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Opern-Feuilleton: Renaissance der Barockoper

Vom Skandalon zum Kanon

Vor dreißig Jahren ging von der Bayerischen Staatsoper eine Händel-Renaissance aus, die sich zu einer Barock-Bewegung der gesamten Opernszene geweitet hat.

vonPeter Krause,

Die Hausheiligen der Bayerischen Staatsoper hießen bis dato Wolfgang Amadeus Mozart, ­Richard Wagner und Richard Strauss. Dann, an einem frühlingshaften Premierenabend vor dreißig Jahren, war auf einmal alles anders. Ein vierter Name schrieb sich in die Geschichtsbücher nicht nur der Münchner Welt der großen Oper ein: Georg Friedrich Händel, dessen „Giulio Cesare“ vor dreihundert Jahren in Gestalt und Stimme der Kastraten­legende Senesino erstmals auf einer Opernbühne sein Unwesen trieb – als aufregend vielschichtiger Charakter zwischen machthungrigem Generalissimo und liebendem wie leidendem, ja sehr wohl auch verletzlichem Mann.

Peter Jonas, der genialische, gewitzte, aus Great Britain an die Isar gewechselte Intendant, brachte von der Insel, auf der Händel selbst einst sein Opernglück gesucht hatte, eine tief verankerte Leidenschaft für den Hallenser Barockmeister mit. Dazu lud er Regisseure ein, mit denen er an der English National Opera so manchen Skandalerfolg feiern konnte: Leute wie Richard Jones, die sich so gar nicht demütig um vordergründige Werktreue scherten, sondern Komik und Ironie einsetzten, auch mal postmodern freche Trash-Ausstattungen und Verrückt-Fantastisches wie einen riesigen Dinosaurier auf die ehrwürdigen Bretter des Nationaltheaters hievten. So geschehen bei jenem Regie-Debüt des Engländers just mit Händels „Giulio Cesare“ anno 1994.

Noch ein Engländer gab an jenem Abend seinen Einstand an der Isar: Ivor Bolton dirigierte erstmals das Bayerische Staatsorchester, romantisierte seinen Händel nicht, sondern rückte ihm historisch informiert zu Leibe – mit vibratoreduziert schlank sehnigen Streichern und plastischer Phrasierung aus dem Geist der Klangrede. Das alles galt als unerhört an dem Traditionshaus. Dazu sorgten nun nicht mehr nur die Helden­tenöre in „Tristan und Isolde“ oder „Der Ring des Nibelungen“ für Furore und ausverkaufte Vorstellungen, sondern Countertenöre, die für Händels so ganz andere Helden in die Fußstapfen der einstigen Kastraten traten. Mehr als einhundert Mal wurde die Inszenierung bis 2006 gespielt. Heute genießt sie Kultstatus.

Vom kleinen Stadttheater bis zur großen Staatsoper

Die langfristigen Folgen für die Opernszene als Ganzes aber waren an jenem Abend noch kaum absehbar, heute belegen sie freilich die visionäre Haltung eines der größten Intendanten der jüngeren Operngeschichte. Denn der 2020 verstorbene Sir Peter Jonas begründete ja nicht nur die seitdem vielgepriesene Münchner Händel-Renaissance. Er sorgte dafür, dass die Barockoper sich auch jenseits der Expertise und Expertenzirkel der entsprechend spezialisierten Festspiele – in Göttingen und Halle sorgen ihre Premieren im Wonnemonat Mai wieder für besondere Aufmerksamkeit, gerade für Händels weniger bekannte Meisterwerke – nachhaltig etablierte. So wird eben heute eine Premiere von „L’Incoronazione di Poppea“ aus der Feder des italienischen Urvaters der Gattung, Claudio Monteverdi, an der Oper Köln mit derselben Spannung erwartet wie eine Neuinszenierung von Mozart, Wagner oder Puccini.

Die Barockmeister Händel, Purcell oder Rameau sorgen vom kleinen Stadttheater bis zur großen Staatsoper für Begeisterung – gerade auch für den Enthusiasmus eines jungen Publikums, das sich von den magischen (Gegen-)Welten des barocken Theaterzaubers in gegenwärtigen szenischen Umsetzungen mitunter direkter berühren lässt als von Opas Oper der Romantik. Die Alte Musik wirkt da aufregend neu. Auch weil Spezialensembles der Historischen Aufführungspraxis immer häufiger die klassischen Operntempel erobern und dort für klangliche Authentizität sorgen.


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