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Interview Elsa Dreisig

„Ich spiele keine Puppe, sondern einen echten Charakter“

Dreimal Mozart, einmal Strauss – und das in kurzer Folge. Elsa Dreisigs Probenplan ist bis obenhin voll.

vonHelge Birkelbach,

An der Staatsoper Unter den Linden avancierte sie schnell zum Publikumsliebling und ist dort seit sieben Jahren zuhause. Gerade kommt sie aus Paris zurück und hat eine Woche nur für sich. Strahlend, unbekümmert und mit Plan: Trotz aller Herausforderungen der kommenden Wochen sprüht Elsa Dreisig vor Elan.

Sie interpretieren im April in kurzer Folge drei ganz verschiedene Rollen, allesamt in Da-Ponte-Opern von Mozart. Ein gehöriger Kraftakt.

Elsa Dreisig: Ja, das ist wirklich irre. Zum Glück habe ich gerade eine Woche nur für mich, um mich noch vor den Proben in Ruhe vorzubereiten. Dazu kommt, dass ich im Sommer zum ersten Mal die Rolle der Salome übernehme. Das ist keine Partie, die man wie bei Mozart flott in zwei Wochen lernen kann. Die Partitur von Strauss ist ja im Vergleich wesentlich komplexer angelegt. Aber alle vier sind schwierig, denn es sind tragende Rollen. Damit ich mit der knappen Zeit zurechtkomme, habe ich mir einen Plan zurechtgelegt: jeden Tag zwei Seiten der „Salome“-Partitur auswendig lernen. Dann komme ich auf insgesamt 36 Tage. Das ist die einzige Möglichkeit für mich, gleichzeitig noch Elvira, Fiordiligi und die Contessa zu üben. Der Tsunami kommt nächste Woche auf mich zu, dann geht es los! Ja, das ist gerade ziemlich verrückt. So etwas habe ich noch nie gemacht.

Man weiß, dass Sie sehr intensiv in die jeweiligen Charaktere und ihre Beweggründe eintauchen, also quasi musikalisches Profiling betreiben. Wie machen Sie das?

Dreisig: Ich kann immer auf die hervorragende Unterstützung durch meine Gesangslehrerin, eine befreundete Dramaturgin und andere enge Vertraute zählen. Wenn ich eine Frage habe, kann ich diese Leute spontan anrufen und mich immer auf ihre Kompetenzen und ihren Rat verlassen. Beispielsweise gehen wir noch vor den Proben zusammen durch das Libretto und fragen uns immer: Was ist die Geschichte? Wie ist die Beziehung der Personen untereinander? Wo führen Traditionen in die falsche Richtung? Die oft eindimensionale Aufführungstradition verführt gerne dazu, die Charaktere zu einfach zu sehen, nicht ambivalent. Aber dann werden diese Menschen, die ja alle ihre Fehler haben, zu Karikaturen. „Così fan tutte“ zum Beispiel kann man ganz falsch verstehen, wenn man nur zeigen will, wie untreu und unbedarft die Frauen sind. So hat Mozart das überhaupt nicht gemeint! Diese detaillierte Arbeit mache ich gerne, denn dann bin ich gleich vom ersten Tag an stärker und präsenter – als Künstlerin und als Frau.

Welches Profil haben Sie für Fiordiligi in „Così fan tutte“ gefunden?

Dreisig: Ich sehe sie als idealistische Person. Sie hat viel über das Leben nachgedacht, gleichzeitig ist sie sehr spielerisch. Sie und Dorabella sind ja noch sehr jung, sie machen gerne Witze und lachen viel. Ich denke, Fiordiligi ist ein lustiger Typ, vielleicht auch ein bisschen exzentrisch. Sie kann auch sehr laut werden. Sie und Dorabella haben keine Angst vor Männern, sie sind keine naiven Mäuschen. Christof Loy, der die Così-Inszenierung in Salzburg realisiert hat, sieht Fiordiligi ganz ähnlich wie ich. Diese junge Frau ist spontan, sie hat keinen Filter. Prüderie ist das Letzte, an das ich denke, wenn ich diese Rolle spiele. Auch wenn ich in einem prunkvollen Rokoko-Kostüm stecke, kann ich die Rolle dennoch modern interpretieren. Ich spiele keine Puppe, sondern einen echten Charakter.

Beim Fotoshooting zu Ihrem aktuellen Mozart-Album wurde ein Video gedreht. Dort vergleichen Sie die Contessa aus dem „Figaro“ mit Lady Gaga. Wer wäre dann Donna Elvira aus „Don Giovanni“ – und wer Fiordiligi?

Dreisig: Das ist eine spannende Frage (überlegt). Fiordiligi ist jung, sehr jung. Sie ist keck, frech, aber auch romantisch. Ich denke über eine französische Popsängerin nach. Vielleicht Vanessa Paradis? Ja, das würde passen! Da ist gleichzeitig Tiefe wie auch Verspieltheit. Sie sagt ernste Dinge, die den Zuhörer mitnehmen und erstaunen, aber auf eine ganz charismatische Art.

