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Highlights der Saison 2023/2024 – Niedersachsen & Bremen

Im Wandel

concerti-Redakteur André Sperber stellt seine persönlichen Highlights der kommenden Saison vor.

vonAndré Sperber,

Never change a winning team – unter diesem Vorsatz führte Coach Alf Ramsey die englische Fußballnationalmannschaft 1966 zu ihrem (bisher einzigen) Weltmeistertitel. Ein Erfolgskonzept, das sich, wenngleich mittlerweile umstritten, ganz wunderbar auf den Klassik­sektor übertragen lässt. Denn auch hier gilt: Warum Dinge ändern, wenn es doch gut läuft? Und dennoch: Hin und wieder kommt unvermeidlich die Zeit für einen Wechsel im Kader oder auf der Trainerbank respektive am Dirigierpult, wie es etwa die NDR Radio­philharmonie derzeit durchlebt. Neun Jahre lang führte Andrew Manze hier den Taktstock und lenkte das Orchester hingebungsvoll durch alle Tonlagen. Mit dem Ende der vergangenen Saison hat der Brite nun in Hannover seinen Abschied gefeiert und hinterlässt den Klangkörper ohne direkten Nachfolger. Gewissermaßen „cheflos“ muss die NDR Radiophilharmonie nun also in die neue Spielzeit starten. Was jedoch keinesfalls ein Nachteil sein muss, sondern vielmehr eine gute Gelegenheit bietet, Coach Alf Ramseys Trainer-Weisheit kritisch auf den Prüfstand zu stellen.

In der Folge finden eine Menge hochinteressanter Gäste in den kommenden Monaten ihren Weg ans Pult des Orchester, vorneweg Komponist Jörg Widmann, der seine Position als Erster Gastdirigent für die kommenden drei Jahre antritt und spannende Programme kuratiert. In seinem ersten Konzert (7./8.12., NDR Sendesaal Hannover) etwa erklingt neben Eigenkompositionen und Beethovens siebter Sinfonie auch dessen Fragment eines Violinkonzerts in C-Dur, in einer ergänzten Fassung von Joseph Hellmesberger. Solistin an der Geige ist an jenem Abend Jörg Widmanns Schwester Carolin. Überhaupt spielt die Aufführung großer Violinkonzerte von der Klassik bis zur Gegenwart eine zentrale Rolle in der gesamten Saison der NDR Radio­philharmonie. So sind unter anderem Augustin Hadelich mit Schostakowitsch (16./17.11.), Isabelle Faust mit Dvořák (18./19.1.NDR) und ­Midori mit dem Konzert von Detlev Glanert (11.1.) zu erleben. Letzterer Abend wird im Übrigen von Andrew Manze geleitet, dem als Gast natürlich weiterhin die Tore in Hannover offenstehen. Neben ihm und Widmann über­brücken unter anderem Eiji Oue (12.10.), ­Eivind Gullberg Jensen (29.2.), Fabien ­Gabel (28.9.) und Joana Mallwitz (16./17.5.) die Zeit, bis Manzes offizieller Nachfolger Stanislav Kochanovsky mit Beginn der Saison 2024/2025 in Dienst tritt.

Magnet der großen Namen

Weiter nördlich in Bremen (wo die NDR Radiophilharmonie übrigens im Rahmen einer Tournee mit Sopranistin Diana Damrau gastiert) ist die übliche Flut an künstlerisch üppigem Aufgebot beim Musikfest Bremen kaum abgeebbt, wenn die Stadt bereits zum Magneten weiterer großer Namen wird. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen etwa, wohl eines der lebhaftesten Ensembles der deutschen Orchesterlandschaft, verspricht musikalische Hochgenüsse in der Glocke mit den Pianisten Francesco Piemontesi (12.10.) und Jan Lisiecki (16.11.), die Klavierkonzerte von Ravel und Prokofjew darbieten. Einen rein sinfonischen Wiener-Klassik-Rundumschlag mit der Deutschen Kammerphilharmonie präsentiert ihr langjähriger künstlerischer Leiter Paavo Järvi, der neben Mozarts „Don Giovanni“-Ouvertüre in einem Konzert gleich drei Haydn-Sinfonien aufs Programm holt (1.12.).

Zeitgenössisch statt klassisch wiederum packt man am Bremer Theater die neue Spielzeit an: Die Oper „Doctor Atomic“ des amerikanischen Komponisten John Adams erzählt die Geschichte des „Vaters der Atombombe“ J. Robert Oppenheimer (Premiere am 16.9.) und sorgt für eine dramatisch-­explosive Eröffnung. Regie führt Frank Hilbrich.

