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Konzert-Kritik: Wayne Marshall bei den Münchner Philharmonikern

Wer wagt, gewinnt

(München, 16.3.2024) Die Münchner Philharmoniker und Wayne Marshall gaben sich in der Isarphilharmonie ausgelassen und dennoch vornehm.

vonMaximilian Theiss,

Der konzertdramaturgische Dreischritt – ein zeitgenössisches oder abseitiges kürzeres Konzertstück, hierauf ein Solokonzert und nach der Pause eine Sinfonie – wird gerne als etwas abgenutzt gescholten. Wohltuend ist es dann, auch mal ein ganz anderes Programmformat zu wagen, und da ist es ratsam, sich vertrauensvoll an Wayne Marshall zu wenden.

Zunächst einmal besitzt der studierte Organist und Pianist sowie begnadete Dirigent und Jazz-Pianist, Improvisator und Komponist die unnachahmliche musikalische Fähigkeit, Orchester zum Grooven zu bringen. Mehr noch: Er macht das sinfonische Kollektiv gleichsam locker und bringt es dazu, die Ungelenkigkeit abzulegen, die klassische Musiker nicht selten abseits ihres vertrauten Gefildes haben. Und der Groove gelang den Münchner Philharmonikern ganz wundervoll, daran konnte kein Frack und kein blankgeputzter Lackschuh etwas ändern. Das Orchester fand bei all den Ausgelassenheiten und Lässigkeiten, bisweilen auch beim ordinären Witz in den Kompositionen genau den richtigen Tonfall, geriet in eine ansteckende, stets vornehme Spiellust, bewahrte sich eine klangliche Grandezza, eine sinfonische Schönheit.

Können auch Groove: Münchner Philharmoniker
Können auch Groove: Münchner Philharmoniker

Feinsinniges Klangfarbenspiel

Und nun zum Programm. Wayne Marshall ist eine ausgewiesene Koryphäe in der amerikanischen Musik des 20. Jahrhunderts. In diesem Sinne offenbarte er die amerikanischen Persönlichkeiten, die dem Österreicher Erich Wolfgang Korngold und dem Deutschen Kurt Weill innewohnten (erste Halbzeit, kein kurzes Konzertstück, sondern zwei gleich gewichtete Werke).

1934 dem Austrofaschismus entflohen, startete Korngold in den USA seine zweite Karriere als Filmmusik-Komponist und stand in Hollywood unter besten finanziellen und kreativen Voraussetzungen bei Warner Brothers unter Vertrag. Der Film „Kings Row“ von 1942 demaskiert eine vermeintlich heile Kleinstadtidylle und zeigt schonungslos die psychischen und sozialen Abgründe dieser Gesellschaft. Die Musik dazu beziehungsweise die aufgeführte Suite als komprimierter Soundtrack oszilliert denn auch in teils verstörend rascher Abfolge im Stimmungstableau zwischen Breitwandsound-Seligkeit bis hin zur existenziellen Bedrohung.

Ins Surreale steigerte es sich bei Kurt Weills „Symphonic Nocturne“ aus dem Broadway-Musical „Lady in the Dark“, in dem die Philharmoniker feinsinnig mit den Klangfarben spielten. Am Ende des Konzerts stand wieder Filmmusik auf dem Programm mit der Suite zu Elia Kazans Film „On the Waterfront“ („Die Faust im Nacken“), der 1955 acht Oscars gewann. Den düsteren, hoffnungslosen Realismus vertonte damals Leonard Bernstein.

Freiheiten eines Jazzmusikers

Unmittelbar nach der Pause zollte Wayne Marshall George Gershwin Tribut, dessen „Rhapsody in Blue“ vor hundert Jahren das Licht der Welt erblickte. Für den Dirigenten und gleichzeitigen Solisten am Klavier war dieses Werk ein hör- und erlebbares Bedürfnis: Marshall erlaubte sich Freiheiten wie ein Jazzmusiker, interagierte mit den anderen Musikern wie ein Bandleader und hielt das sinfonische Orchester zusammen wie ein gestrenger Kapellmeister. Das Solokonzert als Höhepunkt nach der Pause: Selten hat man die herkömmliche Konzertdramaturgie so wenig vermisst wie an diesem Abend.

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