Und Donna Elvira?

Dreisig: Eine sehr starke Frau, da würde ich eher beim Hardrock suchen. Wie heißt diese deutsche Sängerin, die so stark geschminkt ist? Die hatte sich auf der Bühne auch mal ihr Kleid hochgezogen und darunter war sie nackt …

Eine Deutsche? Vielleicht Nina Hagen?

Dreisig: Ja, genau! Das war so ein Skandal damals. Die ist wirklich komplett crazy! Hm, vielleicht ein bisschen zu crazy für Donna Elvira. Denn die ist nicht durchgehend laut und stark, sondern grübelt über ihre Vergangenheit. Nicht verrückt, aber ein bisschen on the edge. Sie war erfolgreich, beliebt, und plötzlich hat sie keine Lust auf nichts mehr. Sie kann alleine leben und braucht keinen Mann. Ablehnung, Nihilismus, auch eine gute Portion Intellektualität ist dabei. Als ich mir mit dem Regisseur Vincent Huguet über die Rolle Gedanken gemacht habe, fiel uns Debbie Harry ein, die Sängerin von Blondie. Ah, Moment, mir fällt noch jemand ein. Eine tolle Stimme, leider hatte sie erhebliche Probleme mit Alkohol und Drogen: Amy Winehouse! Drugs sind natürlich kein Thema für Elvira, aber sie steckt voller Energie und Überraschungen. Von null auf hundert. Sie könnte im nächsten Moment von der Bühne springen, mitten ins Publikum. Das mache ich natürlich nicht, keine Angst!

Lässt sich aus der Performance dieser Popkünstlerinnen Inspiration für die eigene Rollengestaltung ableiten?

Dreisig: Ja, ganz sicher. Aber auch Filme können eine Inspiration sein. Ich schaue wahnsinnig gerne Filme. Bei der Einspielung meines Mozart-Albums musste ich immer wieder an „Marie Antoinette“ denken, den Film von Sofia Coppola. Kirsten Dunst trägt in der Rolle ganz traditionelle plüschige Kleidung, dazu aber Sneakers. Diese Marie Antoinette, wie sie von der Regisseurin vorgestellt wird, ist so dermaßen clever und modern. Heute würde man sie als It-Girl bezeichnen. Und im Soundtrack kommt Popmusik aus den Achtzigern zum Einsatz, unter anderem von New Order und The Cure. Das ist doch toll, ça casse les styles! Wie sagt man auf Deutsch? Stilbruch, genau! Wenn man das Booklet zu meinem Album durchblättert, sieht man ein Foto, wo ich schwarze rockige Schuhe zum Plüschkleid trage. Der Film war Inspiration für mich, keine Frage. Es ist wichtig, seinen künstlerischen Kosmos zu erweitern und verschiedene Künste einzubeziehen. Auch Malerei zu Beispiel. Bei Salome fallen mir die Gemälde von Gustave Moreau ein, zum Beispiel „Salome tanzt vor Herodes“. Alle Phantasmen, die in ihrer Person liegen, sieht man hier abgebildet. Es gibt so viele Quellen, all das ist Inspiration. Ohne sie verzichtet man darauf, seine Rolle groß genug zu machen.

Sie sagten einmal, dass Ihnen schwere Rollen helfen, erwachsen zu werden. Was sind das für schwere Rollen?

Dreisig: Als junge Sängerin gibt es so viele Regeln, die einem in der Ausbildung beigebracht werden. Also: Du musst erst das machen, dann das nächste. Diese Regeln können hilfreich sein, denn es gibt viele Situationen, in denen man hinfallen kann. Schwere Rollen, zu denen ich mich im Moment nicht spontan hingezogen fühle, behandle ich insofern mit Vorsicht. Aber ich möchte so frei sein, meine Ziele zu verfolgen und meine Richtung frei zu bestimmen. Es geht immer darum, den richtigen Zeitpunkt für den nächsten Schritt zu erkennen. Man sagt, meine Stimme sei leicht und klar. Aber das ist nicht das Ziel, sondern nur ein Moment. Ich habe Anna Bolena gesungen und die Manon von Jules Massenet. Die Oper ist mit ihren fünf Akten ohne Cut mehr als drei Stunden lang, richtig schwierig. Am Anfang hatte ich gedacht: Ich schaffe das nicht. Aber ich wollte diese Partien singen, unbedingt. Um mich frei zu machen. Nicht um allen zu beweisen, dass ich es kann. Sondern weil mich die Charaktere und ihre Geschichten interessieren. Und weil die Musik einfach so großartig komponiert ist. Noch vor Kurzem hätte ich nie gedacht, die Salome zu spielen. Aber jetzt mache ich das. Das bedeutet Freiheit für mich. Und in die Freiheit zu gehen, bedeutet zu wachsen.

Album-Tipp

Album Cover für Mozart x 3

Mozart x 3

Elsa Dreisig (Sopran), Kammerorchester Basel, Louis Langrée (Leitung) Erato (Warner)

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