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Highlights der Saison 2023/2024 – Südwest

Klassiker und Kurioses

concerti-Autor Frank Armbruster stellt seine persönlichen Highlights der kommenden Saison vor.

vonFrank Armbruster,

Corona? War da mal was? So sehr die Pandemie die Kulturbranche gebeutelt hat, so schnell scheint sie wieder vergessen. Das Publikum ist zurück, wenngleich die ­Besucherzahlen in manchen Veranstaltungsreihen noch lange nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht haben. Am besten geht es, glaubt man den offiziellen Verlautbarungen, den Opernhäusern. Die Staatstheaterspitze in Stuttgart etwa ließ stolz vermelden, die Zahlen für die vergangene Saison seien „besser als geplant“. Die Auslastung der Oper lag im Februar 2023 bei sage und schreibe 97 Prozent.

Das Programm des größten Dreispartenhauses Europas weist sieben Premieren in der neuen Saison aus, gleich die erste am 29. Oktober klingt spannend: Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ ist ein szenisch schwer zu bändigendes Monstrum, das der Regisseur David Hermann in seiner ersten Arbeit für das Stuttgarter Haus als dystopisches Endzeitdrama auf die Bühne bringen möchte. Musikalisch ist dabei einiges zu erwarten, liegt die Leitung doch beim Stuttgarter GMD Cornelius Meister, der sich in der Vergangenheit bereits mehrfach als formidabler Straussdirigent bewährt hat. Ein weiterer Höhepunkt wird die Wiederaufnahme von Vincenzo Bellinis „La sonnambula“ ab dem 7. Juli. Das melodiensatte Melodramma um die schlafwandelnde Amina hatte das Regieduo Wieler/Morabito zur Eröffnung von Jossi Wielers Intendanz in Stuttgart inszeniert, Anna Viebrock steuerte eine bildstarke Umsetzung bei, sodass es 2012 zur Inszenierung des Jahres gewählt wurde. Dick eingekreist im Kalender des Autors ist auch der 22. Juni: Dann wird in Stuttgart im Rahmen einer Koproduktion mit dem Schauspiel die famose Osttiroler Musicbanda Franui unter dem Titel „Oder ich hol’ dir vom Himmel das Blau“ selbst bearbeitete Operettenmelodien von in der Nazizeit verfemten Komponisten wie Paul Abraham spielen.

Am Theater Heidelberg herrscht  im April Weltuntergangsstimmung – zum Glück nur auf der Bühne
Am Theater Heidelberg herrscht  im April Weltuntergangsstimmung – zum Glück nur auf der Bühne

Heiß küssende Lippen

Apropos Operetten: Lange pflegte man die in Opernhäusern nur mit spitzen Fingern anzufassen. Zu trivial die Geschichten, zu abgeschmackt die Musik – und das, obwohl Opernstars wie Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann in ihren Konzerten regelmäßig Beifallstürme mit Operettenmelodien entfachen. „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ aus Franz Lehárs „Giuditta“ etwa ist ein Paradestück (nicht nur) der Netrebko. Nun hat „Giuditta“, mutig voran, das Theater Ulm programmiert. Die Premiere dort ist am 14. Dezember.

Originelles jenseits der ausgetretenen Repertoirepfade findet man auch an anderen Häusern im Südwesten. Im schmucken Heidelberger Theater etwa kann man am 20. April Kurt Schwitters’ groteskes Opernlibretto „Zusammenstoß“ in einer Vertonung von Ludger Vollmer sehen. Es geht dabei um nichts weniger als den Weltuntergang, der allerdings nicht durch den Klimawandel, sondern durch einen auf die Erde zurasenden Planeten droht – der, so hat es der Astronom Virmula berechnet, würde exakt auf dem Potsdamer Platz einschlagen. Ein Szenario, das absonderliche Folgen zeitigt. So werden im Angesicht der Katastrophe Schlager kreiert, Obdachlose proben die Revolution und Liebespaare schwören sich ewige Treue.

Ein kurioses Dada-Revival, das thematisch freilich ebenso aktuell ist wie Modest Mussorgskis „Boris Godunow“. Die Oper über den Zaren Boris, der des Mordes am jungen Thronfolger Dimitri beschuldigt wird, erzählt vom Schicksal seines zwischen fanatischem Rausch und Selbstpeinigung schwankenden Volkes. Inwieweit der Regisseur Lorenzo Fioroni auf das politische Geschehen im heutigen Russland Bezug nehmen wird, kann man in der Produktion des Nationaltheaters Mannheim verfolgen – aufgrund der Renovierung findet die Premiere am 28. Januar im Pfalzbau Ludwigshafen statt. Und auch in Karlsruhe, am Badischen Staatstheater, geht es in Alexander von Zemlinskys selten aufgeführter Oper „Der Kreidekreis“ um die Willkür der Mächtigen. Die Premiere ist am 2. Juni.

