ist ein solcher Wettbewerb gut, aber man sollte nicht hoffen, damit Karriere machen zu können. Eines habe ich gelernt: Man sollte sich auf keinen Fall aus der Bahn werfen lassen, wenn man nicht gewonnen hat.

Über diesen Punkt sind Sie selbst schon hinaus. Gibt es trotzdem etwas, das Sie an Ihrem Beruf stört, etwas, das Sie gerne ändern würden?

Ich habe mal Marek Janowski gefragt, ob es nicht unglaublich anstrengend sei, immer so nervös zu sein. Er sagte mir: Gott sei Dank sei er das nicht, weil man bei ihm als Dirigenten nicht alle Töne höre. Man muss wissen, er war mal ein Geiger, und die Vorstellung, bis zum Ende des Lebens so viele Stunden üben zu müssen, fand er schrecklich. Mir geht es nicht so. Im Moment habe ich etwa 70 Konzerte pro Jahr. Das finde ich wunderbar.

Sie waren in Japan kurz nach der Tsunami-Katastrophe 2011. Wie war das für Sie?

Ich hatte Konzerte, die ich gerade als Halb-Japanerin nicht absagen konnte und wollte, obwohl viele mir dazu rieten. Ein Saal war zerstört worden, in einem anderen war es voll. Das Flugzeug hingegen war total leer. Meine Mutter, die bei Freunden untergebracht war, erzählte mir von den Bodenerschütterungen, die sie gespürt hat, als sie auf dem Tatami (Matte aus Reisstroh) schlief. Wenige Monate später war ich wieder da, in Sendai. Die Leute lebten in Containern, ich bin durch die zerstörte Landschaft gelaufen, es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen – ganz anders als im Fernsehen. Noch viel schlimmer. Ich sah viel Trauer, aber auch so viel Würde.

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