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Opern-Kritik: Deutsche Oper am Rhein – Wozzeck

Dieser Thriller ist eine Reise wert

(Düsseldorf, 20.10.2017) Intensiver geht’s nicht: Regisseur Stefan Herheim und Generalmusikdirektor Axel Kober rekreieren Alban Bergs Meisterwerk

vonAndreas Falentin,

Stefan Herheim siedelt Bergs Oper im modernen Hinrichtungstrakt eines amerikanischen Gefängnisses an. Der Titelheld ertrinkt hier nicht, wie eigentlich von Berg vorgesehen, sondern wird, wie sein historisches Vorbild 1824 in Leipzig, hingerichtet. Und sieht im Moment des Sterbens sein Leben an sich vorbeiziehen. Herheim nutzt diesen Kunstgriff zu einer stringenten Revue intensivster, oft alptraumhaft verzerrt erscheinender Momente, aus denen, klug unterstützt von dezent eingesetzten, das Verständnis erleichternden Videos, ein chancenloses Leben entsteht.

Dieses Schicksal geht uns alle an

Er hat keine Chance, dieser Franz Wozzeck, nie gehabt. Und sein Schicksal geht uns alle an, scheint der Regisseur sagen zu wollen, wenn er immer wieder Teile des Geschehens vor Bühne und Vorhang, vor die berühmte vierte Wand zieht und dann das Licht im Zuschauerraum hochfahren lässt. Es ist eine alte Geschichte, die sich heute, in anderer Form, an etlichen Orten, immer wieder zuträgt, auch bei uns!

An diesem Abend stimmt einfach alles

Das Regiekonzept geht zu hundert Prozent auf, weil in allen Bereichen an diesem Abend einfach alles stimmt. Christoph Hetzer hat eine kalte Bühne, einen fast realistischen Hinrichtungstrakt entworfen, der sich aber jenen Rest Künstlichkeit bewusst bewahrt, der uns beruhigend und beunruhigend klar macht, dass wir nicht in Hollywood sind. Die Düsseldorfer Symphoniker sind in Bestform wie lange nicht, exekutieren die vielen kleinen Soli mit großer Brillanz, spielen nuanciert und nie zu laut.

GMD Axel Kober balanciert zudem die vielen großen und kleinen dynamischen Steigerungen meisterhaft aus und sorgt für eine stets lebendige und produktive Wechselwirkung mit Solisten und Bühnengeschehen. Auch das Sängerensemble agiert, ohne einen einzigen Ausfall, auf extrem hohem Niveau. Der Andres von Cornel Frey, hier wohl der Geist eines bereits hingerichteten Zellengenossen von Wozzeck, jagt einem genauso Schauer über den Rücken wie der Doktor und der Hauptmann. Sami Luttinen und Matthias Klink erschrecken mit intensiven Studien zweier Wahnsinniger, die ihren Platz in einem statischen System gefunden haben wie in einer Gummizelle.

Überwältigende Sängerdarsteller: Camilla Nylund und Bo Skovhus

Szene aus Bergs „Wozzeck“ in Düsseldorf
Szene aus Bergs „Wozzeck“ in Düsseldorf © Karl Forster

Camilla Nylund ist eine überwältigende Marie mit immer wieder sanft aufblühendem Sopran, der jene Hoffnung äußert, die Wozzeck nicht mehr hat. Aber auch ihre Wut geht direkte Wege. Das kommt in Nylunds differenziert ausgearbeiteter, stets spontan wirkender Körpersprache intensiv zum Ausdruck, gekrönt von einem kurzen, fast wie eine rheinische Tarantella wirkenden Funkenmariechen-Tanz. Bo Skovhus schließlich ist als Wozzeck vor allem – glaubhaft. Natürlich kann er die Partie nicht (mehr) so klangschön singen wie ein Matthias Goerne oder Christian Gerhaher. Aber er lebt sie. Man glaubt ihm die Verzweiflung des „einfachen Menschen“. Immer wieder erscheint sein Körper zu grobschlächtig für diese empfindsame Seele. Immer wieder gerät ein Rasiermesser in sein Blickfeld, immer wieder bricht sich Aggression und Verzweiflung Bahn. Und doch bleibt ein sanfter Kern. Dieser Mensch kann keiner Fliege etwas zuleide tun, nur sich selbst. Das beglaubigt Bo Skovhus mit allen stimmlichen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen.

„Wozzeck“ in Düsseldorf ist ein relevanter, Mitgefühl und Haltung einfordernder Thriller mit genau getimten Momenten surrealen Witzes, intensiv und entspannt musiziert und gespielt, ein Abend, der eine Reise wert ist.

Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf
Berg: Wozzeck

Axel Kober (Leitung), Stefan Herheim (Regie), Christof Hetzer (Bühne & Kostüme), Gerhard Michalski (Chor), Phoenix (Licht), fettFilm (Video), Alexander Meier-Dörzenbach (Dramaturgie), Bo Skovhus (Wozzeck), Camilla Nylund (Marie), Matthias Klink (Hauptmann), Sami Luttinen (Doktor), Corby Welch (Tambourmajor), Cornel Frey (Andres), Katarzyna Kuncio (Margret), Thorsten Grümbel, Dmitri Vargin (Handwerksburschen), Florian Simson (Narr), Chor der Deutschen Oper am Rhein, Akademie für Chor und Musiktheater, Düsseldorfer Symphoniker

Termine: 20.10. (Premiere), 25. & 27.10., 2., 5., 19., 23. & 26.11.2017

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