In jeder auch nur mittelgroßen deutschen Stadt prangt in privilegierter Position ein Opernhaus. In der Hauptstadt gibt es gar derer drei. Auch in der heimlichen Musikhauptstadt der Republik, also in München, ist mit dem Nationaltheater, dem Gärtnerplatz- und dem Prinzregententheater ebenfalls ein stolzes Trio anzutreffen. Einst Orte der höfischen Repräsentation, sind es heute Räume der bürgerlichen Selbstvergewisserung, der künstlerisch-rituellen, gern auch kritischen Befragung eines demokratischen Gemeinwesens über die eigenen Werte und Abgründe, über kollektive Visionen und Albträume.
Interimsspielstätte – Chance oder notwendiges Übel?
Weniger freundlich gesinnte Geister sehen in ihnen freilich eher Horte der Tradition und einer Reproduktionskultur des immergleichen Repertoires von Händel über Mozart zu Wagner, das durch die räumlichen Bedingungen der Theater-Architektur scheinbar vorgegeben scheint. Die aktuelle Schließung einer ganzen Reihe stolzer Stadt- und Staatstheater zum Zwecke der zwingenden Sanierung und der oftmals viele Jahre dauernde Umzug von künstlerischen Ensembles und Verwaltungsapparaten in Interimsspielstätten werfen nun die aparte Frage auf: Sind die zwischenzeitlich genutzten anderen Räume wirklich nur eine die künstlerische Entfaltung hemmende Hypothek? Oder bieten Interimsspielstätten nicht auch ganz entscheidende Vorteile, die es nur beherzt zu nutzen gilt?
Nicht alle durch marode Technik, veraltete Sicherheitssysteme, mangelnde Barrierefreiheit und wachsende Raumbedarfe bedingte Zwischenlösungen gleichen wahren Charmeoffensiven: So bedingt der Umzug der hippen, im früheren Osten gelegenen Komischen Oper Berlin in den gediegen bürgerlichen Bezirk Charlottenburg einen eher ungeliebten Perspektivwechsel. Und die Verlagerung des Nationaltheaters Mannheim in die in der Oststadt gelegene Oper am Luisenpark, kurz: OPAL, entspricht der schlichten Umbettung des Hauses ins wiederum natürliche Habitat des gehobenen Restbürgertums zwischen Villenviertel und Stadtpark.
Neue Möglichkeiten strategisch nutzen
Im Sinne der strategischen Erschließung eines neuen Publikums, das ein weniger formelles, ein atmosphärisch lockeres Theaterumfeld schätzt, darf der nun bereits seit 2016 andauernde Umzug der Oper Köln – einer durchaus auch skandalösen, die Kosten explodieren lassenden Langzeitbaustelle – auf die andere Rheinseite ins Staatenhauses als Erfolg gelten. Die dort möglichen flexiblen Regie-Lösungen, die eine opernuntypische Nähe zum Publikum herstellen, waren und sind – etwa in Zimmermanns „Die Soldaten“ – kein künstlerischer Kompromiss, sondern zukunftsweisende Innovations-Inszenierungen. Und während das denkmalgeschützte Große Haus des Staatstheater Augsburg am zentralen Kennedyplatz umfassend saniert wird, erweist sich die neue Spielstätte im Martini-Park als zwar kompliziert erreichbares Ausweichquartier, aber auch als Motor für launig experimentelle Produktionen, zu denen jüngst Moritz Eggerts „Die letzte Verschwörung“ gehörte.
Das Landestheater Coburg wiederum beweist, dass mit der Verlagerung des Spielbetriebs ins Globe Coburg am Güterbahnhof auch Kernrepertoire im neuen Licht erscheinen kann. Geradezu gewagt genialisch gerät der durch die Sanierung des Nürnberger Opernhauses nötige Umzug in das Umfeld der Kongresshalle des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes, der ab der kommenden Spielzeit für mutmaßlich zehn Jahre ansteht. Ungeahnte Kontextualisierungen und Konfrontationen mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte sollen dann ausdrücklich geplant sein. Oper als dezidiert diverses, alle Grenzen sprengendes Spektakel erhält durch solche Interimslösungen ungeahnte Impulse.