Jörg Widmann wird für drei Jahre Erster Gastdirigent der NDR Radiophilharmonie
Jörg Widmann wird für drei Jahre Erster Gastdirigent der NDR Radiophilharmonie

Ähnlich sieht es am Oldenburgischen Staatsthea­ter aus, wo sich die Eröffnungspremiere von Jonathan Doves „Flight“ ebenfalls an Gegenwartsklängen bedient. Insgesamt hat man sich hier mit Neuinszenierungen von Korngolds „Die tote Stadt“ (2.12.), Brittens „Peter Grimes“ (9.3.) und Puccinis „Il trittico“ (20.4.) vorwiegend dem 20. Jahrhundert verschrieben. Es ist die letzte Saison unter der Intendanz von Christian Firmbach, der ab Sommer 2024 das Badische Staatstheater Karlsruhe leiten wird und sich, wie er selbst sagt, „voller Kraft, Lust und Freude auf die letzte gemein­same Saison“ in Oldenburg freut. Und die hat es nochmal richtig in sich: Alle Sparten zusammengenommen sind 500 Vorstel­lungen mit 27 Premieren, darunter vier Uraufführungen geplant.

Von Shakespeare und anderen Literaten

Insgesamt bietet die Opernlandschaft im niedersächsischen Raum neben beliebten Sicherheits-Repertoire à la „Salome“ und „Barbier“ auch eine ganze Fülle an ausgefalleneren musiktheatralischen Schätzen. In Braunschweig etwa, wo man die gesamte vergangene Saison dem spartenübergreifenden Projekt der „Ausweitung des Ringgebiets“ gewidmet hat, bleibt man der interdiszipli­nären Neugier treu: „Körper­festung/Herzog Blaubarts Burg“ (4.5.) steht im Zeichen von Bartóks düsterem Einakter und kombiniert Musiktheater und Tanz unter der Regie des israelischen Choreografen Guy Weizman. Gespannt sein darf man hier auch auf Dagmar Schlingmanns Inszenierung von Georg Friedrich Haas’ zeitgenössischer Oper „Koma“ (9.3.) sowie auf die spaßige Opéra-comique „Béatrice et Bénédict“ von Hector Berlioz (17.2.). Ein Werk, das „mit den Augen und den Lippen lächelt“, so der Komponist. Es basiert auf Shakespeares Komödie „Viel Lärm um nichts“. Regie führt hier Franziska Severin, am Pult steht Mino Marani.

Shakespeare findet während der anlaufenden Spielzeit auch gleich mehrfach Einzug in die Staatsoper Hannover. Nach einer opulenten Eröffnungspremiere mit Thorleifur Örn Arnarssons „Parsifal“-Auslegung (24.9.) steht hier im Novem­ber mit der Lyrischen Tragödie „I Capuleti e i Montecchi“ Vincenzo Bellinis Version des Romeo und Julia-Stoffs auf dem Programm (11.11.). Für die Regie zeichnet Michael Talke verantwortlich. Regisseur Joe Hill-Gibbins hingegen widmet sich Shakespeare über den durchkomponierten Avantgarde-Klassiker „Lear“ von Aribert Reimann (10.2.). Unter Einbezug des Staatsballetts, das nach dem letztjährigen Goecke-Eklat nun unter der Leitung von Christian Blossfeld steht, geht im kommenden Jahr zudem eine Inszenierung von Glucks „Orfeo ed Euridice“ über die Bühne (22.3.), die ebenso neugierig macht wie die szenische Interpretation von Verdis ­„Messa da Requiem“ durch die bereits mehrfach in Hannover wirkende Regisseurin Elisabeth Stöppler (31.5.). Auch sinfonisch sind beim Staats­orchester Hannover mit viel Bruckner, Mahler und Co. zudem einige romantische Feuerwerke zu erwarten.

„Körperfestung/Herzog Blaubarts Burg“: So heißt das neue spartenübergreifende Projekt des Braunschweiger Staatstheaters
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Punk-Rock statt Operndrama

Weniger Shakespeare, dafür mehr Büchner ist am Thea­ter für Niedersachsen (TfN) in Hildesheim zu erleben. Der Woyzeck-Stoff wird hier als saisonales Fokusthema in hausspezifischer Dreispaltigkeit verarbeitet: als Schauspiel, als choreografiertes Tanztheater (21.1.) und – nein, musiktheatral nicht in Form von Bergs berühmter Oper, sondern als neuartiges Punk-Rock-Musical, das gleich zu Saisonbeginn zur Uraufführung kommt (2.9.). Besondere Opern-Raritäten liefert das TfN vor allem mit den Produktionen von Adolphe Adams „Wenn ich König wär’“ (24.9.), Humperdincks Märchenoper „Dornröschen“ (17.2.) und der europaweiten Erstaufführung von Stephen Paulus’ Drama „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ (4.5.).

Die Spielzeit 2023/2024 wird auf jeden Fall kunterbunt in Niedersachsen und Bremen, mit zahlreichen spannenden Opernprojekten und groß ­besetzten Konzerten. Und auch in der Festivallandschaft tut sich was: So liegt etwa die künstlerische Leitung der ­beliebten Musikwoche ­Hitzacker erstmals in den Händen eines ganzen Ensembles. Das Mahler Chamber Orchestra dürfte dem Festival einen neuen Anstrich verpassen und wird sicherlich mit der einen oder anderen Überraschung aufwarten – manchmal kann wohl auch einem winning team eine kleine Auffrischung nicht schaden.

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