Blickwinkel: Anna Prohaska – Maria mater meretrix
„Frauen haben noch immer mit gewissen Klischees zu kämpfen“
Mit ihrem außergewöhnlich kontrastreichen Konzertprogramm „Maria mater meretrix“ nähern sich Sängerin Anna Prohaska und Geigerin Patricia Kopatchinskaja dem Mythos der Frauenfigur Maria.
© Marco Borggreve

Musikalisch auf den Spuren Marias unterwegs: Sopranistin Anna Prohaska
Frau Prohaska, warum sind durchkonzipierte Konzertformate wie Ihr Projekt „Maria mater meretrix“ eher die Ausnahme in der Klassik?
Anna Prohaska: Solche Projekte brauchen sehr viel Vorbereitungszeit. Man muss natürlich überhaupt erstmal eine Idee haben, je nach Thema auch viel recherchieren und sich Hintergrundwissen aneignen. Ich selbst lasse mich zum Beispiel auch oft durch Ausstellungen inspirieren oder von anderen Konzerten. Für viele Künstler und Veranstalter ist es auch schlichtweg zu aufwendig oder kompliziert. Je nachdem muss man ja bei außergewöhnlichen Besetzungen noch Extra-Instrumente einkaufen, Stücke neu arrangieren… Das kostet viel Organisationszeit und ist natürlich auch immer eine finanzielle Frage.
Wie sind Sie auf das Maria-Sujet gekommen?
Prohaska: Patricia und ich sind schon lange befreundet, und wir wollten natürlich schon immer gerne mal zusammen Musik machen. Als „moderne“ Frauen in der modernen Gesellschaft haben wir allerdings noch immer mit gewissen Klischees zu kämpfen, wenn es um die Frau an sich als „weibliches Pendant zum Mann“ geht. Wenn man sich dann fragt, woher das eigentlich kommt, landet man assoziativ ganz schnell in der Mythologie, und von dort aus kommt man auch bald zur Mutter Gottes und zu Maria Magdalena.
Es geht also weniger um ein musikalisches Porträt der Person Maria, als vielmehr um die Auseinandersetzung mit dem Frauenbild im Allgemeinen?
Prohaska: Genau. Die Gesellschaft hat sich in der Kulturgeschichte sehr stark daran abgearbeitet, Frauen beziehungsweise Frauenfiguren in Schubladen zu packen. Gerade bei Maria Magdalena sieht man das deutlich. In den Augen mancher gehört sie quasi gleichwertig zu den Jüngern Jesu, manchmal wird sie als Geliebte Jesu dargestellt, und auf der anderen Seite gibt es auch diese Verteufelung als Prostituierte, die erst durch Jesus und die Jünger erlöst werden muss – das hat Wagner dann für seine Kundry im Parsifal aufgegriffen. All das sind sehr unterschiedliche Rezeptionsweisen derselben Frauenfigur. Es geht bei uns aber nicht darum, ein geschichtliches Traktat zu erstellen und wir wollen auch keine Forschung betreiben, sondern wir präsentieren einfach eine assoziative Aufstellung von unterschiedlichen Marien-Rezeptionen durch die Jahrhunderte und stellen dabei eben die reine jungfräuliche Mutter Maria, mit der besagten Maria von Magdala gegenüber.
Maria als Heilige und Prostituierte – wollen Sie mit dieser Herangehensweise auch ein wenig provozieren?
Prohaska: Ja, schon ein bisschen. Wir haben zum Beispiel Stücke wie das Kuppellied von Hanns Eisler und Berthold Brecht extra ausgewählt, um diese weihevolle Stimmung, dieses Sakrale ein bisschen aufzubrechen und ein bisschen mehr in dieses Rotzfreche zu gehen. In dem Lied geht es ja witzigerweise auch um eine Marie – allerdings wohl mehr um das Abbild der Kaiserin Maria Theresia von Österreich auf den Geldmünzen, genannt „Marie“, die die Mädchen sozusagen mit ihren Leibern verdienen. Ursprünglich wollten wir auch die „Wollust“ aus den „Sieben Todsünden“ von Kurt Weill mit ins Programm nehmen, aber das wurde uns von der Kurt Weill Foundation leider nicht erlaubt. Man darf das Stück offenbar nicht einzeln aus dem Kontext nehmen; wenn, dann muss man alle sieben Todsünden begehen (lacht). Aber zum Glück haben wir ja mit Hanns Eisler einen würdigen Ersatz gefunden.
Sind Sie denn selbst religiös?
Prohaska: Schwierige Frage für mich, denn irgendwie habe ich mich da bisher noch nicht so richtig entscheiden können. Vor allem in meiner Jugend habe ich sehr viel im kirchlichen Umfeld gesungen und bin natürlich auch geprägt durch meine katholische Erziehung. Mütterlicherseits komme ich aus einer halb englischen, halb irischen Großfamilie, man ging oft zur Kirche. Väterlicherseits war man eher agnostisch veranlagt. Glaubensfragen und die Rolle der Kirche in Gesellschaft und Geschichte führten in der Familie tatsächlich immer wieder zu Streitigkeiten, deswegen habe ich mich auch schon sehr früh mit diesen Themen auseinandergesetzt. Trotzdem kann ich bis heute keine eindeutige Antwort darauf geben.
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Anna Prohaska, Ensemble Modern, Sir George Benjamin
Varèse: Octandre, Haddad: Mirage, Mémoire, Mystère, Ravel: 3 Poèmes de Stéphane Mallarmé, J. S. Bach/Benjamin: Kanon & Fuge aus Die Kunst der Fuge BWV 1080, Schönberg: Kammersinfonie Nr. 1 op. 9
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Hensel: Ouvertüre C-Dur, Mozart: Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219, Non più, tutti ascoltai / Non temer, amato bene KV 490 & Sinfonie Nr. 25 g-Moll KV 183, Mendelssohn: Infelice op. 94
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