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Porträt Oksana Lyniv

Die Entdeckungsfreudige

Oksana Lyniv gehört zu den derzeit gefragtesten Dirigentinnen und versteht es, das Publikum auch für unbekanntere Werke zu begeistern.

vonRoland H. Dippel,

Eine steile Karriere als Dirigentin ist derzeit von Diskussionen über die Kommunikationskultur zwischen den Geschlechtern schwer zu trennen. Das gilt auch für die Ukrainerin Oksana Lyniv. In Gesprächen, deren Richtung die 42-Jährige manchmal wie mit einem unsichtbarem Taktstock lenkt, geht es ihr trotzdem vor allem um Musik und intensives Musiktheater. Noch vor wenigen Jahren musste Lyniv auf dem Weg ans Dirigentenpult manches Hindernis überwinden. Doch es gab auch damals schon progressiv denkende Orchester wie die Bergischen Symphoniker, die seit Jahren ein Dirigentinnenstipendium anbieten, in dessen Genuss auch Lyniv kam. Kommunikation und fundiert reflektierten Eigensinn betrachtet Oksana Lyniv seither als wesentliche Kompetenzen. Gegenseitige Wertschätzung und professionelles Vertrauen hält sie für wichtige Voraussetzungen ihrer Konzerte.

Botschafterin der Kulturen Mittel- und Osteuropas

Die in Brody geborene Musikerin verließ ihre Heimat nach dem Studium, wurde Meisterklasse-Studentin bei Ekkehard Klemm in Dresden, war Assistentin von Jonathan Nott bei den Bamberger Symphonikern und von Kirill Petrenko an der Münchner Staatsoper. Von dort aus schaffte sie 2017 den Sprung auf die Position der Chefdirigentin in Graz. Im kommenden Sommer verlässt sie Graz. Ihr Finale dort ist ein Opus summum des 20. Jahrhunderts, das wie ein Brennpunkt ihre Ambitionen bündelt: Mieczysław Weinbergs Oper „Die Passagierin“.

Oksana Lyniv versteht sich als Botschafterin zwischen den mittel- und osteuropäischen Kulturen. Nach dem Vorbild des Bundesjugendorchesters gründete sie das Ukrainische Jugendsymphonieorchester, mit dem sie bereits im Konzerthaus Berlin und bei den Speins­harter Sommerkonzerten gastierte. Als Gründerin und künstlerische Leiterin des Festivals LvivMozArt wiederum, das in kürzester Zeit zum größten Festival klassischer Musik der Ukraine wurde, propagiert Lyniv neben Leopold und Wolfgang Amadeus auch dessen Sohn Franz Xaver Mozart, der als Dirigent, Chorleiter und Lehrer das Musikleben Lembergs im frühen 19. Jahrhundert prägte. Zu den Raritäten bei Lviv­MozArt gehörte 2018 zum Beispiel die von Oksana Lyniv im Hof der Burg Swirsch geleitete Oper „Alcide“ von Dmitri Bortniansky.

Oksana Lyniv dirigierte mit sechzehn Jahren erstmals ein Orchester
Oksana Lyniv dirigierte mit sechzehn Jahren erstmals ein Orchester

Ukrainische Komponisten im Fokus: Oksana Lyniv

Mangelnde Entdeckungsfreude kann man ihr, die 2019 im Theater an der Wien mit Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orléans“ großen Erfolg hatte, also nicht nachsagen. Bei Konzerten mit der Staatskapelle Berlin im Boulez-Saal, dem Jugendsinfonieorchester der Ukraine und dem Philharmonischen Orchester der Stadt Graz dirigiert sie regelmäßig Werke ukrainischer Komponisten wie Boris Lyatoshinsky, Vitaliy Hubarenko, Mykola Kolessa und Yevhen Stankovych. Das eher konservative Grazer Publikum begeisterte sie auch für Karol Szymanowski. Im Gegenzug setzte sie die zweite Sinfonie von Leonard Bernstein auf das Programm eines großen Gedenkkonzerts für den Schriftsteller Joseph Roth, das sie in der Ruine einer zerbombten Synagoge in ihrer Geburtsstadt Brody leitete.

Zielstrebigkeit und Engagement für die im Westen weitgehend unbekannte Kultur ihres Heimatlands stellt Oksana Lyniv immer in den Dienst der Musik. Sie freut sich über die von ihr angeregten Transfers zwischen Mitteleuropa und der Ukraine. Mit was für einem gewinnenden Einklang von Durchsetzungsstärke und Fraulichkeit sie zu eindringlichen Ergebnissen gelangt, beweist sie inzwischen von Barcelona bis Lemberg.

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