Seltener Besuch: Augustin Hadelich hat sich für den nächsten Sommer angekündigt
Seltener Besuch: Augustin Hadelich hat sich für den nächsten Sommer angekündigt

Was klassische Konzerte anbelangt, so prangen die Aboreihen wieder allerorten mit großen Namen. Angesagte Solistinnen wie Sol Gabetta oder Khatia Buniatishvili sind (nicht nur) im Südwesten regelmäßig zu hören, andere, wie der in den USA lebende, fabelhafte Geiger Augustin Hadelich dagegen nicht. Bei seinem Auftritt am 7. Juni im Mannheimer Rosengarten wird er begleitet vom Konzerthausorchester Berlin unter Joana Mallwitz, gespielt werden Brahms’ Violinkonzert und Beethovens „Eroica“.

Wenn wir schon bei der Geige sind: In Mainz werden in der kommenden Saison mit Isabelle Faust und Christian Tetzlaff gleich zwei meiner liebsten Violinisten zu erleben sein. Beide sind mit allen Wassern gewaschene, reflektierte Virtuosen, die freilich – das unterscheidet sie von manch abgebrühten Stars der Branche – immer mit ganzem Herzen bei der Sache sind. Faust spielt am 25. Februar Brahms’ Violinkonzert, Tetzlaff wird am 18. Mai mit dem nicht sehr häufig zu hörenden 2. Violinkonzert von Béla Bartók eines seiner Lieblingsstücke aufführen. Beide Konzerte finden in der Rheingoldhalle statt.

Zwei Legenden der Klavierkunst

Noch vielfältiger ist das pianistische Angebot. Da sind einerseits die großen Alten, bei denen man nicht weiß, wie lange noch die Gelegenheit besteht, sie zu hören. Das gilt insbesondere für Martha Argerich. Die mittlerweile 82-Jährige Argentinierin, immer noch im Vollbesitz ihrer pianistischen Kräfte, spielt zwar keine Solorecitals mehr, aber auch ihre kammermusikalischen Auftritte sind ein Ereignis. Wer sie hören möchte: im Duo mit dem Pianisten Darío Ntaca tritt sie am 27.11. in der Liederhalle Stuttgart und am 29.11. im Konzerthaus Freiburg auf. Ebenfalls eine Legende ist die nicht ganz so feurige, dafür umso sensiblere Pianistin Elisabeth Leonskaja. Das Werk Franz Schuberts bildet seit vielen Jahren einen Schwerpunkt ihres Schaffens, und mit zwei späten Schubertsonaten – D850 und D960 – ist die 77-Jährige am 10. April in der Stuttgarter Liederhalle zu Gast.

Eröffnet in Stuttgart die Meisterpianistenreihe: Beatrice Rana
Eröffnet in Stuttgart die Meisterpianistenreihe: Beatrice Rana

Was die Pianisten der jüngeren Generation anbelangt, so haben sich in den letzten Jahren einige herausragende Talente im Konzertleben etabliert. Dazu zählt die russische Virtuosin Anna Vinnitskaya, die, begleitet von der Deutschen Radiophilharmonie, am 11. Februar mit dem zweiten Rachmaninowkonzert im Konzerthaus Karlsruhe zu hören ist. Am 26. Februar lohnt sich ein Trip nach Mannheim, wenn der Kanadier Bruce Liu, Gewinner des Warschauer Chopin-Wettbewerbs von 2021, Beethovens zweites Klavierkonzert spielt. Liu ist ein feiner Klangkünstler, wie der Südkoreaner Seong-Jin Cho, der fünf Jahre zuvor den Chopin-Wettbewerb gewonnen hat. Am 29. April ist Cho mit dem Münchener Kammerorchester ebenfalls in Mannheim zu hören.

Hypervirtuosin mit Leidenschaft

Mit meiner ganz persönlichen Favoritin startet am 20. Oktober die Meisterpianistenreihe der Stuttgarter SKS Russ. Die Italienerin Beatrice Rana ist eine Hypervirtuosin, die technisch alles kann. Vor allem aber besticht ihr Spiel durch Leidenschaft und eine Unbedingtheit des Ausdruckswillens, die tatsächlich an ihr pianistisches Vorbild Martha Argerich erinnert. Ihr Soloprogramm in der Liederhalle beginnt mit Skrjabin und endet mit Liszts großer Sonate h-Moll.

Und wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, wie die Zukunft des klassischen Streichquartetts aussehen könnte, der besuche am 18. Januar in der Fruchthalle Kaiserslautern das Konzert des Vision String Quartet. Die vier Berliner beginnen mit Brahms und Webern, danach aber folgen selbstkomponierte Stücke aus ihrem Album „spectrum“. Sie werden Ohren machen!















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