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Interview mit dem Dirigenten Stanley Dodds

„Wir sind zusammen auf dem Berg gewesen“

Stanley Dodds schätzt am Sinfonie Orchester Berlin die familiäre Atmosphäre – und greift als dessen Dirigent auf seine große Erfahrung als Orchestermusiker zurück

vonHelge Birkelbach,

Weit über drei Millionen Konzertbesucher aus Berlin und der ganzen Welt haben die Konzerte des Sinfonie Orchesters Berlin in den sechzig Jahren seines Bestehens besucht. Seine derzeitige Jubiläumssaison feiert das Orchester, das seit einigen Jahren erfolgreich mit Mitgliedern der Berliner wie auch der Wiener Philharmoniker zusammenarbeitet, unter anderem mit einem Beethoven-Zyklus. Seit der Spielzeit 2014/2015 ist Stanley Dodds Chefdirigent des Orchesters.

Herr Dodds, was sind die beliebtesten Werke im Programm des Sinfonie Orchesters Berlin?

Stanley Dodds: Natürlich Beethovens Neunte, die wir immer zum Jahresbeginn spielen. Dvořáks „Aus der Neuen Welt“, die Sinfonien von Tschaikowsky, etwa die vierte, fünfte oder sechste. Zu Beginn und zum Ende der Saison spielen wir Ravels „Boléro“. Das Publikum liebt auch Debussy, „La Mer“ oder „Prélude à l’après-midi d’un faune“. In der kommenden Saison habe ich einen Schwerpunkt auf Brahms gesetzt; das darf man ruhig schon mal verraten, obwohl das Programm noch nicht veröffentlicht ist. Sei es ein Instrumentalkonzert oder eine Sinfonie: Brahms wird in allen Programmen vorkommen, so wie wir in dieser Saison den Beethoven-Zyklus gemacht haben. Das war eine große Aufgabe, danach geht es einem richtig gut. Jedes Orchester, das sich dieser Aufgabe stellt, hat das beste Trainingsprogramm vor sich, das man sich überhaupt vorstellen kann. Es ist ein bisschen wie ein „Fitness-Parcours“. Die Anforderungen bei Beethovens Sinfonien sind in allen Parametern extrem hoch. Es passiert manchmal sehr viel auf kleinem Raum, es ist dramatisch, es ist tragisch und vom Leben erfüllt. Alles, was wir von der Musik erwarten, findet bei Beethoven statt. Dieser Zyklus hat das Orchester und mich noch näher gebracht. Wir sind zusammen auf dem Berg gewesen.

Das Sinfonie Orchester Berlin mit Stanley Dodds in der Berliner Philharmonie
Das Sinfonie Orchester Berlin mit Stanley Dodds in der Berliner Philharmonie © Peter Adamik

Es geht recht familiär zu: Auch Kollegen der Philharmoniker treten als Solisten auf.

Dodds: Ja. Zum Beispiel Stephan Koncz, einer unserer Cellisten, oder sein Bruder Christoph, der Stimmführer bei den Zweiten Geigen der Wiener Philharmoniker ist. Guy Braunstein, der ehemalige Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, wird in der nächsten Saison wieder dabei sein. Für die Philharmoniker ist es sehr angenehm, zuhause im eigenen Saal sozusagen die Rolle zu wechseln. Ich weiß, welche Qualität wir in den Tutti-Reihen haben. Das ist immer eine schöne Herausforderung, nach vorne zu treten. Viele der Kollegen fühlen sich uns verbunden. Und schließlich – mehr Familie geht nicht – wird mein Bruder Daniel Dodds in der kommenden Saison zu Gast sein. Er spielt eine wunderbare Stradivari und ist künstlerischer Leiter der Festival Strings Lucerne. Sein Orchester leitet er aus der Position des Konzertmeisters. Auch ihn habe ich als Solist eingeladen.

Diese Vertrautheit mit allen hilft sicher auch, die arg knapp bemessene Probenzeit zu meistern.

Dodds: Das Sinfonie Orchester Berlin ist nun mal ein privates Ensemble, das keine Subventionen erhält. Da muss man wirtschaften, wir müssen mit größtmöglicher Kosteneffizienz arbeiten. Der Vorteil bei uns ist allerdings, dass wir eine Mischung aus sehr erfahrenen Orchestermusikern haben, zusammen mit jungen und freischaffenden Musikern. Ein großes Altersspektrum. Zusammen besitzen sie einen großen Erfahrungsschatz, was das Kernrepertoire betrifft. Auch für mich war das ein wichtiger Lernaspekt in der Zusammenarbeit seit 2014: Wie kann man mit diesen geringen Probenzeiten die bestmöglichen künstlerischen Resultate erzielen? Auch ich musste lernen, auf das Wesentliche schnellstmöglich hinzusteuern. Wir alle kennen die Stellen, auf die es ankommt. Es bedeutet zudem, dass wir bei den Konzerten immer eine positive Grundspannung haben. Die Möglichkeit, dass etwas spontan entsteht, ist dadurch gegeben. Ich muss sagen, ich freue mich auch darüber, auf diese Art zu musizieren. Wir liefern nicht nur ab. So bleibt eine Menge Frische erhalten.

Sie haben nun viele Jahre unter dem Dirigat von Sir Simon Rattle gespielt. Hat er Sie in Ihrer Art beeinflusst, selbst ein Orchester zu führen?

Dodds: Ich bin fast 25 Jahre Orchestermusiker und hatte das Glück, neben Simon Rattle auch noch Claudio Abbado zu erleben. Die beiden Dirigenten sind sehr verschieden – auch in ihrer Art, mit dem Orchester umzugehen. Fast alle Werke, die ich heute dirigiere, habe ich zum ersten Mal unter Abbado gespielt. Das erste Mal ist immer ein prägendes Erlebnis. Die Proben mit ihm hatten etwas Geheimnisvolles. Seine Bewegungen waren sehr flüssig. Manchmal war es schwierig, genau zu sagen, auf was er hinauswollte. Bei ihm war es ein Experimentierprozess; er wollte auch für sich sehen, wie seine Ideen funktionieren. Die Summe der Erfahrungen hat er dann in den Konzerten gebracht. Im Konzert konnte er die Energie des Orchesters zum Leben erwecken. Es fühlte sich sehr spontan an unter ihm.

Simon Rattle dagegen arbeitet von Anfang an sehr genau. Auch sein Schlag ist sehr präzise. Es ist immer sehr befriedigend: Zu jeder Zeit hat man das Gefühl, mit ihm auf ein bestimmtes Ergebnis hinzuarbeiten. Sehr zielgerichtet, klar und auch humorvoll, wie er ist. Es ist sehr angenehm, mit ihm zu proben. Es macht Sinn. Und um auf die Frage zurückzukommen: Wenn man unter einem Dirigenten spielt, der so großartig und überzeugend arbeitet, ist die erste Versuchung, es nur nachmachen zu wollen. Das ist zwar ein wichtiger Bestandteil des Lernprozesses, aber das bloße Nachahmen funktioniert leider nicht. Das hat letztendlich etwas Aufgesetztes. Es geht darum, auf die Reise ins Ich zu gehen, nach innen, um festzustellen, was der eigene Stil ist. Es geht darum, eigene Lösungen zu finden bei der Interpretation. Nach der Bewunderung muss es heißen: Ich mache das jetzt so.

Stanley Dodds
Stanley Dodds © Peter Rigaud

Sie sind als Dirigent, Violinist und Manager ständig beruflich unterwegs. Wie entspannen Sie, wenn Sie mal frei haben?

Dodds: Mein Leben ist von Bewegung und Konzentration geprägt, ich gehe von einem Projekt zum nächsten, spiele oder dirigiere. Es ist immer ein Raum um mich herum. Für mich ist es deshalb wichtig, dass ich einen Vormittag finde, wo ich Sport treiben kann und rausgehe. Ich schwimme gerne, ich jogge und fahre Fahrrad. Ich bin zwar Schönwetterfahrer, aber wo ich kann, nehme ich den Weg in der Stadt mit dem Rad, zum Beispiel zur Philharmonie Berlin. Die halbe Stunde tut mir immer sehr gut. Im Sommer, wenn ich die Gelegenheit dazu habe, segle ich auch. Und ich lese viel und gerne. Ich habe einige Lieblingsautoren, von denen ich wirklich alles lese. Peter Carey zum Beispiel, ein australischer Schriftsteller, oder Julian Barnes.

Gehen Sie auch ins Kino?

Dodds: Leider viel zu selten. Ich liebe das Kinoerlebnis, vor allem bei der Berlinale, wo Kino wie ein Konzert präsentiert wird. Ohne Popcorn, ohne Geräusche, mit stiller Aufmerksamkeit, um sich ganz auf den Film zu konzentrieren. Und nach der Aufführung applaudieren die Leute sogar! Ich wünschte mir, dass jeder Kinoabend so sein könnte. Gutes Kino verdient genau dieselbe Aufmerksamkeit wie Oper, Theater oder ein Konzert. „3 Tage in Quiberon“ habe ich bei der Berlinale gesehen. Nach dem Film habe ich gemerkt, dass mir doch einiges fehlt, was die Kultur in Deutschland betrifft. Ich bin mit 18 Jahren hierher gekommen, und es war die Musik, der mein Interesse galt. Über Romy Schneider und ihre Entwicklung in Deutschland und in Frankreich wusste ich sehr wenig. Man hat mir dann empfohlen, mit den „Sissi“-Filmen anzufangen. Nun ja … (schmunzelt). An einem Wochenende habe ich mir die drei Filme reingezogen und war doch leicht verwundert. Jetzt weiß ich mehr. Ja, ich befinde mich momentan in einer Romy-Schneider-Phase. Ich möchte mehr über diese faszinierende Frau wissen.

Erleben Sie Stanley Dodds mal nicht als Dirigent, sondern als Geiger – wenn auch etwas ungewöhnlich für diese Jahreszeit:

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